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Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: Abmahnungen im Internet – Was tun?

styles66 (CC0), Pixabay
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Frage: Frau Bontschev, Abmahnungen im Internet sind mittlerweile ein echtes Ärgernis für viele Nutzerinnen und Nutzer. Warum sind so viele Menschen betroffen?

Kerstin Bontschev: Das liegt vor allem daran, dass viele gar nicht wissen, dass sie gegen Gesetze verstoßen. Besonders in sozialen Netzwerken ist die Grenze zwischen Privatmeinung und Rechtsverletzung oft schwer zu erkennen. Manchmal reicht es schon, wenn jemand über den eigenen Internetanschluss unerlaubt Musik oder Filme teilt – und schon flattert die Abmahnung ins Haus.

Frage: Also kann man auch abgemahnt werden, wenn man selbst gar nichts gemacht hat?

Kerstin Bontschev: Genau. Das Stichwort lautet Störerhaftung. Wenn über den eigenen Internetanschluss jemand – etwa ein Mitbewohner oder Familienmitglied – gegen das Urheberrecht verstößt, haftet man oft mit. Allerdings wurde die Störerhaftung für WLAN-Betreiber wie Cafés und Hotels 2017 deutlich eingeschränkt. Seit Inkrafttreten des Digital Services Act (DSA) 2024 ist die Haftung sogar noch weiter gelockert. Betreiber von öffentlichen WLAN-Netzen müssen nicht mehr für die Rechtsverstöße Dritter geradestehen.

Frage: Welche Rechtsverstöße führen besonders häufig zu Abmahnungen?

Kerstin Bontschev: Ganz klar: Urheberrechtsverletzungen. Ob illegales Filesharing, das Posten urheberrechtlich geschützter Bilder oder Videos in sozialen Netzwerken – all das kann teure Folgen haben. Daneben gibt es aber auch Abmahnungen wegen Beleidigungen, Persönlichkeitsrechtsverletzungen und Markenrechtsverstößen, etwa wenn gefälschte Markenprodukte online verkauft werden.

Frage: Was sollte man tun, wenn eine Abmahnung ins Haus flattert?

Kerstin Bontschev: Ruhe bewahren und die Abmahnung genau prüfen! Auf keinen Fall sollte man die Forderungen einfach blind erfüllen. Stattdessen rate ich, sich umgehend anwaltlich beraten zu lassen – und zwar vor Ablauf der gesetzten Frist. Ein Anwalt kann prüfen, ob die Abmahnung berechtigt ist oder ob es sich um eine Serienabmahnung handelt. Gerade in solchen Fällen lohnt sich eine genaue Überprüfung, denn nicht jede Abmahnung ist rechtlich haltbar.

Frage: Was ist eine Serienabmahnung?

Kerstin Bontschev: Das sind massengefertigte Abmahnungen, die oft auf geringfügigen oder konstruierten Verstößen basieren. Einige Kanzleien haben das Abmahnen als Geschäftsmodell entdeckt und verschicken Abmahnungen fast schon im Akkord. Ziel ist weniger die Klärung eines Rechtsverstoßes als vielmehr die Generierung von Einnahmen über Anwaltsgebühren und Schadensersatzforderungen.

Frage: Was kostet eine Abmahnung in der Regel?

Kerstin Bontschev: Das hängt vom Streitwert ab, der oft recht willkürlich festgelegt wird. Bei Urheberrechtsverletzungen kann der Streitwert schnell mehrere Tausend Euro betragen, was dann Anwaltsgebühren von mehreren Hundert Euro zur Folge hat. Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken aus dem Jahr 2013 hat jedoch festgelegt, dass bei geringfügigen Verstößen maximal 150 Euro verlangt werden dürfen – zumindest bei der ersten Abmahnung.

Frage: Was passiert, wenn man die Abmahnung ignoriert?

Kerstin Bontschev: Das ist keine gute Idee. Wer die gesetzte Frist verstreichen lässt, riskiert eine gerichtliche Auseinandersetzung. Dann wird es erst richtig teuer, da zusätzlich Gerichtskosten anfallen. Deswegen: Auf jeden Fall reagieren – entweder durch Widerspruch, wenn die Abmahnung unberechtigt ist, oder durch eine modifizierte Unterlassungserklärung, wenn ein Verstoß vorliegt.

Frage: Was ist eine modifizierte Unterlassungserklärung?

Kerstin Bontschev: Das ist eine angepasste Erklärung, die meist weniger weitreichend ist als die vom Abmahner geforderte. Standard-Unterlassungserklärungen beinhalten oft eine lebenslange Verpflichtung, was völlig unverhältnismäßig ist. Ein Anwalt kann die Erklärung so umformulieren, dass sie nur das Nötigste umfasst und die Risiken minimiert.

Frage: Wie kann man sich präventiv vor Abmahnungen schützen?

Kerstin Bontschev: Zunächst sollte man genau aufpassen, was man online veröffentlicht und teilt. Das betrifft insbesondere Musik, Filme und fremde Bilder. Bei der Nutzung von WLAN in öffentlichen Räumen ist Vorsicht geboten – am besten keine Downloads durchführen. Außerdem sollte man seinen Internetanschluss ausreichend sichern und Mitbewohner oder Familienmitglieder sensibilisieren.

Frage: Was halten Sie von der Kritik, dass Abmahnungen oft als Geschäftsmodell missbraucht werden?

Kerstin Bontschev: Leider stimmt das in vielen Fällen. Manche Anwälte haben regelrechte Abmahnwellen ausgelöst, um schnelles Geld zu verdienen. Das schadet dem Ansehen der Rechtsberufe und belastet die Gerichte. Die Rechtsprechung hat mittlerweile reagiert und versucht, solchen Missbrauch durch gesetzliche Einschränkungen einzudämmen. Aber ganz aus der Welt ist das Problem leider noch nicht.

Frage: Vielen Dank für die aufschlussreichen Informationen, Frau Bontschev!

Kerstin Bontschev: Gern geschehen. Mein Rat: Bleiben Sie wachsam und informieren Sie sich, bevor Sie etwas im Netz teilen. Das kann im Zweifel teure Abmahnungen verhindern.

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