Beschluss des LG Chemnitz im Verfahren gegen Commerzbank AG Frankfurt

Landgericht Chemnitz  Zivilabteilung

BESCHLUSS

6 O 1847/14

In dem Rechtsstreit

Ingeborg Barthold, Kurzer Weg 10, 09217 Burgstädt

– Klägerin –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kälberer & Tittel, Knesebeckstraße 59-61, 10719 Berlin, Gz.: 321/14SQ28

 

gegen

 

Commerzbank AG, Kaiserplatz, 60311 Frankfurt

vertreten durch die Vorstände Frank Annuscheit, Markus Beumer, Martin Blessing, Stephan Engels, Michael Reuther, Stefan Schnittmann und Martin Zielke

– Beklagte –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Waldeck, Beethovenstraße 12-16, 60325 Frankfurt, Gz.: 107/2015

 

wegen Schadensersatz

erlässt die 6. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz durch

Richter am Landgericht Froede als Einzelrichter

am 24.03.2016

nachfolgende Entscheidung:

A.

Es wird auf Antrag des Antragstellers folgender Musterverfahrensantrag im Bundesanzeiger unter der Rubrik „Klageregister nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz“ (Klageregister) öffentlich bekannt gemacht:

1.

Beklagte:

Commerzbank AG, vertreten durch den Vorstand Martin Blessing, Frank Annuscheit, Markus Beumer, Stephan Engels, Michael Reuther, Stefan Schnittmann und Martin Zielke, Kaiserplatz, 60261 Frankfurt

2.

Bezeichnung des von dem Musterverfahrensantrag betroffenen Emittenten von Wertpapieren oder Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen:

IVG Euro Select Vierzehn GmbH & Co. KG.

3.

Bezeichnung des Prozessgerichts:

Landgericht Chemnitz.

4.

Aktenzeichen des Prozessgerichts: 6 O 1847/14.

5.
Feststellungsziele des Musterverfahrensantrags:

I.
Es wird festgestellt, dass der Verkaufsprospekt über die Beteiligung an der IVG EuroSelect Vierzehn GmbH & Co. KG. i.d.F. vom 20.07.2007 (nachfolgend Verkaufsprospekt) unrichtig, irreführend und unvollständig ist, insbesondere wird festgestellt,

a)
dass der Verkaufsprospekt die Einlage und das Eigenkapital des Joint-Venture-Partners, dessen finanzielle Verhältnisse, Kredite des Joint-Venture-Partners, dessen genaue Identität und die Verflechtungen mit der IVG Gruppe unrichtig, irreführend und unvollständig darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

b)
dass der Verkaufsprospekt den dargestellten angeblichen Kaufpreis von 600 Mio. GBP für den mittelbaren Erwerb der Immobilie „The Gherkin“ unrichtig, irreführend und unvollständig darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

c)
dass der Verkaufsprospekt die Reihenfolge der Verteilung des Kaufpreises im Falle einer Immobilienveräußerung und die bevorrechtigte Besicherung des Darlehens der IVG AG an den Joint-Venture-Partner in Höhe von 52 Mio. GBP unrichtig, irreführend und unvollständig darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

d)
dass der Verkaufsprospekt die Risiken und Besonderheiten der Swapgeschäfte des Fonds unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

e)
dass der Verkaufsprospekt verschleiert, dass es sich um ein leasingähnliches Fondsmodell handelt und der Verkäufer und Hauptmieter konzernidentisch ist und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

f)
dass der Verkaufsprospekt die Volatilität des Immobilienwertes der Immobilie „The Gherkin“, den niedrigeren Gestehungspreis der Immobilie und den tatsächlichen Verkehrswert in 2007 unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

g)
dass der Verkaufsprospekt unvertretbare Renditen prognostiziert und die wirtschaftlichen Grunddaten der Immobilie – Miethöhen, Mietsteigerungen, Mietsteigerungen aufgrund von Sonderkündigungsrechten, Auswirkungen der Upwards-Only-Klauseln und die Entwicklung der Kreditkosten – insbesondere auch im Hinblick auf den Joint-Venture-Partner – unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

h)
dass der Verkaufsprospekt die durch geplante Neubauvorhaben von Bürohochhäuser in demselben Marktsegment entstehende zusätzliche Konkurrenzsituation unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

i)
dass der Verkaufsprospekt die negativen Auswirkungen der Finanzkrise auf die Vermietung und den Wert von Londoner Büroimmobilien unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

j)
dass der Verkaufsprospekt eine angebliche Währungsabsicherung der CHF-Darlehen suggeriert und damit die Risiken derartiger Darlehen unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

k)
dass der Verkaufsprospekt nicht darüber informiert, dass im englischen Recht grundbuchrechtlich besicherte Immobilien von der Kreditbank freihändig ohne Zwangsversteigerungsverfahren nach Fälligstellung des Kredites verkauft werden können und damit die Risiken eines Zwangsverkaufes unrichtig, irreführend und verharmlosend darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

l)
dass der Verkaufsprospekt die sog. DSCR (Debit Service Cover Ratio – Verhältnis zwischen Kreditkosten und Miete) fehlerhaft und widersprüchlich darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt,

m)
dass der Verkaufsprospekt die gesellschaftlichen Verflechtungen zwischen der Treuhänderin Wert-Konzept und dem Emissionshaus, der IVG Immobilien AG, nicht darstellt und insoweit ein erheblicher Prospektfehler vorliegt.

II.
Es wird festgestellt, dass die unter Ziffern 1. a) bis 1. m) aufgeführten Prospektmängel jeweils für die Musterbeklagte bei der gebotenen sachkundigen Prüfung mit banküblicher Sorgfalt erkennbar waren.

 

6.

Knappe Darstellung des Lebenssachverhaltes:

Die Musterklägerin macht mit ihrer auf eine Haftung der beklagten Bank wegen fehlerhafter Anlageberatung gestützten Schadensersatzklage geltend, bei ihrer Anlageentscheidung im Rahmen eines geführten Beratungsgesprächs durch fehlerhafte und unvollständige Angaben zum Kauf der Beteiligung veranlasst worden zu sein. Der ihr mit der Beratung übergebene Verkaufsprospekt „The Gherkin“, den die IVG Immobilien Fonds GmbH unter dem 20.07.2007 herausgegeben hat, habe die Darstellung der Anlage durch den Berater der beklagten Bank als vorteilhaft und sicher mit guten Renditen wesentlich beeinflusst, die von ihr als fehlerhaft gerügten Prospektinhalte seien nicht bzw. nicht korrekt dargestellt worden. Bei richtiger Darstellung der im Musterantrag im Einzelnen aufgeführten Punke hätte sie die Beteilgung nicht gezeichnet. Die beklagte Bank hätte die Unrichtigkeit des Verkaufsprospekts hinsichtlich sämlicher gerügter Mängel erkennen und ihren Berater anweisen müssen, diese Inhalte im Beratungsgespräch korrekt darzustellen. Die beklagte Bank tritt der Darstellung entgegen. Die Musterklägerin habe sich kurzfristig zur Zeichnung entschlossen. Eine eingehende Beschäftigung mit dem Prospekt habe sie für entbehrlich gehalten. Der Prospektinhalt sei nicht kausal für die Anlageentscheidung gewesen. Kein Streit zwischen den Parteien besteht darüber, dass der Prospekt Informationsgrundlage der Mitarbeiterin der Beklagten war.

7.

Zeitpunkt des Eingangs des Musterverfahrensantrags beim Prozessgericht:

29.11.2015.

B.

Im Übrigen wird der Musterverfahrensantrag der Musterklägerin als unzulässig zurückgewiesen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG).

Gründe zu B:

Die Musterklägerin hat – über die in A. wiedergegebenen Anträge hinausgehend – auch beantragt, folgende Feststellungen zu treffen:

3.

Es wird festgestellt, dass die unter Ziffer 1. a) bis 1. m) aufgeführten Prospektmängel jeweils für die Musterbeklagte auch im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung des Prospektes erkennbar waren.

4.

Es wird festgestellt, dass der Musterbeklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass die unter Ziffer 1. a) bis 1. m) aufgeführten Prospektmängel richtig gestellt wurden.

5.

Es wird festgestellt, dass die Geschäftsberichte und Rundschreiben von 2008 bis 2012 keine hinreichenden Informationen über die unter Ziffer 1. a) bis 1. m) aufgeführten Prospektmängel enthalten, so dass diese Geschäftsberichte allein keine für einen Verjährungsbeginn notwendige Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis herbeiführen können.

6.

Es wird festgestellt, dass zu vermuten ist, dass die unter 1. a) bis 1. m) dargestellten Pospektmängel jeweils kausal für die Zeichnungen von Anlegern sind, auch wenn ein Prospekt zu spät oder gar nicht an den Anleger übergeben wurde.

Insoweit sind die beantragten Feststellungen nicht entscheidungserheblich.

Der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG ist eröffnet, denn der Musterkläger berühmt sich eines Schadensersatzanspruchs gegen die beklagte Bank, weil er bei seiner Anlageentscheidung im Rahmen eines auf der Grundlage des Verkaufsprospekts“The Gherkin“, den die IVG ImmobilienFonds GmbH unter dem 20.07.2007 herausgegeben hat, und der dortigen Angaben geführten Beratungsgesprächs durch fehlerhafte und unvollständige Angaben zum Kauf einer Beteiligung veranlasst worden sei. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Prospekt die maßgebliche Informationsquelle der Beklagten war.

Die Schadensersatzklage ist vor dem Landgericht Chemnitz als Eingangsinstanz unter dem Az.: 7 O 1881/14, jetzt 6 O 1881/14, rechtshängig (§ 2 Abs. 1 KapMuG), der Musterkläger begehrt die Feststellung des Vorliegens anspruchsbegründender Vorausetzungen bzw. von Rechtsfragen; auch ist ausreichend dargelegt, dass die Entscheidung über den Prospektinhalt für andere, gleichgelagerte Fälle Bedeutung haben kann.

Allerdings sind die oben genannten Feststellungsziele im Ausgangsrechtsstreit nicht entscheidungserheblich (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG). Das Feststellungsziel muss eine konkrete Verknüpfung zum Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aufweisen und potentiell entscheidungserheblich sein, d. h. der Ausgang des Rechtsstreits muss von der begehrten Feststellung abhängen können, wobei nicht notwendig ist, dass es für die Entscheidung (nur) noch auf die Klärung des Feststellungszieles ankommt.

Zu 3.:
Soweit die Musterklägerin eine Feststellung von Prospektmängeln im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung beantragte, kommt es nicht darauf an, weil der Beklagten im Ausgangsfall eine Prüfung des Verkaufsprospekts mit der banküblichen Sorgfalt – und nicht einer an anderen Kriterien oriente Plausibilitätsprüfung – obliegt.

Zu 4.:
Soweit der Musterkläger eine Feststellung zur Darlegungs- und Beweislast für die Richtigstellung mangelhafter Prospektangaben beantragt, kann eine solche Feststellung für die streitige Entscheidung keine Auswirkung haben. Denn weder die Musterklägerin noch die Beklagte behaupten eine solche Richtigstellung von Prospektangaben. Die Parteien streiten darüber, ob der Prospekt überhaupt fehlerhafte Angaben enthält und diese das Beratungsgespräch beeinflusst haben. Zudem ist nicht erkennbar, dass – für den Fall, dass eine Richtigstellung von Prospektangaben irgendwann noch vorgetragen und dann entscheidungserheblich wird – die Parteien über die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast streiten.

Zu 5.:
Soweit die Feststellung zum Verjährungsbeginn durch Informationen über Prospektmängel in Geschäftsberichten und Rundschreiben von 2008 bis 2012 begehrt wird, ist auch diese Frage nicht für die konkrete Entscheidung des Streitverfahrens erheblich. Denn die Beklagte, die sich auf die Verjährung beruft, behauptet gar keinen Hinweis auf Prospektmängel durch die von ihr genannten Informationsschreiben, sondern lediglich in den Schreiben enthaltene Informationen über Risiken, die – zusammen mit den ausbleibenden Ausschüttungen – bestimmte Kenntnisse des Anlegers zur Folge hätten haben müssen.

Zu 6.:
Die Feststellung zu einer vermuteten Kausalität eventueller Prospektmängel für die Zeichnung einer Anlage unabhängig von der Übergabe des Prospektes ist nicht entscheidungserheblich. Denn beide Parteien gehen insoweit übereinstimmend davon aus, dass kausal für den Beitritt des Musterklägers das Beratungsgespräch mit dem Berater der beklagten Bank war und der Bankberater seine Informationen allein aus dem Prospekt erlangt hat.

 

gez. Froede, Richter am Landgericht

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