Die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen vollziehen einen historischen Schritt: Sie trennen sich endgültig vom russisch kontrollierten Stromnetz und werden stattdessen in das europäische Verbundnetz integriert. Die Umstellung, die am 8. Februar beginnt, markiert das Ende einer jahrzehntelangen Abhängigkeit von Moskau und gilt als symbolischer Bruch mit der sowjetischen Vergangenheit.
Jahrelange Vorbereitung auf die Abkopplung
Seit dem Beitritt zur EU und NATO im Jahr 2004 haben die drei Länder daran gearbeitet, ihre Energieinfrastruktur zu modernisieren und von Russland unabhängig zu werden. Neue Hochspannungsleitungen wurden errichtet, darunter Seekabel nach Finnland und Schweden sowie die LitPol-Verbindung zwischen Litauen und Polen, die eine Anbindung an das europäische Stromnetz ermöglicht.
Bereits kurz nach Russlands Invasion in die Ukraine 2022 stellten die baltischen Staaten den Kauf von Strom aus Russland ein. Doch Russland kontrollierte weiterhin die Netzstabilität, regelte die Frequenz und hielt das Stromnetz technisch am Laufen – und das kostenlos als Erbe der Sowjetzeit. Dies bedeutete ein erhebliches Risiko:
„Russland hätte uns jederzeit den Strom abschalten können“, warnt Susanne Nies vom Helmholtz-Zentrum für Energieforschung.
Der Moment der Umstellung
Nach einer offiziellen Ankündigung vor sechs Monaten läuft am 7. Februar 2025 das BRELL-Abkommen (ein Energiepakt zwischen Belarus, Russland, Estland, Lettland und Litauen) aus. Am 8. Februar werden die drei Länder aus dem russischen Stromnetz ausgeschaltet und müssen für einen Tag als „elektrische Insel“ operieren. Am 9. Februar erfolgt die Synchronisation mit dem europäischen Netz, womit die vollständige Energieunabhängigkeit erreicht wird.
Die Umstellung ist mit hohen Investitionen verbunden: Über 1,2 Milliarden US-Dollar wurden aus EU-Fördermitteln bereitgestellt, um die Infrastruktur anzupassen und mögliche Risiken abzufedern. In Litauen läuft seit Monaten eine öffentliche Countdown-Uhr, die die verbleibenden Tage bis zur „Energieunabhängigkeit“ herunterzählt.
„Dies ist der endgültige Bruch mit der sowjetischen Besatzung“, sagt Jason Moyer, Analyst am Wilson Center.
Befürchtungen vor russischer Reaktion
Sicherheitsexperten warnen davor, dass Russland versuchen könnte, die Umstellung zu sabotieren – etwa durch Cyberangriffe, Desinformation oder physischen Sabotageakte.
Ein beunruhigendes Beispiel liefert die Ukraine: Sie testete ihre Trennung vom russischen Stromnetz nur wenige Stunden vor dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 – und konnte sich seitdem nicht wieder anschließen. Zudem haben russische Truppen immer wieder gezielt ukrainische Energieinfrastruktur angegriffen, darunter Kraftwerke und Stromleitungen.
Um mögliche Störmanöver zu verhindern, haben die baltischen Staaten verstärkte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen:
- Litauen ließ bereits 2024 alte sowjetische Stromkabel zu Belarus kappen.
- Estland mobilisiert zusätzliches Sicherheitspersonal zum Schutz von Energieanlagen.
- NATO hat eine neue Mission zum Schutz von Unterseekabeln gestartet, nachdem bereits mehrere Kabel im Baltischen Meer beschädigt wurden.
Besondere Sorge bereitet die Lage in Kaliningrad, der russischen Exklave zwischen Litauen und Polen. Das Gebiet muss künftig als Strominsel operieren, und Experten halten es für möglich, dass Moskau eine inszenierte Stromkrise als politisches Druckmittel gegen den Westen nutzen könnte.
Fazit: Ein geopolitischer Wendepunkt
Die Abkopplung der baltischen Staaten vom russischen Stromnetz ist ein bedeutender strategischer Erfolg für die EU und ein herber geopolitischer Verlust für Moskau.
„Dies zeigt, dass Russland seinen Einfluss in der Region verliert“, so Moyer.
Während die baltischen Regierungen ihre Energieunabhängigkeit feiern, bleibt die Frage offen, ob Moskau den historischen Bruch widerstandslos hinnimmt – oder versuchen wird, auf anderem Wege Druck auszuüben.
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