Zwang der Banker zu Anstand und Moral analog zu Ärzten gemäß dem Eid des Hippokrates

Für Banker taugt dergleichen nicht. Wenn das eigene Portemonnaie angegriffen wird, werden die Finanzjongleure sich um die Folgen ihres Handelns kümmern.

Die Finanzkrise vor etwa zehn Jahren dürfte nicht jedes Finanzprodukt im übertragenen Sinne als  Gold ansehen, das für Banker glänzt.  Die Branche soll sich verändert haben. Dennoch scheint der Kampf zwischen Beharrungskräften und Veränderungswille nicht ausgefochten zu sein. Gibt es einen ethischen Wandel in der Finanzbranche? Diese Frage zur Berufsethik für Banker könnte mit der Medizin verglichen werden, die seit Jahrtausenden dem Hippokratischen Eid folgt. Dieser stellt heute keine Rechtsverbindlichkeit mehr dar, obwohl die Gesundheit und im Ernstfall das Leben von Patienten, heute Kunden, auf dem Spiel steht. Ärzte und Pflegepersonal befinden sich in einer strukturell überlegenen Position:

Sie wissen mehr und verfügen über relevante Erfahrungen, während Patienten als Kunden meist nicht in der Lage sind Entscheidungen zu treffen. Dieser Vorteil kann zugunsten des Wohls der Patienten oder des eigenen Geldbeutels genutzt werden. Solche Situationen sind schwer zu kontrollieren. Wer kann wissen, ob Arzt oder Ärztin nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben, schuldhafte Nachlässigkeit oder unangemessene Priorisierung eigener Interessen vorlag? Hier setzt das ärztliche Ethos an. Bestimmte Dinge würde ein Arzt oder eine Ärztin auch ohne Verbindlichkeit des Eids des Hippokrates nicht tun – soweit die Theorie!

Lässt sich dieses Konzept des Glaubens in eine an Vertrauen orientierte Leistung zum Wohle Dritter  auf eine Branche anwenden, deren Tätigkeitsfeld nicht die Bereitstellung von direkt nutzbaren Gütern und Dienstleistungen ist, sondern der Handel mit Finanzprodukten, der  Metaebene des Marktgeschehens? Drei Faktoren machen es schwierig, eine Berufsethik für Banker zu etablieren.

Erstens liegen die Schäden, die entstehen können, wenn eine Spekulationsblase platzt oder andere nicht erwartete Unregelmäßigkeiten eintreten, in der Zukunft. Es ist unklar, wen sie treffen werden – irgendjemand könnte sein Haus, seinen Job verlieren oder um seine Ersparnisse gebracht werden. Derartige „statistische Opfer“ motivieren Menschen weniger dazu schädliches Verhalten zu reduzieren, als die Gefahr benennbaren Opfern Schaden zuzufügen.

Zweitens stehen die Einzelnen vor der Herausforderung Entwicklungen zu antizipieren, die aus ethischer Sicht problematisch sind. Die Finanzwelt ist arbeitsteilig und verhält sich nicht immer so, wie es Modelle vorhersagen. Wie kann moralische Verantwortung übernommen, wenn das Individuum nicht weiß, was sich zusammenbraut?

Drittens entstehen moralische Probleme im Finanzsystem beim Zusammenspiel vieler Akteure, so dass zu ihrer Verhinderung Koordination gefragt ist. Das gleicht nicht dem individuellen Verhältnis zwischen Patient und Arzt als der Herausforderung, eine Epidemie zu verhindern. Es ist kein Zufall, dass Begriffe wie „Ausbruch“ oder „Ansteckung“ auch in der Finanzwelt verwendet werden.

Lassen sich diese Dilemmata auflösen? Die Berufssoziologie liefert einen Ansatzpunkt. Talcott Parsons sprach 1939 von der „integrierten Situation“ als einem Idealfall, in dem normative Erwartungen der Gesellschaft mit Zielen der „professionals“ in Einklang gebracht werden. Problematische Ergebnisse entstünden, wenn verschiedene Ziele, wie fachliche Erfolge, berufliche Anerkennung und /oder finanzieller Erfolg, auseinanderklafften (vgl. Herzog, Lisa TU München).

Es ist eine Frage der umgebenden Institutionen, kultureller Normen und der Verteilung beruflicher Anerkennung, ob Berufstätige „integrierte“ Situationen erleben oder nicht. Im Finanzsektor könnten Banker zentrale Rollen im Alltagsgeschäft spielen, so dass nicht durch Spekulation oder Platzierung riskanter Produkte negative gesellschaftliche Auswirkungen entstehen. Gemäß der Logik der „integrierten Situation“ müssen ethische und kulturelle Standards auf Basis der  finanziellen Anreizsituation Einzelnen zur Verantwortungsübernahme drängen. Wer detailliertes Wissen und die meiste Erfahrung mit Finanzprodukten hat, müsste Interesse daran haben, dass dort keine Entwicklungen entstehen, die zu ethischen Problemen führen.

Das Prinzip der Haftung sollte dafür sorgen, dass Marktteilnehmer dieses Interesse haben, obwohl Finanzmärkte bedingt „Märkte“ im herkömmlichen Sinn sind. Die Problematik, dass viele Unternehmen „too big to fail“ sind und auf Rettung durch den Steuerzahler hoffen können, wird durch die meisten Individuen im Finanzsystem „erweitert“, die nicht auf eigene Rechnung handeln.

Sie können Boni oder ihren Job verlieren, aber das eigene Vermögen steht selten auf dem Spiel. Auf der Ebene der Finanzunternehmen und ihrer Aktionäre mangelt es an regulatorischen Standards ( Admati, Anat und Hellwig, Martin). Es könnte die Ebene der Banker als Institution reffen. Sollte das Geschäft mit riskanten Finanzprodukten nur dann erlaubt sein, wenn die Handelnden bereit sind eigenes Geld aufs Spiel zu setzen? Insolvenzverwalter führen das in ihrem Beruf vor.

Veränderungen in den Haftungsstrukturen könnten dazu führen, dass sich Berufstätige zusammenschließen, um potenzielle Probleme mit Verbänden und Berufsgruppen anzugehen.       Das würde das Koordinationsproblem lösen, wenn maximale Transparenz eingefordert wird, um zu verhindern, dass verbesserter Informationsfluss zwischen Akteuren, deren Konkurrenz das Geschäft beleben soll, neue Probleme entstehen lässt. Damit könnten die sozialen Räume geschaffen werden, in denen sich eine veränderte Struktur beruflicher Anerkennung entwickelt. Es sollte eine Diskussion stattfinden, was es bedeutet, ein „guter“ Banker zu sein – nicht im Sinne kurzfristigen materiellen Erfolgs, sondern, wofür die Gesellschaft diesen Berufsstand braucht (vgl. Herzog ebda.)

Wäre das „Berufsethik“? Es ist nicht die höchste Form der Tugenden, wenn finanzielle und soziale Anreize Individuen in die normativ wünschenswerte Richtung drängen. Das heißt nicht, dass diese Anreize nicht für die Vermeidung moralischer – und ökonomischer! – Desaster wie bei der  Finanzkrise nach 2008 entscheidend sein könnten. Adam Smith wusste im 18. Jahrhundert, dass Marktgesellschaften die „mittleren“ Tugenden brauchen, um für die Masse der Bevölkerung erreichbar zu sein und nicht nur für einige moralische Heroen. Vielen modernen ökonomischen Theorien hatte er damit etwas voraus.

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