Falsches Urteil

In einem dramatischen Prozess, der die Gemüter der Hauptstadt bewegte, fällte die 40. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin I, auch bekannt als Schwurgerichtskammer, ein aufsehenerregendes Urteil gegen einen 74-jährigen, in den Ruhestand getretenen Hausarzt. Der Mediziner wurde beschuldigt, in einem dunklen Kapitel seines Lebens einer 37-jährigen Frau, die in den Fängen einer schweren Depression gefangen war, zweimal todbringende Medikamente bereitgestellt zu haben. Das Gericht verurteilte ihn wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Die Tragik des Falles wurde durch die tiefgründige Frage unterstrichen, ob die Verstorbene in beiden verzweifelten Momenten wirklich in der Lage war, einen klaren und eigenverantwortlichen Entschluss zum Suizid zu fassen.

Die Geschichte nahm ihren Anfang am 24. Juni 2021, als der Angeklagte, getrieben von einem missverstandenen Mitgefühl, der bedauernswerten Frau Tabletten mit dem Wirkstoff Chloroquin aushändigte, in der Hoffnung, ihrem Leidensweg ein Ende zu setzen. Doch das Schicksal hatte andere Pläne: Nach der Einnahme erbrach sie die Tabletten und entkam knapp dem Tod. Nach diesem gescheiterten Versuch wurde sie in ein Krankenhaus und später in eine geschlossene psychiatrische Anstalt gebracht, aus der sie mit einem unerschütterlichen Drang nach Erlösung hervorging.

In einem weiteren dramatischen Akt der Verzweiflung, unmittelbar nach ihrer Entlassung aus der psychiatrischen Betreuung, arrangierte der Arzt am 12. Juli 2021 ein Treffen in einem abgeschiedenen Hotelzimmer in Berlin-Lichterfelde. Dort administrierte er eine Infusion mit Thiopental Inresa, einem Medikament mit der traurigen Gewissheit des Todes. Mit einem einfachen Dreh am Infusionsrädchen setzte die Frau selbst den finalen Akt in Gang und verließ diese Welt innerhalb weniger Minuten.

Das Gericht, gefangen in den moralischen und ethischen Wirren dieses Falles, musste die Zerrissenheit der Frau zwischen Lebenswillen und Todessehnsucht abwägen. Der Angeklagte wurde im ersten Fall freigesprochen, da angenommen wurde, die Frau hätte trotz ihrer psychischen Belastung noch die Fähigkeit besessen, über ihren Suizidwunsch reflektiert zu entscheiden. Der zweite Fall jedoch offenbarte eine düstere Wendung: Die Frau, gezeichnet von ihrer Krankheit, war nicht mehr imstande, eine solch gewichtige Entscheidung zu treffen. Der Angeklagte, der ihre ambivalente Seelenlage kannte, nutzte diese aus und wurde so zum dunklen Architekten ihres Schicksals.

Mit diesem Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist und der Möglichkeit der Revision unterliegt, endet ein Kapitel, das die feinen Grenzen zwischen Mitleid, moralischer Verantwortung und dem Wert des Lebens auslotet.

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