Reichsbürger Urteil

Leitsatz

Die Einstufung als „Reichsbürger“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz ist allein nicht geeignet, die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu begründen, wenn nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Tatsachen diese Einstufung getroffen wurde bzw. weshalb die zugrunde gelegten Tatsachen zu der Einstufung geführt haben.

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang

vorgehend VG Freiburg (Breisgau), 5. Juli 2023, 2 K 499/23, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 5. Juli 2023 – 2 K 499/23 – wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.250,– EUR festgesetzt.

Gründe

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1. Die nach § 146 Abs. 4 VwGO statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat keinen Erfolg. Die zur Begründung der Beschwerde innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat grundsätzlich beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), geben dem Senat keine Veranlassung, den Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern und den Antrag des Antragstellers auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs (zum Widerspruch als Träger der aufschiebenden Wirkung auch nach Erlass des Widerspruchsbescheids und Erhebung der Anfechtungsklage vgl. BVerwG, Urteil vom 27.10.1987 – 1 C 19.85 -, BVerwGE 78, 192 <juris Rn. 45>; HessVGH, Beschluss vom 20.10.2014 – 6 B 1583/14 -, NVwZ 2015, 533 <juris Rn. 7>; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.03.2023 – 6 S 1168/22 -, juris Rn. 3 m.w.N.) gegen die Widerrufsverfügung des Landratsamts Ortenaukreis vom 10.08.2021 abzulehnen.
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a) Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den – kraft Gesetzes bzw. aufgrund ausdrücklicher Anordnung sofort vollziehbaren – Bescheid des Landratsamts Ortenaukreis vom 10.08.2021, mit dem die ihm erteilten Waffenbesitzkarten widerrufen wurden (Ziffer 1), ihm aufgegeben wurde, die Waffenbesitzkarten und eventuell vorhandene Zweit- oder Mehrfertigungen oder beglaubigte Fotokopien zurückzugeben (Ziffer 2) sowie die in den Waffenbesitzkarten eingetragenen Schusswaffen zusammen mit eventuell vorhandener Munition nachweislich an Berechtigte zu überlassen oder dauerhaft unbrauchbar machen zu lassen (Ziffer 3) und ein Zwangsgeld für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der sich aus den Ziffern 2 und 3 ergebenden Pflichten angedroht wurde (Ziffer 5), stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiege das öffentliche Vollziehungsinteresse, da der Widerruf der Waffenbesitzkarten ernsthaften rechtlichen Bedenken begegne und daher die dagegen erhobene Klage mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben werde. Für die Kammer sei bereits nicht ansatzweise nachvollziehbar, weshalb das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg allein aus der mehrfachen Verwendung des Briefkopfes „Befürworter der Zielvorstellungen der IVS-DD + R Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ darauf schließe, der Antragsteller gehöre den sogenannten „Reichsbürgern“ an und sei daher unzuverlässig. Informationen über die genannte Initiative lägen nicht vor und seien weder in der Beantwortung der Anfrage des Landratsamts durch das Landesamt für Verfassungsschutz noch in den jüngsten Verfassungsschutzberichten enthalten. Auch aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen hätten keine validen Informationen gewonnen werden können. Ungeachtet dessen könne allein auf den Umstand, dass der Antragsgegner eine Person dem Kreis der „Reichsbürger“ zuordne, keine abschließende Prognose zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit gestützt werden. Erforderlich sei stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person. Selbst wenn die Verwendung des genannten Briefkopfes als Sympathiebekundung anzusehen sei, sei nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller gegenüber staatlichen Behörden gegen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland oder die Verbindlichkeit der geltenden Rechtsvorschriften ausgesprochen habe. Der seit geraumer Zeit verwendete Briefkopf „Militia Immaculatae – Karmel-Skapulier-Ordensbruderschaft“ lasse keine Schlüsse auf eine Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerszene“ zu, da es sich dabei um einen als geistliche Gemeinschaft anerkannten internationalen Verein von Gläubigen der römisch-katholischen Kirche handele. Soweit der Antragsgegner die Unzuverlässigkeit des Antragstellers auch aus § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. a und lit. c WaffG ableite, begegne dies ebenfalls ernstlichen Bedenken, da es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen fehle. Der Widerruf der Waffenbesitzkarten könne auch nicht auf eine mangelnde persönliche Eignung des Antragstellers gestützt werden. Ein Fall der zwingenden Nichteignung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 WaffG liege nach Lage der Akten nicht vor. Hiervon gehe auch der Antragsgegner, der ausdrücklich nur mit Blick auf die von ihm angenommene Unzuverlässigkeit von der Einholung eines amts- oder fachärztlichen oder fachpsychologischen Zeugnisses über die geistige und körperliche Eignung des Antragstellers abgesehen habe, nicht aus. Das Fehlen der persönlichen Eignung stehe damit nicht fest.
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b) Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragsgegners ohne Erfolg. Das Beschwerdevorbringen stellt die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung, die ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung erbracht hat, nicht mit Erfolg in Frage. Denn an der Rechtmäßigkeit der Widerrufsverfügung bestehen auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags durchgreifende Bedenken.
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Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Die Erteilung einer Erlaubnis setzt nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG unter anderem voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Im Fall des Antragstellers liegen bei summarischer Prüfung weder hinreichende Anhaltspunkte für eine (absolute) Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG noch für eine Unzuverlässigkeit aufgrund der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG vor.
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aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.05.2007 – 6 C 24.06 -, NVwZ 2007, 1202 <juris Rn. 35 m.w.N.>; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2018 – 1 S 1726/17 -, VBlBW 2019, 189 <juris Rn. 44> und Urteil vom 23.06.2021 – 6 S 1481/18 -, SpuRt 2022, 124 <juris Rn. 28>), hier der Erlass des Widerspruchsbescheids im Januar 2022.
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bb) Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a bis c WaffG Personen nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sorgfaltsanforderungen für den Umgang mit Waffen und Munition nicht beachten werden, etwa diese Gegenstände missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, nicht sorgfältig verwahren oder nicht berechtigten Personen überlassen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.07.2018 – 6 B 79.18 -, NJW 2018, 2812 <juris Rn. 5>; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.05.2021 – 6 S 2193/19 -, VBlBW 2022, 67 <juris Rn. 22>).
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Über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist aufgrund einer Prognose des künftigen Verhaltens zu entscheiden, an die keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.2015 – 6 C 1.14 -, NJW 2015, 3594 <juris Rn. 17>). Maßstabsbildend ist der Gesetzeszweck. Dieser besteht darin, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Gebot der Risikominimierung ist Ausdruck der präventiven Gefahrenvorsorge. Daraus folgt, dass nur solche Personen als zuverlässig gelten können, bei denen die tatsächlichen Umstände keinen vernünftigen Zweifel zulassen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.2015 – 6 C 1.14 -, NJW 2015, 3594 <juris Rn. 17>; Beschluss vom 10.07.2018 – 6 B 79.18 -, NJW 2018, 2812 <juris Rn. 6 m.w.N.>). Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.2015 – 6 C 1.14 -, NJW 2015, 3594 <juris Rn. 17>). Die Prognose im Hinblick auf mangelnde Zuverlässigkeit setzt nicht den Nachweis voraus, der Betroffene werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht verantwortungsbewusst umgehen. Es genügt vielmehr, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen zukünftigen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2018 – 1 S 1726/17 -, VBlBW 2019, 189 <juris Rn. 49 m.w.N.>). Ein Restrisiko muss dabei nicht hingenommen werden (st. Rspr., vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 S 1470/17 -, VBlBW 2018, 150 <juris Rn. 25 m.w.N.>). Im Rahmen der Prognose ist das Verhalten einer Person in der Vergangenheit zu berücksichtigen; daneben ist aber auch jeder andere Umstand, der beurteilungsrelevant sein kann, mit einzubeziehen (vgl. HessVGH, Urteil vom 30.11.2022 – 4 A 2186/20 -, DVBl 2023, 542 <juris Rn. 44>).
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Die im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG anzustellende Prognose muss allerdings ausweislich des Wortlauts stets auf „Tatsachen“ gestützt sein. Bloße Vermutungen reichen daher nicht aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.10.2017 – 1 S 1470/17 -, VBlBW 2018, 150 <juris Rn. 26>; Gade, Waffengesetz, 3. Auflage 2022, § 5 Rn. 18). Die zuständige Behörde trägt im Streitfall die materielle Beweislast für das Vorliegen von Tatsachen, aus denen sie eine zukünftige Unzuverlässigkeit des Betroffenen herleitet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.12.2001 – 21 ZS 01.1719 -, BayVBl 2002, 767 <juris Rn. 7>). Zu beachten ist insoweit jedoch, dass keine für eine strafrechtliche Verurteilung notwendige Überzeugungsgewissheit bestehen muss und der strafrechtliche Grundsatz „in dubio pro reo“ angesichts des das Waffenrecht prägenden Sicherheitsgedankens keine Anwendung findet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16.03.1998 – 21 ZB 97.3337 -, juris Rn. 11). Tatsachen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG sind deshalb auch dann anzunehmen, wenn die der behördlichen Prognose zugrunde gelegten Umstände z.B. durch Indizien oder Zeugenaussagen so erhärtet sind, dass an ihnen vernünftigerweise kein Zweifel besteht (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.10.2023 – 6 S 408/22 -, n.v., amtl. Umdr. S. 13; VG Würzburg, Beschluss vom 07.09.2009 – W 5 S 09.786 -, juris Rn. 15).
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Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte vorgelegen haben, die die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigten.
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Insbesondere hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Einstufung des Antragstellers als „Reichsbürger“ durch das Landesamt für Verfassungsschutz allein nicht geeignet ist, die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu begründen, wenn – wie hier – nicht nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Tatsachen diese Einstufung getroffen wurde bzw. weshalb die zugrunde gelegten Tatsachen zu der Einstufung geführt haben. Der verfassungsschutzrechtliche Einstufungsvorgang als solcher bildet keine ausreichende Anknüpfungstatsache, sondern muss, um der waffenrechtlichen (Un-)Zuverlässigkeitsprognose zugrunde gelegt werden zu können, seinerseits auf tatsächlichen Erkenntnissen beruhen, die die Einstufung als „Reichsbürger“ plausibilisieren. Soweit der Antragsgegner mit seiner Beschwerde hiergegen geltend macht, es sei nicht Aufgabe der Waffenbehörde, die Erkenntnisse des Landesamts für Verfassungsschutz in Frage zu stellen, so wie auch ein fachpsychologisches Gutachten nicht hinterfragt werden dürfe, geht dieser Vergleich bereits im Ansatz fehl. Die Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens ist, bevor es einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden kann, seitens des Entscheidungsträgers selbstverantwortlich zu überprüfen und zu würdigen. Teilt das Gutachten lediglich ein Untersuchungsergebnis mit, ohne auch nur ansatzweise darzulegen und zu plausibilisieren, aufgrund welcher Tatsachen, wissenschaftlichen Erkenntnisse und Maßstäbe es erzielt wurde, ist dies regelmäßig nicht möglich (zur gerichtlichen Prüfungspflicht im Rahmen des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO vgl. BVerwG, Urteil vom 17.09.1987 – 7 C 79.86 -, NJW 1988, 925 <juris Rn. 7>; zum dafür notwendigen Inhalt eines Gutachtens vgl. BFH, Urteil vom 05.11.1981 – IV R 103/79 -, NJW 1982, 1608 <juris Rn. 15>; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Auflage 2023, § 86 Rn. 9 m.w.N.). Ebenso sind Behörden und Gerichte gehalten, die vom Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilte Kategorisierung auf Schlüssigkeit und darauf zu prüfen, ob sich aus der Kategorisierung und aus dem ihr zugrundeliegenden Sachverhalt eine ausreichende Tatsachenbasis für die waffenrechtliche Prognoseentscheidung und die darauf gestützte Eingriffsmaßnahme ergibt (ähnlich BayVGH, Beschluss vom 30.01.2024 – 24 CS 23.1872 -, juris Rn. 14).
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Dies zugrunde gelegt hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass vorliegend in keiner Weise nachvollziehbar ist, weshalb das Landesamt für Verfassungsschutz den Antragsteller als „Reichsbürger“ eingestuft hat. Als verwertbare Erkenntnis hat es in tatsächlicher Hinsicht lediglich mitgeteilt, der Antragsteller habe sich im Rahmen einer Beschwerde gegen das Vorgehen der Gemeinde in Bezug auf seine Hundehaltung an das Landratsamt Ortenaukreis gewandt und beim ersten Kontakt direkt seine Depressionen angesprochen, jedoch grundsätzlich keinen auffälligen Eindruck gemacht. Seinen Schriftstücken habe er jedoch den Briefkopf „Befürworter der Zielvorstellungen der IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ beigefügt. Hieraus ergeben sich für die nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Prognose keine ausreichenden Anknüpfungstatsachen, die auf eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit schließen lassen. Weder dem in den Verwaltungsakten enthaltenen Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz an das Landratsamt Ortenaukreis vom 08.01.2021 noch den jüngsten Verfassungsschutzberichten lassen sich Informationen über eine Vereinigung „IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ entnehmen. Ob eine solche überhaupt existiert, sowie dass und weshalb diese dem Spektrum der „Reichsbürger“ zuzuordnen ist, lässt sich nicht ansatzweise nachvollziehen. Auch aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen ergeben sich hierzu keine belastbaren Erkenntnisse. Eine Würdigung des Verhaltens des Antragstellers, der sich ausweislich des von ihm verwendeten Briefkopfs als „Befürworter“ einer solchen Vereinigung bezeichnet hat, ist im Rahmen der waffenrechtlichen Prognose daher nicht möglich.
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Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Beschwerdevorbringen. Der Antragsgegner hat in Kenntnis der vom Verwaltungsgericht beanstandeten Informationslage lediglich auf die Antwort des Thüringer Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage des Thüringer Landtags im Jahr 2013 verwiesen, in der seinerzeit der „Reichsbürgerbewegung“ zugeordnete Gruppierungen benannt wurden (Drucksache 5/6314, S. 2). Hier ist unter anderem die Gruppierung „Initiative VolksSelbstbestimmung-Direkte Demokratie – Thing Gemeinschaft (VSDD-TG)“ aufgeführt. Dies lässt indes keine belastbaren Schussfolgerungen auf die vom Antragsteller benannten „Zielvorstellungen der IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ zu. Der Antragsgegner zeigt insoweit weder auf, dass es sich trotz der Unterschiede in der Bezeichnung um dieselbe Gruppierung handelt, noch dass sich die aus dem Jahr 2013 stammenden Erkenntnisse mit der aktuellen Informationslage bzw. derjenigen zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids decken. Dem Antragsgegner ist zwar darin zuzustimmen, dass der jährliche Verfassungsschutzbericht keine Vollständigkeit beansprucht und daher aus dem Umstand, dass die „IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ darin nicht genannt ist, nicht geschlossen werden kann, diese habe mit der „Reichsbürgerszene“ nichts zu tun. Einen solchen Schluss hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht gezogen, sondern lediglich festgestellt, dass sich auch den jüngeren Verfassungsschutzberichten keine Informationen über eine Vereinigung „IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ entnehmen ließen. Dies stellt der Antragsgegner mit der Beschwerde nicht durchgreifend in Frage.
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Soweit der Antragsgegner mit seiner Beschwerde ausführlich darlegt, dass und weshalb Personen, die der „Reichsbürgerszene“ angehören, als waffenrechtlich unzuverlässig anzusehen seien, verhilft dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung – selbständig tragend – auch darauf gestützt, dass bereits die Einstufung des Antragstellers als „Reichsbürger“ nicht nachvollziehbar sei und daher darauf die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nicht aufbauen könne. Da die Beschwerde diese tragenden Gründe nach den vorstehenden Ausführungen nicht mit Erfolg in Frage stellt, kommt es auf die Frage, welche Schlussfolgerungen aus einer Zuordnung zur „Reichsbürgerszene“ zu ziehen sind, nicht mehr an.
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Die fehlende Nachvollziehbarkeit der Einordnung des Antragstellers als „Reichsbürger“ wird schließlich auch nicht durch das ergänzende Beschwerdevorbringen behoben, mit dem der Antragsgegner darauf hinweist, der Antragsteller habe sich, nachdem er aufgefordert worden sei, zur Überprüfung seiner persönlichen Eignung ein amts-, fachärztliches oder fachpsychologisches Gutachten im Sinne des § 6 Abs. 2 WaffG beizubringen, an einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aus Berlin gewandt, der bekanntermaßen „Reichsbürger“ sei. Hierbei kann offenbleiben, ob die Kontaktaufnahme zu einer als „Reichsbürger“ bekannten Person und deren Beauftragung mit der Begutachtung in einem waffenrechtlichen Verwaltungsverfahren hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme bilden, der Auftraggeber identifiziere sich selbst mit der „Reichsbürgerbewegung“. Denn bei der Kontaktaufnahme und Beauftragung des Facharztes aus Berlin handelt es sich in zeitlicher Hinsicht nicht um berücksichtigungsfähige Anknüpfungstatsachen. Wie bereits dargelegt, ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im hier vorliegenden Fall des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, namentlich der Erlass des Widerspruchsbescheids im Januar 2022. Danach liegende Umstände sind für die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung nicht maßgebend und können sich gegebenenfalls erst in einem neuen Verwaltungsverfahren auswirken (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15.08.2016 – 21 CS 16.1247 -, juris Rn. 17). Der Antragsteller hat, soweit ersichtlich, erst im August 2023 – und damit deutlich nach Erlass des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2022 – Kontakt zu der als „Reichsbürger“ bekannten Person zwecks Erstellung eines Gutachtens aufgenommen. Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der hier angegriffenen Verfügung konnte dieser Umstand daher nicht mehr haben.
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cc) Vor dem Hintergrund, dass die „IVS-DD + R, Initiative Volks-Selbstbestimmung – Direkte Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ – falls sie überhaupt existiert – nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht nachvollziehbar der „Reichsbürgerszene“ zugeordnet werden kann, ist auch nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht eine Unzuverlässigkeit aufgrund der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG verneint hat. Das Beschwerdevorbringen setzt sich hiermit nicht weiter auseinander.
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dd) Die Widerrufsverfügung vom 10.08.2021 erweist sich auch nicht aufgrund einer fehlenden persönlichen Eignung des Antragstellers nach § 45 Abs. 2 Satz 1, § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 WaffG als rechtmäßig.
Randnummer17
Das Landratsamt hat die Widerrufsverfügung selbst nicht auf die fehlende persönliche Eignung gestützt, da es hierfür die vorherige Einholung eines Gutachtens nach § 6 Abs. 2 WaffG für erforderlich gehalten, hiervon jedoch in Ansehung der von ihm angenommenen waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers nach § 5 WaffG abgesehen hat. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens macht der Antragsgegner nunmehr geltend, der Antragsteller sei der mit Schreiben vom 14.08.2023 erfolgten Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens nach § 6 Abs. 2 WaffG nicht nachgekommen, so dass nach Ablauf der Frist nunmehr gemäß § 4 Abs. 6 der Allgemeinen Waffengesetz-Verordnung (AWaffV) auf seine Nichteignung zu schließen sei.
Randnummer18
Die Frage, ob es grundsätzlich rechtlich zulässig ist, eine auf die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit gestützte Widerrufsverfügung im gerichtlichen Verfahren mit der persönlichen Nichteignung zu begründen und damit einen teilweisen „Austausch“ der Rechtsgrundlage und der tatsächlichen Gründe für den Widerruf vorzunehmen, lässt der Senat ebenso offen, wie die Frage, ob die Voraussetzungen des § 4 Abs. 6 AWaffV vorliegen. Denn die Umstände, die hier zur Verneinung der persönlichen Eignung des Antragstellers führen könnten, namentlich die Nichtbeibringung des Gutachtens, sind nach Erlass des Widerspruchsbescheids eingetreten und aufgrund des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage (siehe dazu die vorstehenden Ausführungen) hier nicht berücksichtigungsfähig.
Randnummer19
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Randnummer20
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG in Verbindung mit Nr. 50.2 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 und folgt der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das Verwaltungsgericht.
Randnummer21
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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