Interessengemeinschaften und Anlegermandate: Exklusives Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek, BEMK Rechtsanwälte

diebewertung: Herr Blazek, manche Anlegeranwälte beschweren sich über den Zulauf von Anlegermandaten an andere Anwälte. Manchmal fällt das Stichwort der Interessenkollision. Eine Verbraucherzentrale warnt vor einer Interessengemeinschaft aus Anlegern und Vermittlern. Was halten Sie davon?

Blazek: Das ist ein weites Feld. Ich kann die unterschiedlichen Standpunkte grundsätzlich nachvollziehen. Es werden aber auch einige Scheindebatten geführt.

diebewertung: Welches sind denn die unterschiedlichen Standpunkte?

Blazek: Auf der einen Seite stehen die Interessen der Finanzdienstleister. Sie wollen tendenziell wenig verklagt werden, haben auf der anderen Seite aber auch oft ähnliche Interessen wie die Anleger. Insbesondere geht es um Transparenz auf Seiten der Anlagegesellschaften, aber auch schlicht um den Versuch sachlicher Lösungen innerhalb der Anlagen. Manchmal werden Ermittlungsverfahren durchgeführt bzw. steht Mittelverwendung auf dem Prüfstand. Diese Fragen  vereinen Anleger und Vermittler grundsätzlich sogar, da sie beide insoweit der jeweiligen Anlagegesellschaft gegenüber stehen. Auf der anderen Seite stehen die Interessen der Anleger. Dies kann grundsätzlich auch bedeuten, dass man den Vermittler in Anspruch nehmen will. Aber an diesem Punkt beginnen in aller Regel die Ungenauigkeiten.

diebewertung: Wie meinen Sie das?

Blazek: Googeln Sie mal einen beliebigen Krisenfall am Kapitalmarkt. Bereits auf der ersten Seite der Suchergebnisse finden Sie Hinweise diverser Anwälte auf eine mögliche Haftung des Finanzdienstleisters. Manchmal ist das sogar mit Zusätzen versehen wie „So bekommen Sie Ihr Geld zurück“. Dabei gibt es auch positive Ausnahmen, aber der Regelfall ist, dass überall dort, wo eine Kapitalanlage in Schieflage gerät, quasi automatisch die Vermittler- oder Beraterhaftung empfohlen wird. Es soll im Ergebnis mit der Erwartungshaltung der Anleger Mandantenfang betrieben werden, dass Verlust quasi automatisch einen Anspruch auf Schadensersatz bedeutet. Das ist aber falsch. Es gibt kein Recht auf ewigen Gewinn oder zumindest Verlustausgleich, jedenfalls nicht per se, auch nicht für Verbraucher.

diebewertung: Was ist daran falsch?

Blazek: Ein Schadensersatz infolge einer Pflichtverletzung eines Anlagevermittlers oder Anlageberaters ist kein automatischer Reflex. Es erfordert stets eine Einzelfallbetrachtung und im Fall des Gerichtsprozesses eine hinreichende Beweisführung des Klägers im konkreten Lebenssachverhalt. Grundsätzlich – ohne jetzt eine spezielle Kapitalanlage oder bestimmte Urteile in  besonderen Fallgruppen zu betrachten – ist dabei die Ausgangsposition des Klägers schwieriger als die des beklagten Vermittlers oder Beraters. Bei der üblichen Mandatswerbung geht das allerdings unter.

diebewertung: Einige Anlegeranwälte kritisieren, dass Vermittler und Berater ihrerseits andere Anwälte empfehlen und sprechen insoweit von einem Interessenkonflikt. Was trifft daran zu?

Blazek: Daran trifft in erster Linie zu, dass die meisten Anlegeranwälte dies nur als sachliches Argument vorschieben, weil sie auf die anderen Anwälten verschafften Mandate neidisch sind. Viele Anlegeranwälte arbeiten selbst nicht anders. Entweder sie arbeiten sie selbst mit Vermittlern zusammen oder mit Vereinen, welche sie vorschieben und welche von Vermittlern unterstützt werden. Ein gewisses Problem entsteht allerdings dann, wenn die Vermittlerinteressen und Anlegerinteressen in einem Komplex unter einem anwaltlichen Dach wahrgenommen werden. Darin kann in der Tat ein Interessenkonflikt liegen. Das Thema ist aber ebenfalls kompliziert und bedarf einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall. Ein Interessenkonflikt ein und desselben Anwalts liegt aber logischerweise nicht vor, wenn es sich nicht um ein und denselben Anwalt oder ein und dieselbe Kanzlei handelt, sondern um zwei verschiedene oder mehr. Für den Fall also, dass ein Finanzdienstleister oder sein anwaltlicher Vertreter einen anderen Anwalt empfiehlt, ergibt sich natürlich kein anwaltlicher Interessenkonflikt. Vielmehr geht es dann um die Frage, ob dem jeweiligen Anleger bewusst ist, dass der von ihm beauftragte Anwalt die Interessen des Anlegers gegebenenfalls nur eingeschränkt wahrnimmt.

diebewertung: Auch darüber scheinen sich manchmal Anlegeranwälte zu beschweren …

Blazek: Das stimmt. Wie gesagt, dürfte dabei die Hauptmotivation sein, dass der betreffende Anlegeranwalt gerne diese Mandate für sich selbst hätte. Gleichwohl ist der sachliche Hinweis des jeweiligen neidischen Anwalts grundsätzlich berechtigt. Entscheidend ist aber die Frage, ob der anderweitig empfohlene Anwalt seinen jeweiligen Mandanten darüber aufklärt, dass er die Mandanteninteressen eben nur eingeschränkt vertritt. Üblicherweise stellt man dies in einer entsprechenden Vollmacht oder Maßgabe klar. Wenn der Mandant damit einverstanden ist, dann ist das kein Problem.

diebewertung: Ist denn die Reduktion auf bestimmte Gegner oder Ansprüche sinnvoll?

Blazek: Auch das ist eine Frage des Einzelfalls. Manchmal sind bestimmte Gegner bereits insolvent und/oder nicht versichert und/oder es liegen bereits obergerichtliche entgegen stehende Entscheidungen vor und/oder der Ansatz ist bereits juristisch abwegig. Dann kann eine Reduktion sogar sinnvoll und geboten sein oder das Weglassen abenteuerlicher Ansätze. Sie kosten den Anleger oder seine RSV nur Geld.

diebewertung: Wollen Sie damit andeuten, dass Anlegeranwälte manchmal Dinge tun, die nichts bringen?

Blazek: Das kann ich nicht sagen und zeigt sich dann im jeweiligen Mandat. Ich möchte eher andeuten, dass jeder Anwalt darüber aufklären sollte, was ggf. nichts bringt oder die Erfolgswahrscheinlichkeit eher gering ist. Entscheiden muss der Mandant. Was mich aber befremdet, ist, wenn der eine Anlegeranwalt mit dem Finger auf den anderen zeigt, so als wäre einer der Paladin des Rechts und der andere fragwürdig. Das sagt zum einen nichts über die inhaltliche Arbeit des jeweiligen Anwalts aus. Zum anderen sollte jeder, der im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen.

diebewertung: Haben Sie dafür Beispiele?

Blazek: Die klassische Akquise eines Anlegeranwalts läuft über eine Kombination aus selbstreferenzieller Internetaktivität einerseits und der Beschaffung von Anlegerdaten und Kontaktaufnahme andererseits. Entweder wird in Insolvenzakten eingesehen oder gar in Strafakten. Oder in Vertretung eines Anlegers einer Publikumspersonengesellschaft werden Daten der Mitanleger herausverlangt, oft versehen mit dem Hinweis, man sei in Gemeinschaft stärker. Dann wird der Anleger ungefragt kontaktiert und pauschal auf Schadensersatzmöglichkeiten hingewiesen oder Gruppen von Haftungsgegnern. Vor Anlegerveranstaltungen verteilen Anlegeranwälte Flugblätter. Oder sie arbeiten mit irgendwelchen Vereinen zusammen, die die Speerspitze in der Ansprache bilden und später auf Anlegeranwälte verweisen. Aus Gesprächen mit Rechtschutzversicherungen ist mir außerdem bekannt, dass vereinzelte Anlegeranwälte immer wieder mit derselben Argumentation für Mandanten um Rechtschutz bitten und Prozesse führen wollen, obwohl ihnen längst entgegenstehende einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung für den speziellen Fall vorliegt. Wohlgemerkt, das alles ist normal, völlig üblich für den Anlegermarkt des Anwalts. Grotesk wird es nur, wenn ein solcher Anwalt einem anderen Anlegeranwalt vorwirft, er benutze Vermittler zur Empfehlung.

diebewertung: Was halten Sie denn grundsätzlich von Interessengemeinschaften?

Blazek: Grundsätzlich sind sie sinnvoll, sowohl auf Seite der Finanzdienstleister, als auch auf Anlegerseite. Hin und wieder sind Finanzdienstleister auch Anleger, oder beide sind Anfechtungsgegner von Insolvenzverwaltern. Aber auch hier gilt der alte Juristensatz: Es kommt auf den jeweiligen Fallkomplex an. Eine Vermischung kann jedoch dann problematisch werden, soweit sich ein Anwalt um beide Seiten kümmern soll aus demselben Lebenssachverhalt heraus. Generell weise ich unsere Vermittlermandanten in jedem Komplex darauf hin, dass der Kunde von gestern der Gegner von morgen sein kann oder noch von dritter Seite Unannehmlichkeiten drohen können, zum Beispiel von der VSH oder einem Insolvenzverwalter. Deshalb rate ich tendenziell dazu, dass sich jede Seite auf ihre eigenen Interessen konzentriert.

 

 

 

 

 

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