Inmitten eisiger Fjorde und jahrhundertealter Traditionen durchlebt Grönland derzeit einen bemerkenswerten Wandel. Eine neue Generation indigener Inuit-Greenländer:innen tritt selbstbewusst ins Rampenlicht – mit Gesichtstattoos, Heavy Metal und TikTok-Kanälen. Der kulturelle Aufbruch kommt zu einem Zeitpunkt, an dem Grönland international stärker beachtet wird, nicht zuletzt durch das Interesse des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, die Insel kaufen zu wollen.
Musik als kultureller Brückenschlag
Pani und Sebastian Enequist, ein Musikerpaar aus der Hauptstadt Nuuk, stehen exemplarisch für diesen Wandel. Mit ihrer Hardcore-Metal-Band Sound of the Damned verbinden sie aggressive Klänge mit traditionellen Inuit-Elementen wie Kehlkopfgesang, dem Inuit-Trommeltanz und dem qilaat (Rahmentrommel). Gleichzeitig tragen sie traditionelle Inuit-Tattoos, die einst von christlichen Missionaren verboten wurden – ein Symbol für kulturelle Rückbesinnung und Selbstermächtigung.
„Wir wollen Metal spielen und gleichzeitig unsere Kultur repräsentieren“, sagt Pani Enequist.
Ein kleines, stolzes Musikuniversum
Obwohl die Musikszene Grönlands klein ist – in Nuuk gibt es nur einige Dutzend aktive Musiker – ist sie vielfältig. Von Pop bis Metal, von Jazz bis Rap: Künstler:innen nutzen Musik als Ausdrucksform für ihre Herkunft, ihren Schmerz und ihre Hoffnung. Die Musikplattform Tusass Music, exklusiv für Grönland und Dänemark, zeigt: Musik ist identitätsstiftend und verbindet Tradition mit Moderne.
Die Band Nanook, benannt nach dem mythischen Eisbären, ist eines der bekanntesten Musikprojekte des Landes. Sie singen ausschließlich auf Grönländisch und lehnten einst ein Angebot von Sony Music ab – aus Treue zur Sprache und Kultur.
Kulturelle Selbstbestimmung trifft auf alte Wunden
Grönland wurde 1953 offiziell Teil Dänemarks, bleibt aber in vielen Belangen abhängig: Außenpolitik, Verteidigung und Wirtschaftsstrategie werden weiterhin in Kopenhagen entschieden. Die Grönländer:innen verwalten jedoch Bildung, Gesundheit, Rohstoffe und Kultur selbst.
Doch das koloniale Erbe wiegt schwer: Zwangssterilisationen von Tausenden Inuit-Frauen in den 1960er und 70er Jahren, Assimilationsversuche und die Entfremdung von Sprache und Tradition wirken bis heute nach. Die Entdeckung von Kulturgütern, wie der Trommel eines Vorfahren im dänischen Nationalmuseum, symbolisiert für viele die anhaltende Fremdbestimmung über die eigene Geschichte.
Digitale Sichtbarkeit und Selbstbewusstsein
Neben Musik nutzen junge Grönländer:innen soziale Medien wie TikTok, Instagram und YouTube, um ihren Alltag, ihre Kultur und ihre Sicht auf die Welt zu teilen. Malu Falck, Sängerin und Designerin, berichtet auf TikTok von ihrem Leben in Nuuk – mit wachsender Fangemeinde.
Politikerin und Influencerin Qupanuk Olsen erreicht mit kulturellen Vlogs regelmäßig ein internationales Publikum von Hunderttausenden.
Ein Land in Bewegung
Grönland modernisiert sich rasant: Neue Flughäfen, internationale Direktflüge und ein wachsender Tourismussektor zeugen vom Wandel. Dennoch bleibt das Land ein Ort der Gegensätze – reich an Natur, Kultur und Identität, aber geprägt von sozialen Herausforderungen wie Alkoholismus und Depressionen.
„Grönland ist ein wunderschöner, aber auch widersprüchlicher Ort“, sagt Musiker Christian Elsner. „Die Musik hier trägt all diese Spannungen in sich – das Alte, das Neue, das Schmerzliche und das Hoffnungsvolle.“
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