Bekanntmachung der Begründung zur Nicht-verfügbare-Werke-Verordnung

Bundesministerium der Justiz

Bekanntmachung
der Begründung zur Nicht-verfügbare-Werke-Verordnung

Vom 25. April 2023

Nachstehend wird die Begründung des Bundesministeriums der Justiz zur Nicht-verfügbare-Werke-Verordnung (NvWV) vom 9. März 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 65) bekannt gegeben (Anlage).

Berlin, den 25. April 2023

Bundesministerium der Justiz

Im Auftrag
Dr. Bittner

Anlage

Begründung zur Nicht-verfügbare-Werke-Verordnung

A. Allgemeiner Teil

I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen

1.
Gesetzlicher Rechtsrahmen
Mit der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/​790 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im Digitalen Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinien 96/​9/​EG und 2001/​29/​EG (DSM-RL) durch das Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes vom 31. Mai 2021 (BGBl. I S. 1204) stehen im deutschen Urheberrecht seit dem 7. Juni 2021 neue Rechtsinstrumente zur Verfügung, um die Verwertung bzw. den Zugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten zu erleichtern:

Kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung erlauben es repräsentativen Verwertungsgesellschaften, ihre Re­pertoires geschützter Inhalte zu günstigen Transaktionskosten zu lizenzieren und hierbei auch außenstehende Rechtsinhaber einzubeziehen (§§ 51 ff. des Verwertungsgesellschaftengesetzes – VGG). Unionsrechtliche Grundlage hierfür ist Artikel 12 DSM-RL.
Möchten Kulturerbe-Einrichtungen geschützte Inhalte nutzen, die nicht verfügbar sind, etwa weil sie nicht mehr verlegt werden, so haben sie einen Anspruch auf Lizenzierung durch repräsentative Verwertungsgesellschaften, auch hier unter Einbeziehung außenstehender Rechtsinhaber (§§ 52 ff. VGG). Dieses Rechtsinstrument beruht auf den Artikeln 8 bis 10 DSM-RL; es hat die bislang geltenden Vorschriften über vergriffene Werke abgelöst (siehe §§ 51 ff. VGG in der bis zum 6. Juni 2021 geltenden Fassung).
Ist eine repräsentative Verwertungsgesellschaft nicht vorhanden, können Kulturerbe-Einrichtungen nicht verfügbare Werke auf Grundlage einer gesetzlichen Erlaubnis nutzen (§§ 61d, 61e des Urheberrechtsgesetzes – UrhG). Auch dieser Mechanismus ist in den Artikeln 8 bis 10 DSM-RL vorgesehen.
2.
Funktionsweise der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung (§§ 51 ff. VGG)
§ 51 Absatz 1 VGG enthält die Grundsystematik einer kollektiven Lizenz mit erweiterter Wirkung: Danach kann eine repräsentative Verwertungsgesellschaft unter den in den §§ 51 ff. VGG bestimmten Voraussetzungen auch Nutzungsrechte am Werk eines Außenstehenden einräumen. Dies ist die zentrale rechtliche Neuerung. Üblicherweise schließt eine Verwertungsgesellschaft mit einem Nutzer einen Vertrag über Rechte nur von Rechtsinhabern, die die Verwertungsgesellschaft mit der Wahrnehmung ihrer Rechte mandatiert haben. Dieses Rechtsgeschäft – auf Grundlage der Wahrnehmungsverträge zwischen Rechtsinhabern und der Verwertungsgesellschaft – ist die „kollektive Lizenz“. Der Gegenstand der Lizenz ist nicht beschränkt; typischerweise dürften aber vor allem kleinteilige, massenhafte Verwertungen geschützter Inhalte in Betracht kommen.
Die Verwertungsgesellschaft und der Nutzer können nun vereinbaren, die kollektive Lizenz auf die Werke von Außenstehenden auszudehnen, um dem Nutzer ein vollständiges Repertoire von Nutzungsrechten zu verschaffen. Denn bestimmte Verwertungen sind praktisch nur dann möglich, wenn die Nutzenden sämtliche in Frage kommenden Rechte erwerben können, insbesondere, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Individuelle Lizenzierungen vollständiger Repertoires sind hier praktisch oft nicht durchführbar oder scheitern an zu hohen Transaktionskosten. Die Alternative wäre ansonsten, dass die Nutzung insgesamt unterbleibt: Zum Nachteil der Rechtsinhaber (kein Lizenzentgelt), der Verwerter (keine Verwertung) und des Publikums (kein Zugang zu den geschützten Inhalten).
Diese Lücke schließt das Instrument der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung durch Einbeziehung auch derjenigen Rechtsinhaber, die der Verwertungsgesellschaft keine Rechte eingeräumt haben. Deren berechtigte Interessen bleiben aber gewahrt: Sie werden im Vorfeld informiert und können sowohl vor der Lizenzierung wie auch nach Aufnahme der Nutzung jederzeit widersprechen. An den Lizenzentgelten werden sie wie die Berechtigten der Verwertungsgesellschaft beteiligt.
Bei Vorliegen der im Gesetz hierfür bestimmten Voraussetzungen – insbesondere Informationspflichten (§ 51a Absatz 1 Nummer 4 VGG) und Repräsentativität der Verwertungsgesellschaft (§ 51a Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 51b VGG) – ist die Verwertungsgesellschaft zur (rechtsgeschäftlichen) Einräumung der Rechte an Werken von Außenstehenden gesetzlich berechtigt und die Einräumung von Nutzungsrechten daran entsprechend wirksam. Darin liegt die „erweiterte Wirkung“ der kollektiven Lizenz. Allerdings bleibt es die autonome Entscheidung der Verwertungsgesellschaft (und damit ihrer Organe), ob sie vom Instrument der kollektiven Lizenzen mit erweiterter Wirkung Gebrauch machen möchte. Eine Rechtspflicht zur Einräumung solcher erweiterter Nutzungsrechte besteht nicht.
Die Rechtseinräumung hinsichtlich eines Werkes eines Außenstehenden steht sowohl unter einer aufschiebenden als auch unter einer auflösenden Bedingung: Sie darf erst wirksam werden, wenn der Außenstehende nicht innerhalb der hierfür vorgesehenen Frist, in der die Verwertungsgesellschaft über die beabsichtigte Rechtseinräumung informieren muss, widersprochen hat. Wenn der Außenstehende nach Ablauf dieser Frist der Nutzung widerspricht, endet auch nach begonnener Nutzung die Rechtseinräumung mit Wirkung für die Zukunft.
3.
Funktionsweise der Nutzung nicht verfügbarer Werke durch Kulturerbe-Einrichtungen
Die Bestimmungen über die Lizenzierung nicht verfügbarer Werke (§§ 52 ff. VGG) knüpfen an die Grundsystematik der zuvor skizzierten kollektiven Lizenz mit erweiterter Wirkung an; jedoch mit mehreren Modifikationen:
Lizenznehmerin muss eine inländische Kulturerbe-Einrichtung sein, also öffentlich zugängliche Bibliotheken und Museen, Archive und Einrichtungen im Bereich des Film- oder Tonerbes (§ 52 Absatz 1 VGG in Verbindung mit § 60d UrhG). Gegenstand der Lizenz können nur nicht verfügbare Werke sein. Unter den Begriff nicht verfügbarer Werke fallen etwa Bücher oder Filme, die nicht im Handel verfügbar sind, aber auch urheberrechtlich geschützte Inhalte, die nie kommerziell vertrieben wurden, wie etwa historische Plakate politischer Parteien oder Flugblätter, die für Ausstellungen genutzt werden sollen. Die Information der Verwertungsgesellschaft und der Widerspruch des Außenstehenden erfolgen hier jeweils über das Online-Portal des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO).
Anders als nach § 51 Absatz 1 VGG ist nach § 52 Absatz 1 VGG die Verwertungsgesellschaft unter den in den §§ 52 ff. VGG bestimmten Voraussetzungen verpflichtet, entsprechende Nutzungsrechte auch am Werk eines Außenstehenden einzuräumen. Zugleich steht die Rechtseinräumung an Werken eines Außenstehenden auch hier sowohl unter einer aufschiebenden als auch unter einer auflösenden Bedingung: Der Außenstehende kann innerhalb einer Frist von sechs Monaten, in der die Verwertungsgesellschaft im Vorfeld über die beabsichtigte Rechtseinräumung informieren muss, der Einräumung von Nutzungsrechten an seinem Werk widersprechen (§ 52a Absatz 1 Nummer 4 und 5 VGG). In diesem Fall wird die Rechtseinräumung nicht wirksam. Er kann auch jederzeit nach Wirksamwerden der Rechtseinräumung Widerspruch einlegen (§ 52 Absatz 2 VGG); dann endet die Rechtseinräumung auch hier mit Wirkung für die Zukunft.
Ergänzend zur Nutzung nicht verfügbarer Werke auf Lizenzbasis sehen die §§ 61d ff. UrhG für Kulturerbe-Einrichtungen eine gesetzliche Nutzungserlaubnis (Schranken-Regelung) für nicht verfügbare Werke vor. Diese gesetzliche Erlaubnis greift gemäß § 61d Absatz 1 Satz 2 UrhG dann ein, wenn keine Verwertungsgesellschaft besteht, die diese Rechte für die jeweiligen Kategorien von nicht verfügbaren Werken wahrnimmt und insoweit repräsentativ ist. Damit ist im Ergebnis gewährleistet, dass Kulturerbe-Einrichtungen in jedem Fall den Nutzern Zugang zu nicht verfügbaren Werken verschaffen können – entweder auf Lizenzbasis oder aber subsidiär auf Grundlage der gesetzlichen Erlaubnis.
Im Rahmen der gesetzlichen Nutzungserlaubnis sind es die Kulturerbe-Einrichtungen, die über die beabsichtigte Nutzung informieren müssen. Auch hier kann der Rechtsinhaber innerhalb der Sechs-Monats-Frist im Vorfeld der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 61d Absatz 3 Satz 2 UrhG) oder auch jederzeit nach deren Ablauf der Nutzung seines Werkes widersprechen (§ 61d Absatz 2 UrhG). Die Information der Kulturerbe-Einrichtung und der Widerspruch des Rechtsinhabers erfolgen auch hier jeweils über das Online-Portal des EUIPO.
4.
Das Online-Portal nicht verfügbarer Werke beim EUIPO in Alicante (Sachstand)
Zentrale Bedeutung für die Nutzung nicht verfügbarer Werke hat das unionsweite Online-Portal beim EUIPO in Alicante (Informationen unter https:/​/​euipo.europa.eu/​ohimportal/​en/​web/​observatory/​outofcommerceworks; Adresse des Portals: https:/​/​euipo.europa.eu/​out-of-commerce/​#/​). Das Portal nahm zum Ablauf der Umsetzungsfrist der DSM-RL am 7. Juni 2021 pünktlich seinen Betrieb auf. Seitdem verbessert das EUIPO die technische Infrastruktur, organisiert einen Informationsaustausch insbesondere mit den Kulturerbe-Einrichtungen sowie den Verwertungsgesellschaften und bietet auch Unterstützung bei der Eintragung nicht verfügbarer Werke an. Auch deutsche Verwertungsgesellschaften und Kulturerbe-Einrichtungen und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) stehen insoweit mit dem EUIPO in Kontakt.
Bis zur Umsetzung der DSM-RL wurden vergriffene Werke in Büchern oder anderen verlegten Schriften in einem teilautomatisierten Verfahren über das bei dem DPMA geführte nationale Register erfasst. Ein Ziel besteht nun darin, zeitnah einen weitgehend automatisierten Workflow zwischen der Deutschen Nationalbibliothek als Servicestelle für nutzende Bibliotheken, der Verwertungsgesellschaft Wort als lizenzierende Einrichtung und dem Online-Portal beim EUIPO zu ermöglichen. Weil die technischen Voraussetzungen hierfür aus Sicht der Deutschen Nationalbibliothek und der Verwertungsgesellschaft Wort derzeit noch nicht erfüllt sind, ist das Verfahren derzeit ausgesetzt.
Darüber hinaus soll sichergestellt werden, dass die nach den bisher in Deutschland geltenden Regelungen zugänglich gemachten Werke auch weiterhin online verfügbar sind. Nach der Übergangsvorschrift des § 141 VGG ist dies noch bis zum 31. Dezember 2025 möglich. Danach dürfen sie nur unter Beachtung des unionsweit harmonisierten Rechtsrahmens zugänglich gemacht werden, was die rechtzeitige Erfassung im Online-Portal beim EUIPO erfordert. Hierbei stehen jedoch technische und organisatorische Fragen im Vordergrund, die im direkten Austausch zwischen der Deutschen Nationalbibliothek und der Verwertungsgesellschaft Wort sowie dem EUIPO zu klären sind.
5.
Erste Anwendungsfragen zu nicht verfügbaren Werken
Die neuen Bestimmungen haben in der urheberrechtlichen Praxis erste Anwendungsfragen aufgeworfen, insbesondere bei beabsichtigten Nutzungen nicht verfügbarer Werke durch Bibliotheken, Archive und Museen. Im Zentrum stand dabei zunächst die Frage, wie das bisherige System der Zugänglichmachung vergriffener Werke in Büchern oder anderen verlegten Schriften im geänderten neuen Rechtsrahmen fortgeführt werden kann: Die bisherige Regelung (§§ 51 ff. VGG in der bis zum 6. Juni 2021 geltenden Fassung) konnte nach der Umsetzung der DSM-RL nicht beibehalten werden und musste daher außer Kraft treten. Insbesondere musste die Information der außenstehenden Rechtsinhaber vom nationalen Register beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) auf das Register beim EUIPO umgestellt werden. Darüber hinaus zeigte sich spezifischer Klärungsbedarf bei Nutzungen durch Archive sowie durch Museen, also bei Einrichtungen, denen der geänderte Rechtsrahmen erstmals Chancen einräumt, Teile des kulturellen Erbes, das sie aufbewahren, künftig mit vereinfachter Rechteklärung insbesondere online zugänglich zu machen.
Vor diesem Hintergrund führte das BMJ in den Jahren 2021 und 2022 Fachgespräche unter anderem mit der Deutschen Nationalbibliothek, der Verwertungsgesellschaft Wort und der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst sowie mit Vertreterinnen und Vertretern des Archivwesens und der Museen. Das BMJ erläuterte hierbei Hintergründe der unionsrechtlichen Bestimmungen sowie ihrer Umsetzung in das deutsche Recht und erörterte Zweifelsfragen, die von der Praxis vorgetragen wurden. Hierbei zeigte sich Klärungsbedarf insbesondere bei folgenden Fragestellungen:

a)
Umfang der für die Eintragung im Online-Portal beim EUIPO erforderlichen Informationen
§ 52a VGG und § 61d UrhG sehen vor, dass die Verwertungsgesellschaft bzw. die Kulturerbe-Einrichtung über das betreffende Werk, das genutzt werden soll, vorab zu informieren haben. In diesem Zusammenhang stellte sich zum einen die Frage, ob auch sogenannte „embedded works“ gesondert zu erfassen sind. Hierbei handelt es sich um einzelne Werke, die in einem Hauptwerk enthalten sind, wie etwa Illustrationen oder Fotografien in einem Buch. Fraglich erschien, ob eine Einzelerfassung (z. B. der einzelnen Illustration) erforderlich ist oder ob hier die Erfassung des Hauptwerkes (z. B. des Buchtitels) genügt. Auch mit Blick auf Sammelwerke wurde die Frage nach der Notwendigkeit der Erfassung einzelner Beiträge aufgeworfen.
b)
Verfügbarkeit von Werken, die nicht für den Handel bestimmt waren, sowie bei Werken der bildenden einschließlich der angewandten Kunst
Nach der allgemeinen Maßgabe des § 52b Absatz 1 VGG ist ein Werk dann nicht verfügbar, wenn es der Allgemeinheit auf keinem üblichen Vertriebsweg in einer vollständigen Fassung angeboten wird. Diese allgemeine Maßgabe führt jedoch aus Sicht der Archive und Museen in bestimmten Konstellationen zu Anwendungsschwierigkeiten. Für Archive stellte sich die Frage, auf welche Vertriebswege für Werke abzustellen sei, die – wie im Rahmen von Archivgut häufig – nicht für den Handel bestimmt gewesen seien, etwa bei einem Flugblatt oder einer für behördliche interne Zwecke gefertigten Filmdokumentation. Museen warfen mit Blick auf Unikate in ihren Beständen die Frage auf, ob diese per se nicht verfügbar seien, wenn es keine weiteren Originale gebe, die über den Markt zu erwerben seien. Zudem sei aus ihrer Sicht klärungsbedürftig, welchen Einfluss die Existenz von Digitalisaten auf die Verfügbarkeit von Kunstwerken habe, ob also etwa das Digitalisat eines Gemäldes oder einer Skulptur eine digitale Fassung des gleichen Werkes darstelle.
c)
Achtung des Urheberpersönlichkeitsrechts bei nicht veröffentlichten Werken
Insbesondere in Archivgut befinden sich immer wieder auch Werke, die die urheberrechtliche Schöpfungshöhe erreichen und bislang noch nicht veröffentlicht wurden. Da das Erstveröffentlichungsrecht nach § 12 UrhG dem Urheber vorbehalten ist, stehen vor allem Archive vor der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sie diese Werke erstmals öffentlich zugänglich machen dürfen. Dabei wiesen sie darauf hin, dass es sich häufig nur um letztlich untergeordnete Bestandteile von Akten oder ähnlichen Konvoluten handele und in diesen Fällen eine gesonderte Prüfung jedes einzelnen Textes, einer Planskizze etc. aufgrund der Anzahl sowie mangelnder Informationen kaum möglich sei.
d)
Rechtsfolgen eines Widerspruchs bei Nutzungen auf Lizenzbasis bzw. auf Grundlage einer gesetzlichen Erlaubnis
Der Rechtsinhaber kann Nutzungen nicht verfügbarer Werke jederzeit gegenüber dem EUIPO widersprechen (§ 52 Absatz 2 VGG bzw. § 61d Absatz 2 UrhG). Klärungsbedarf ergab sich dabei zum einen hinsichtlich der durch einen Widerspruch ausgelösten Informations- und Prüfpflichten. Zum anderen stellten sich Fragen nach den Auswirkungen eines Widerspruchs auf laufende Nutzungen, insbesondere bezüglich der rechtzeitigen Beendigung, sowie in Bezug auf Haftungsfragen für den Zeitraum bis zur tatsächlichen Einstellung der Nutzungen.
e)
Repräsentativität von Verwertungsgesellschaften
Aufgeworfen wurde zudem die Frage, wann eine Verwertungsgesellschaft repräsentativ ist. Hier ist zu beachten, dass die Frage der Repräsentativität insbesondere vom Umfang der beabsichtigten Lizenzvergabe abhängt, sowohl hinsichtlich der betroffenen Nutzungsrechte als auch hinsichtlich der betroffenen Werkarten.

II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs

§ 1 konkretisiert die Informationspflichten für die Eintragung nicht verfügbarer Werke im Portal beim EUIPO: Die Bestimmung reagiert auf die zuvor in Teil A Abschnitt I Nummer 5 Buchstabe a dargestellten Zweifelsfälle und erleichtert damit die Erfüllung der gesetzlichen Informationspflichten für die Verwertungsgesellschaften sowie Kulturerbe-Einrichtungen.
§ 2 erleichtert die Prüfung der Nichtverfügbarkeit für Werke, die nicht für den Handel bestimmt waren. Die Bestimmung beantwortet damit die von Archiven aufgeworfene und oben in Teil A Abschnitt I Nummer 5 Buchstabe b dargestellte Frage.
§ 3 enthält Vorgaben für den Interessensausgleich, der bei bislang nicht veröffentlichten Werken zwischen dem Urheberpersönlichkeitsrecht und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu leisten ist (siehe oben in Teil A Abschnitt I Nummer 5 Buchstabe c). Die Bestimmung erleichtert damit die Anwendung der Vorschriften über die Nutzung nicht verfügbarer Werke insbesondere bei der Zugänglichmachung von Archivgut im Internet.
Die §§ 4 und 5 präzisieren das weitere Verfahren und insbesondere die Rechtsfolgen nach einem Widerspruch, sowohl bei Nutzungen auf Lizenzbasis wie auch auf Grundlage einer gesetzlichen Erlaubnis. Die Bestimmungen reagieren auf die oben in Teil A Abschnitt I Nummer 5 Buchstabe d der Begründung dargestellten Fragen und führen so zu mehr Rechtssicherheit.

Von einer Regelung der Frage der (Nicht-)Verfügbarkeit für Werke der bildenden einschließlich der angewandten Kunst wurde nach Anhörung der beteiligten Kreise Abstand genommen. Hier soll zunächst die Praxis die Gelegenheit erhalten, Wege für eine geeignete Handhabung zu etablieren.

Kein Regelungsbedarf besteht derzeit im Hinblick auf die Repräsentativität von Verwertungsgesellschaften: Im Grundsatz ist es zunächst Sache der Kulturerbe-Einrichtungen, die um Lizenzen für die von ihnen beabsichtigte Nutzung nachsuchen, bzw. der Verwertungsgesellschaften, die Lizenzen anbieten, sich um die Klärung dieser Frage zu bemühen. Maßgeblich ist hierfür, ob die Verwertungsgesellschaft in dem spezifischen Bereich, aus dem die Nutzung von Werken lizenziert werden soll, ein hinreichend großes Repertoire vertritt, das auch die Einbeziehung Außenstehender in die von der Verwertungsgesellschaft eingeräumten Nutzungsrechte rechtfertigt. Da die Verwertungsgesellschaften Größe und Umfang ihres Repertoires und die Üblichkeit der Übertragung von Wahrnehmungsrechten in den jeweiligen Bereichen überblicken, dürften diese zu einer verlässlichen Einschätzung ihrer Repräsentativität gemäß der in § 51b Absatz 1 VGG vorgegebenen Kriterien in der Lage sein. In einigen Fällen hilft zudem die Vermutungsregelung in § 51b Absatz 2 VGG.

Auch in Bezug auf kollektive Lizenzen mit erweiterter Wirkung besteht derzeit kein Regelungsbedarf: Nach Kenntnis des BMJ überlegen einzelne Verwertungsgesellschaften, auch von diesem Instrument (§§ 51 ff. VGG) Gebrauch zu machen. Insbesondere die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst prüft derzeit die Vergabe einer Bildlizenz für die Nutzung professioneller Fotografien auf Social-Media-Plattformen (siehe https:/​/​www.bildkunst.de/​news/​aktuelle-news/​detailansicht/​social-media-bildlizenz-update-2022-1). Anhaltspunkte dafür, dass es bereits jetzt einer begleitenden Regulierung bedürfte, bestehen nicht. Hier bleibt die weitere Entwicklung der Praxis abzuwarten.

III. Alternativen

Der Erlass der Rechtsverordnung erscheint nicht unabdingbar, denn grundsätzlich genügen die gesetzlichen Vorschriften, um mit den beabsichtigten Nutzungen zu beginnen. Dessen ungeachtet erscheint es vorzugswürdig, der Praxis mit konkretisierenden Bestimmungen die Anwendung der neuen, noch nicht eingespielten Vorschriften und Prozeduren zu erleichtern, allerdings nur, soweit bereits jetzt Zweifelsfragen deutlich zu Tage treten. Entsprechend verfolgt die Verordnung keinen umfassenden ergänzenden Regelungsansatz. Die nun getroffenen Präzisierungen der gesetzlichen Regelungen sind geeignet, die Nutzung des neuen Rechtsrahmens im Interesse aller Beteiligten zu fördern.

IV. Regelungskompetenz

Die Verordnung stützt sich auf § 52d Nummer 1, 3 und 6 VGG sowie auf § 61e UrhG. Diese Vorschriften ermächtigen das Bundesministerium der Justiz (zur geänderten Bezeichnung siehe § 1 Absatz 2 des Zuständigkeitsanpassungsgesetzes vom 16. August 2002 und Organisationserlass des Bundeskanzlers vom 8. Dezember 2021), bestimmte Fragen ohne Zustimmung des Bundesrates näher zu regeln. Dazu zählen die in der Verordnung adressierten Punkte: Ausübung und Rechtsfolgen des Widerspruchs des Außenstehenden (§ 52d Nummer 1 VGG und § 61e Nummer 1 UrhG), Informationspflichten bezüglich der Nutzung eines nicht verfügbaren Werkes (§ 52d Nummer 3 VGG und § 61e Nummer 2 UrhG) sowie weitere Anforderungen zur Verfügbarkeit von Werken, einschließlich des zur Ermittlung der Verfügbarkeit erforderlichen vertretbaren Aufwands und der Wahrung der Urheberpersönlichkeitsrechte insbesondere bei nicht veröffentlichten Werken (§ 52d Nummer 6 VGG).

Die ergänzenden Regelungen, die auf der Grundlage des § 52 Nummer 6 VGG mit Blick auf die Verfügbarkeit von Werken einschließlich der Wahrung der Urheberpersönlichkeitsrechte getroffen werden, gelten dabei mittelbar auch für die gesetzliche Nutzungserlaubnis für nicht verfügbare Werke nach den §§ 61d ff. UrhG: Die Begründung zum Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes weist bei der Ermächtigungsgrundlage des § 61e UrhG darauf hin, dass Begriffe wie z. B. die Nichtverfügbarkeit, bei denen § 61d UrhG auf die §§ 52 ff. VGG Bezug nimmt, durch die Verordnungsermächtigung in § 52d VGG auch mit Wirkung für die subsidiäre gesetzliche Nutzungserlaubnis konkretisiert werden können (Bundestagsdrucksache 19/​27426, S. 102 f.).

V. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen

Die Regelungen in der Verordnung konkretisieren die nationale Umsetzung der DSM-RL und stehen mit deren Vorgaben in Einklang. Sie sind auch mit anderen Rechtsakten der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen vereinbar.

VI. Regelungsfolgen

1.
Rechts- und Verwaltungsvereinfachung
Die Bestimmungen erleichtern die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur Nutzung nicht verfügbarer Werke, indem die Verordnung Zweifelsfragen ausräumt. Für bestimmte Fragen vereinfachen sie rechtliche Prüfungen und reduzieren so den Arbeits- und Dokumentationsaufwand insbesondere für die Kulturerbe-Einrichtungen.
2.
Nachhaltigkeitsaspekte
Mit der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie steht die Verordnung in Einklang. Die Erleichterung des Zugangs zu nicht verfügbaren Werken fördert die Teilhabe am geistigen und kulturellen Erbe und trägt zu einem breiteren Bildungsangebot bei. Damit leistet der Entwurf einen Beitrag zur Erreichung von Ziel 4 „Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern“ der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Indem der Entwurf Rechtssicherheit hinsichtlich der Nutzung nicht verfügbarer Werke schafft und den öffentlichen Zugang zu Informationen fördert, leistet er einen Beitrag zu Ziel 16 „Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen“. Die Verordnung folgt damit den Nachhaltigkeitsprinzipien „(1.) Nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip konsequent in allen Bereichen und bei allen Entscheidungen anwenden“ und „(6.) Bildung, Wissenschaft und Innovation als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung nutzen“.
3.
Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Die Verordnung konkretisiert die gesetzlichen Vorschriften zur Nutzung nicht verfügbarer Werke. Für diese wurden die erwartbaren Auswirkungen auf die Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand bereits in der Begründung des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes dargestellt (Bundestagsdrucksache 19/​27426, S. 60). Zusätzliche Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand sind nicht zu erwarten.
4.
Erfüllungsaufwand
Die Verordnung konkretisiert die gesetzlichen Vorschriften zur Nutzung nicht verfügbarer Werke. Für diese wurde der erwartbare Erfüllungsaufwand bereits in der Begründung des Gesetzes zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse des digitalen Binnenmarktes dargestellt (Bundestagsdrucksache 19/​27426, S. 66). Zusätzlicher Erfüllungsaufwand ist nicht zu erwarten.
5.
Weitere Kosten
Weitere Kosten sind nicht ersichtlich.
6.
Weitere Regelungsfolgen
Auswirkungen auf Demografie, Gleichstellung, Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und Verbraucherschutz sind nicht zu erwarten.

VII. Befristung; Evaluierung

Eine Befristung oder eine Evaluierung der Verordnung erscheint nicht erforderlich: Die Verordnung beschränkt sich auf eine Konkretisierung der gesetzlichen Vorschriften über nicht verfügbare Werke in bestimmten, für deren Anwendung typischen und bereits jetzt absehbaren Situationen. Von darüber hinausgehenden umfassenderen Ergänzungen wurde bewusst abgesehen. Insoweit wird das BMJ ohnehin die weitere Entwicklung der Praxis im Blick behalten.

B. Besonderer Teil

Zu § 1 (Informationspflichten bei nicht verfügbaren Werken)

Die Bestimmung konkretisiert die Anforderungen an die Eintragung von nicht verfügbaren Werken im Online-Portal des EUIPO. Mit dem Eintrag informiert die Verwertungsgesellschaft bzw. die Kulturerbe-Einrichtung über das Werk, das künftig genutzt werden soll. Die Vorschrift gilt für Nutzungen sowohl auf Lizenzbasis nach den §§ 52 ff. VGG wie auch auf Grundlage der gesetzlichen Erlaubnis nach den §§ 61d ff. UrhG. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 52d Nummer 3 VGG bzw. § 61e Nummer 2 UrhG.

Zu Absatz 1

Absatz 1 enthält die Grundregel für die Angaben: Sie sollen dem Rechtsinhaber die Prüfung ermöglichen, ob sein Werk von der beabsichtigten Zugänglichmachung erfasst ist. Darüber hinausgehende Angaben im Online-Portal des EUIPO, die die Identifizierung des betroffenen Werkes zusätzlich erleichtern können, sind jedoch zulässig und wünschenswert. Das Online-Portal des EUIPO (allgemeine Informationen unter https:/​/​euipo.europa.eu/​ohimportal/​en/​web/​observatory/​outofcommerceworks; Adresse des Portals: https:/​/​euipo.europa.eu/​out-of-commerce/​#/​) bietet entsprechende differenzierte Möglichkeiten für die Eingabe dieser Angaben an.

Nach Nummer 1 ist die Werkart anzugeben, also etwa, ob es sich um ein Sprachwerk (§ 2 Absatz 1 Nummer 1 UrhG) oder um ein Musikwerk (§ 2 Absatz 1 Nummer 2 UrhG) handelt.
Nummer 2 verlangt die Angabe des Werktitels. Dies ist insbesondere bei Schriftwerken regelmäßig möglich. Fehlt ein Werktitel, etwa bei einzelnen Fotografien oder auch bei Plakaten, so ist das Werk möglichst so zu beschreiben, dass es identifzierbar ist. Zur Beschreibung des Werkes können auch ein sogenanntes Thumbnail (Bildvorschau) oder eine kurze Sequenz aufgenommen werden (vgl. § 61f UrhG). Auch ein Hinweis auf den Speicher- und Veröffentlichungsort kann helfen, um ein schwer beschreibbares Werk – zumindest nach dessen Zugänglichmachung nach Ablauf der sechsmonatigen Widerspruchsfrist – noch identifizieren und dann ggf. nachträglich von der Widerspruchsmöglichkeit Gebrauch machen zu können.
Nach Nummer 3 sind der oder die (Mit-)Urheber zu benennen, also der oder die Schöpfer des Werkes als originäre(r) Rechtsinhaber. Nach § 7 gilt diese Bestimmung entsprechend für die Inhaber verwandter Schutzrechte, also beispielsweise für ausübende Künstler, Tonträgerhersteller oder Lichtbildner. Ist die Urheberschaft nicht ge­sichert, können auch Hinweise auf den vermutlichen Urheber hilfreich sein.
Nach Nummer 4 anzugebende sonstige Rechtsinhaber sind typischerweise erkennbare Verwerter, bei verlegten Schriftwerken also beispielsweise der Verlag.
Bei veröffentlichten Werken sind nach Nummer 5 darüber hinaus das Jahr und der Ort der Veröffentlichung anzugeben. Bei nicht veröffentlichten Werken kann beispielsweise die ergänzende Angabe des Fundortes (etwa bei einem Konvolut von Fotografien) zur Identifizierung beitragen.

Sind einzelne dieser Angaben nicht möglich, weil etwa im Fall verwaister Werke der Urheber nicht bekannt ist, schließt das die Eintragung und anschließende Nutzung als nicht verfügbares Werk nicht aus.

Zu Absatz 2

Absatz 2 enthält Regelbeispiele für Konstellationen, in denen einzelne Werke nicht gesondert bezeichnet werden müssen:

Nummer 1 adressiert Fälle, in denen die Registrierung jedes einzelnen Werkes, das in einem Hauptwerk eingebettet ist, mit erheblichem Aufwand verbunden wäre, wie etwa bei einzelnen Illustrationen oder Fotografien in einem Buch (sogenannte „embedded works“). In diesem Fall genügt es, das Hauptwerk gemäß § 1 Absatz 1 zu erfassen. Die Angabe des Hauptwerkes trägt hier dem Informationsinteresse auch der Rechtsinhaber dieser Werke hinreichend Rechnung.
Nach Nummer 2 gilt dieselbe Überlegung für Sammelwerke oder mehrbändige Werke: So müssen etwa einzelne Beiträge in einer Festschrift für Lehrende an einer Hochschule oder aber einzelne Artikel in einer Enzyklopädie nicht gesondert bezeichnet werden, auch wenn sie – für sich betrachtet – Werkcharakter aufweisen. Auch hier genügt also die Erfassung der Festschrift oder Enzyklopädie als Ganzes gemäß § 1 Absatz 1. Bei einem mehrbändigen Werk ist nicht jeder Band gesondert zu erfassen, die Erfassung des Gesamtwerkes und ein Hinweis auf die Bandzahl genügen.
Nummer 3 betrifft Werke in Zeitungen und Zeitschriften. Hier genügt entsprechend die Erfassung der Zeitung oder Zeitschrift mit Titel, Verlag und Datum bzw. Jahrgang und Heftzahl der Ausgabe, in der sich die betroffenen Werke befinden.
Nummer 4 erfasst schließlich Sachverhalte, mit denen insbesondere Archive häufig konfrontiert sind: Bei Archivalieneinheiten ist die Registrierung jedes einzelnen Werkes nicht nur mit erheblichem Aufwand verbunden, sondern mangels näherer Erkenntnisse oftmals auch praktisch nicht möglich. Das gilt etwa bei Planskizzen und Textentwürfen in behördlichen Akten, oder bei Fotografien aus Nachlässen. Zur Information über die betroffenen Werke ist dann die Archivalieneinheit anhand der vorhandenen Erschließungsinformationen möglichst aussagekräftig zu beschreiben. Soweit auch andere Kulturerbe-Einrichtungen auf vergleichbare Schwierigkeiten bei der Registrierung einzelner Werke in Konvoluten stoßen, die bei ihnen in vergleichbarer Weise zusammenhängend erfasst sind wie bei einer Archivalieneinheit, sollen sie ebenfalls die Möglichkeit haben, statt der einzelnen Werke die übergeordnete Einheit zu erfassen. Das gilt etwa für Bestände fotografischer Sammlungen, soweit diese beispielsweise in einem spezifischen Kontext katalogisiert worden sind.

Bestehen allerdings im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für ein besonderes Verfügungsinteresse (Verwertungs- oder Zurückhaltungsinteresse) der betroffenen Rechtsinhaber, so sollten die betroffenen einzelnen Werke auch gesondert erfasst werden. Eine Registrierung als „embedded work“ lässt das Online-Portal des EUIPO technisch zu.

Zu § 2 (Nichtverfügbarkeit von nicht für den Handel bestimmten Werken)

Für Werke, die nicht für den Handel bestimmt waren, wie etwa Wahlplakate, Flugblätter oder nicht kommerziell verwertete Fotografien, erleichtert die Norm die Prüfung der Nichtverfügbarkeit: Waren sie bei ihrer Entstehung nicht für den Handel bestimmt und bestehen auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine spätere kommerzielle Verfügbarkeit oder anderweitige Verfügbarkeit für die Allgemeinheit, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen nach § 52b VGG. Damit entfällt hier insbesondere für Archive die Pflicht zu einer weiteren und in diesem Fall letztlich auch nicht erfolgversprechenden Prüfung nach Maßgabe von § 52b Absatz 1 und 2 VGG. Übliche Vertriebswege, über die die Verfügbarkeit geprüft werden könnte, stehen hier typischerweise nicht zur Verfügung. Der Verzicht auf eine weitere Prüfung greift dabei die Wertung aus Erwägungsgrund 38 der DSM-RL auf: Danach sollte die begrenzte Verfügbarkeit von Werken und sonstigen Schutzgegenständen, wie etwa in Gebrauchtwarenläden und Antiquariaten, oder die theoretische Möglichkeit, eine Lizenz erhalten zu können, nicht als öffentliche Verfügbarkeit über die üblichen Vertriebswege gelten. Entscheidend für eine kommerzielle oder anderweitige Verfügbarkeit für die Allgemeinheit sind dabei nur rechtmäßige Vertriebswege und rechtmäßig hergestellte Reproduktionen. Ermächtigungsgrundlage ist § 52d Nummer 6 VGG (siehe dazu Allgemeiner Teil der Begründung in Teil A Abschnitt IV). In der Praxis dürfte die Norm vor allem für die gesetzliche Nutzungserlaubnis des § 61d UrhG von Bedeutung sein, denn für Werke, die nicht für den Handel bestimmt waren, dürfte es häufig an einer repräsentativen Verwertungsgesellschaft fehlen, so dass Nutzungen auf gesetzlicher Grundlage eröffnet sind.

Zu § 3 (Wahrung des Urheberpersönlichkeitsrechts bei nicht veröffentlichten Werken)

Nach der Entscheidung des Unionsgesetzgebers in der DSM-RL können grundsätzlich auch unveröffentlichte Werke zu den nicht verfügbaren Werken zählen, die im Rahmen einer kollektiven Lizenz mit erweiterter Wirkung oder einer Ausnahme oder Beschränkung von den Kulturerbe-Einrichtungen öffentlich zugänglich gemacht und damit auch erstmals veröffentlicht werden dürfen (vgl. Erwägungsgrund 37 Satz 1 und 2 DSM-RL). Entsprechend hat sich auch der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung der Vorgaben der DSM-RL dafür entschieden, auch bislang nicht veröffentlichte Werke unter den Begriff der nicht verfügbaren Werke zu fassen und für weitere Anforderungen zur Wahrung des Urheberpersönlichkeitsrechts in diesem Zusammenhang eine Verordnungsermächtigung in § 52d Nummer 6 UrhG geschaffen. In den Beständen von Kulturerbe-Einrichtungen befinden sich gelegentlich auch einzelne noch nicht veröffentlichte, jedoch urheberrechtlich geschützte Werke. Eine Zugänglichmachung als nicht verfügbare Werke bedeutet in diesen Fällen zugleich die erstmalige Veröffentlichung dieser Werke. Diese ist jedoch nach § 12 UrhG grundsätzlich dem Urheber vorbehalten und zugleich wesentlicher Bestandteil des Urheberpersönlichkeitsrechts. Die Entscheidung, ob und wie ein Werk veröffentlicht wird, gehört zu den zentralen Befugnissen im kreativen Prozess: Der Urheber entscheidet darüber, ob er seine Schöpfung aus seiner Privatsphäre entlässt und sie zugleich der öffentlichen Kritik aussetzt (siehe auch Schack, Urheber- und Urhebervertragsrecht, 9. Auflage 2019, Rdnr. 364).

Die Wahrung des Urheberpersönlichkeitsrechts und das Interesse am Zugang zu den Beständen von Kulturerbe-Einrichtungen stehen also in einem Spannungsverhältnis. Nach § 3 ist dieses Spannungsverhältnis für die Nutzung nicht verfügbarer Werke über einer Interessenabwägung aufzulösen, die auch an den Ablauf der archivrechtlichen Schutzfristen geknüpft werden kann.

Ermächtigungsgrundlage ist § 52d Nummer 6 VGG (siehe dazu den Allgemeinen Teil der Begründung in Teil A Abschnitt IV). Entsprechend der Ermächtigungsgrundlage beschränkt sich § 3 auf die Regelung des Zugangs im Rahmen der besonderen gesetzlichen Bestimmungen über nicht verfügbare Werke; eine Aussage über die Zulässigkeit von Nutzungen im Rahmen anderer Bestimmungen, etwa im Rahmen der gesetzlichen Befugnisse des § 60c UrhG für wissenschaftliche Forschung, trifft § 3 nicht. Soweit vertragliche Vereinbarungen mit den Berechtigten die Frage der Zugänglichmachung ausdrücklich regeln, kann eine solche auch unabhängig von den §§ 52 ff. VGG und § 61d UrhG auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung erfolgen.

Zu Absatz 1

§ 3 Absatz 1 stellt zunächst den Grundsatz dar, dass eine Einzelfallabwägung zwischen dem Urheberpersönlichkeitsrecht und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit vorzunehmen ist. Dabei können neben der Schöpfungshöhe und dem Persönlichkeitsrechtsbezug des Werkes auch die Umstände, unter denen das Werk in den Bestand einer Kulturerbe-Einrichtung gelangte, sowie ggf. bei der Übernahme getroffene Vereinbarungen Berücksichtigung finden.

Zu Absatz 2

§ 3 Absatz 2 enthält eine widerlegliche Vermutung, die an die Fristen des Bundesarchivgesetzes zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anknüpft, um der Praxis die erforderliche Interessenabwägung zu erleichtern. Die Bestimmung richtet sich dabei nicht nur an das Bundesarchiv, sondern auch an andere Archive und Kulturerbe-Einrichtungen, die nicht dem Bundesarchivgesetz unterliegen; der Verweis erstreckt sich nur auf die dort bestimmten Fristen. § 11 des Bundesarchivgesetzes lautet:

§ 11 Schutzfristen

(1) Die allgemeine Schutzfrist für Archivgut des Bundes beträgt 30 Jahre, sofern durch Rechtsvorschrift nichts anderes bestimmt ist. Sie beginnt mit der Entstehung der Unterlagen.

(2) Nach Ablauf der Schutzfrist des Absatzes 1 darf Archivgut des Bundes, das sich seiner Zweckbestimmung oder seinem wesentlichen Inhalt nach auf eine oder mehrere natürliche Personen bezieht, frühestens zehn Jahre nach dem Tod der jeweiligen Person genutzt werden. Ist das Todesjahr nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand festzustellen, endet die Schutzfrist 100 Jahre nach der Geburt der Personen. Kann auch der Geburtstag nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand festgestellt werden, endet die Schutzfrist 60 Jahre nach der Entstehung der Unterlagen.

(3) Archivgut des Bundes, das aus Unterlagen besteht, die der Geheimhaltungspflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 4 unterliegen, darf erst 60 Jahre nach seiner Entstehung genutzt werden.

(4) Die Schutzfristen nach Absatz 2 sind nicht auf Archivgut des Bundes anzuwenden, das sich auf Amtsträger in Ausübung ihrer Ämter und auf Personen der Zeitgeschichte bezieht, es sei denn ihr schutzwürdiger privater Lebensbereich ist betroffen.

(5) Die Schutzfristen der Absätze 1 bis 3 sind nicht auf Archivgut des Bundes anzuwenden,

1.
das aus Unterlagen besteht, die bereits bei ihrer Entstehung zur Veröffentlichung bestimmt waren, oder
2.
soweit es aus Unterlagen besteht, die vor der Übergabe an das Bundesarchiv bereits einem Informationszugang nach einem Informationszugangsgesetz offengestanden haben.

(6) Auf die Nutzung von Unterlagen, die älter als 30 Jahre sind und noch der Verfügungsgewalt der öffentlichen Stellen des Bundes unterliegen, sind die Absätze 1 bis 5 und die §§ 10, 12 und 13 entsprechend anzuwenden.

Die Bestimmung enthält also bereits eine differenzierte Regelung, um dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Rechnung zu tragen. Die archivarische Praxis ist mit diesen Regelungen vertraut, da auch die Landesarchivgesetze ähnliche Regelungen enthalten. Es erscheint deshalb

angemessen, diese Vorschrift auch bei der Zugänglichmachung nicht verfügbarer Werke nutzbar zu machen, soweit keine besondere Betroffenheit des Urheberpersönlichkeitsrechts zu erkennen ist. § 3 Absatz 2 Satz 2 beschreibt insoweit typische Anwendungsfälle, in denen eine besondere Betroffenheit des Urheberpersönlichkeitsrechts nicht zu erwarten ist, also insbesondere dann, wenn Werke in Archivgut von Behörden und Gerichten enthalten sind. Dazu zählen etwa in den dort vorhandenen Sach- oder Verfahrensakten befindliche Schriftsätze von Verfahrensbeteiligten, Planungsskizzen und Fotografien, die der Veranschaulichung eines Vorbringens dienen. Diese können im Einzelfall zwar die erforderlichen Schutzvoraussetzungen erfüllen, zeichnen sich in aller Regel jedoch auch dann nicht durch einen besonderen geistigen und persönlichen Bezug zu ihrem Schöpfer aus, das gegenüber dem Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt.

Zu Absatz 3

Nach § 3 Absatz 3 greift die Vermutung des § 3 Absatz 2 nicht ein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Urheber von einer Veröffentlichung des Werkes absehen wollte. Sie können etwa dann vorliegen, wenn es sich um ein erkennbar unvollendetes und noch nicht abschließend überarbeitetes Manuskript aus dem Nachlass eines Schriftstellers handelt oder wenn sich ein Maler über ein Bild dahingehend geäußert hat, dass dieses noch von ihm überarbeitet werden müsse. Auch bei unveröffentlichten Werken in Nachlässen professioneller Kreativer dürfte regelmäßig von einer bewussten Entscheidung gegen eine Veröffentlichung auszugehen sein, soweit hier keine gegenteiligen Anhaltspunkte bestehen. Die Vermutung des Absatzes 2 greift deshalb auch dann nicht ein, wenn eine öffentliche Stelle Nachlässe professioneller Kreativer verwaltet und archiviert. Hat sich der Urheber bewusst gegen eine Veröffentlichung seines Werkes entschieden, kann in aller Regel das allgemeine Interesse an der Zugänglichmachung nicht verfügbarer Werke nach den §§ 52 ff. VGG bzw. den §§ 61d ff. UrhG einen Eingriff in das Urheberpersönlichkeitsrecht nicht rechtfertigen.

Zu § 4 (Rechtsfolgen eines Widerspruchs nach § 52 Absatz 2 VGG)

Die Bestimmung regelt die Verfahren und Rechtsfolgen eines Widerspruchs gegen beabsichtigte oder bereits begonnene Nutzungen auf Lizenzbasis: Der außenstehende Rechtsinhaber kann jederzeit mit Wirkung ex nunc Widerspruch einlegen (§ 52 Absatz 2 VGG). Näherer Regelung bedürfen dabei insbesondere die Folgen eines späteren Widerspruchs für bereits begonnene Nutzungen. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 52d Nummer 1 VGG.

Absatz 1 bestimmt, dass die Verwertungsgesellschaft (und nicht die nutzende Kulturerbe-Einrichtung) für die Prüfung des Widerspruchs zuständig ist. Die Verfahren nach berechtigtem bzw. unberechtigtem Widerspruch regeln die Absätze 2 und 3 für die Fälle, in denen eine Prüfung innerhalb eines Monats abgeschlossen werden kann. Absatz 4 bestimmt das Verfahren, wenn aufwändigere, länger andauernde Prüfungen erforderlich sind. Auch kann es Fälle geben, in denen die Klärung auf dem Rechtsweg erfolgt und sich deshalb länger hinzieht.

Die Möglichkeit der Beteiligten, die Berechtigung des Widerspruchs auf dem Rechtsweg klären zu lassen, bleibt von § 4 unberührt. Das Ergebnis der Prüfung durch die Verwertungsgesellschaft entfaltet insoweit auch keine materielle Bindungswirkung.

Zu Absatz 1

Nach § 52 Absatz 2 VGG ist ein Widerspruch beim EUIPO einzulegen. Das Online-Portal des EUIPO ermöglicht es Rechtsinhabern, entweder ihre Werke generell zu sperren, oder aber nur bestimmte Werke von der Nutzungsmöglichkeit als nicht verfügbares Werk auszunehmen („general opt-out“ und „specific opt-out“). Das EUIPO leitet die beim Portal eingehenden Widersprüche ohne weitere Prüfung an die Verwertungsgesellschaft weiter, die gemäß § 52a Absatz 1 Nummer 4 VGG die Eintragung vorgenommen hat. Die Verwertungsgesellschaft hat daraufhin nach § 4 Absatz 1 Satz 1 zu prüfen, ob der Widerspruch berechtigt ist.

In vielen Fällen wird die Prüfung unproblematisch und zügig durchzuführen sein, etwa dann, wenn professionelle Rechtsinhaber (insbesondere Verlage) sich melden, ihre Rechtsinhaberschaft plausibel darlegen und gegebenenfalls nachweisen (beispielsweise durch einen Verlagsvertrag) sowie sich selbst dabei hinreichend legitimieren (etwa mit Blick auf ihre Berechtigung, den Rechtsinhaber zu vertreten). Die Verwertungsgesellschaft kann die Prüfung dann regelmäßig innerhalb weniger Tage abschließen.

In manchen Fällen können allerdings auch umfangreiche Prüfungen erforderlich sein, beispielsweise dann, wenn sich entfernte Familienangehörige als Rechtsnachfolger bereits verstorbener Urheber melden. In diesem Fall wird es erforderlich sein, die Erbfolge darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, etwa durch einen Erbschein oder auf andere Weise. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Widerspruch sowohl mit Blick auf wirtschaftliche Verwertungsinteressen als auch mit Blick auf das Urheberpersönlichkeitsrecht erfolgen kann: Während der Urheber die Verwertungsrechte auf Dritte übertragen kann, verbleibt das Urheberpersönlichkeitsrecht bei ihm und geht mit dem Tod auf die Erben über. Insoweit können also auch unterschiedliche Akteure in Bezug auf dasselbe Werk zum Widerspruch berechtigt sein. Der Widerspruch eines Berechtigten genügt dann, um dieses Werk wirksam von der Nutzung auszunehmen.

Die Unterrichtung des EUIPO über das Ergebnis der Prüfung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 dient dazu, dass im dort geführten Portal vermerkt werden kann, ob der dort eingegangene Widerspruch (zunächst gekennzeichnet als „opt-out requested“) erfolgreich war (vermerkt dann als „opted-out“). Die Unterrichtung der Kulturerbe-Einrichtung, die das betroffene nicht verfügbare Werk nutzen möchte, dient deren berechtigtem Informationsinteresse, denn sie war zunächst an der Nutzung interessiert.

Zu Absatz 2

Absatz 2 regelt den Fall, in dem der Widerspruch von einem berechtigten Rechtsinhaber eingelegt wurde. Hier sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:

Erfolgt der berechtigte Widerspruch nach der Aufnahme von Nutzungen, stellt sich die Frage nach den Auswirkungen auf bereits begonnene Nutzungen. Der nach § 52 Absatz 2 VGG jederzeit mögliche Widerspruch wirkt ex nunc. Nach Erwägungsgrund 35 DSM-RL sind laufende Nutzungen innerhalb einer angemessenen Frist zu beenden. Absatz 2 sieht entsprechend vor, dass bereits begonnene Nutzungen innerhalb eines Monats zu beenden und künftige Nutzungen zu unterlassen sind. Die Bestimmung richtet sich dabei sowohl an die Verwertungsgesellschaft, die die Lizenz nach § 52 VGG erteilt, als auch an die Kulturerbe-Einrichtung, der die Lizenz erteilt wurde und die das nicht verfügbare Werk auf dieser Grundlage nutzt. Die einmonatige Beendigungsfrist ermöglicht Kulturerbe-Einrichtungen, die das Werk nicht auf ihrer eigenen Seite, sondern auf nicht kommerziellen Internetseiten Dritter (z. B. Deutsche Digitale Bibliothek oder Europeana) öffentlich zugänglich machen, diese zu informieren und darauf hinzuwirken, dass die Zugänglichmachung dort beendet wird. Hat die Verwertungsgesellschaft zwar eine Lizenz an eine Kulturerbe-Einrichtung erteilt, nutzt diese aber das vom Widerspruch betroffene Werk noch nicht, darf die Kulturerbe-Einrichtung keine Nutzungen aufnehmen.

Für die Zeit zwischen der Erhebung des Widerspruchs beim EUIPO und der Beendigung bereits begonnener Nut­zungen nach berechtigtem Widerspruch bestimmt Absatz 2 darüber hinaus, dass die zuvor erteilte Lizenz fortwirkt. Die Fortwirkung für diese Übergangszeit ermöglicht zum einen die erforderliche Überprüfung der Berechtigung des Widerspruchs. Diese Interims-Regelung dient damit dem Interesse der Verwertungsgesellschaft und der nutzenden Kulturerbe-Einrichtung sowie der Allgemeinheit, da nicht verfügbare Werke grundsätzlich nur im Fall eines berechtigten Widerspruchs des Rechtsinhabers von der Nutzung ausgenommen werden sollen. Die lizenzerteilende Verwertungsgesellschaft und die nutzende Kulturerbe-Einrichtung erhalten so auch eine angemessene Zeit, um die laufende Nutzung des oder der vom Widerspruch betroffene(n) Werk(e) auch tatsächlich beenden zu können. Diese Übergangslösung knüpft an Erwägungsgrund 35 DSM-RL an, demzufolge alle laufenden Nutzungen innerhalb einer angemessenen Frist zu beenden sind.

Den Interessen des widersprechenden Rechtsinhabers wird hierbei dadurch Rechnung getragen, dass er mit der Fortwirkung der Lizenz für diesen Zeitraum auch seinen Vergütungsanspruch behält. Gleichzeitig ist die Fortwirkung der Lizenz zeitlich begrenzt: Sie beschränkt sich, nach dem Zeitraum der Prüfung, auf einen Monat, innerhalb dessen die Nutzungen zu beenden sind. Kann die Verwertungsgesellschaft die Berechtigung des Widerspruchs nicht innerhalb von einem Monat klären, sind bereits begonnene Nutzungen unabhängig von der Berechtigung des Widerspruchs nach § 4 Absatz 4 vorläufig einzustellen. Damit gilt die Lizenz bei berechtigtem Widerspruch bis zur endgültigen oder vorläufigen Beendigung der Nutzungen maximal zwei Monate fort.

Erfolgt der Widerspruch im Vorfeld der Lizenzerteilung und erweist er sich als berechtigt, ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 52a Absatz 1 Nummer 5 VGG, dass die Verwertungsgesellschaft keine Rechte an dem betreffenden Werk einräumen darf und daher auch Nutzungen nicht aufgenommen werden dürfen.

Zu Absatz 3

Absatz 3 regelt den Fall, in dem sich der Widerspruch als unberechtigt herausstellt. Auch hier sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:

Bei einem unberechtigten Widerspruch nach der Aufnahme von Nutzungen darf die Kulturerbe-Einrichtung die Nutzung des betroffenen Werkes auf der Grundlage der erteilten Lizenz fortsetzen; die Verwertungsgesellschaft kann auch weiterhin Rechte an dem betroffenen Werk einräumen, soweit die sonstigen Voraussetzungen für eine Lizenzierung erfüllt sind. Hat die Verwertungsgesellschaft zwar eine Lizenz an eine Kulturerbe-Einrichtung erteilt, nutzt diese aber das vom Widerspruch betroffene Werk noch nicht, darf die Kulturerbe-Einrichtung künftige Nutzungen aufnehmen.

Erfolgt der Widerspruch im Vorfeld der Lizenzerteilung und erweist er sich als unberechtigt, steht er der Einräumung von Rechten durch die Verwertungsgesellschaft nach § 52a Absatz 1 Nummer 5 VGG und der Aufnahme der Nutzung nicht entgegen.

Zu Absatz 4

Absatz 4 regelt Fälle, in denen die Verwertungsgesellschaft innerhalb von einem Monat nicht klären kann, ob der Widerspruch berechtigt ist. Bei einer komplexeren Sach- und Rechtslage, etwa im Zuge einer Erbfolge, kann die Prüfung eines Widerspruchs auch längere Zeit in Anspruch nehmen. Auch kann es Fälle geben, in denen die Berechtigung des Widerspruchs auf dem Rechtsweg geklärt wird und sich die Klärung deshalb länger hinzieht. Zur Wahrung der Rechte des widersprechenden Außenstehenden erscheint es dabei angemessen, bereits begonnene Nutzungen bis zur Klärung der Berechtigung des Widerspruchs vorläufig einzustellen. Nachdem die Verwertungsgesellschaft die Kulturerbe-Einrichtung über den Sachstand informiert hat, hat die Kulturerbe-Einrichtung die Nutzung des betroffenen Werkes (vorläufig) einzustellen. Die Einstellung hat dabei innerhalb von zwei Monaten nach der Benachrichtigung nach Absatz 1 Satz 1 zu erfolgen.

Stellt sich dann später nach Abschluss der Prüfung bzw. nach Klärung auf dem Rechtsweg heraus, dass der Widerspruch unberechtigt war, dürfen die vorläufig eingestellten Nutzungen entsprechend § 4 Absatz 3 fortgesetzt und damit wieder aufgenommen werden. War der Widerspruch dagegen berechtigt, verbleibt es bei der Einstellung der Nutzungen, da diese entsprechend § 4 Absatz 2 zu beenden sind. Die Lizenz wirkt in diesem Fall bis zur vorläufigen Einstellung fort.

Hintergrund der vorläufigen Einstellung in Fällen, in denen die Klärung längere Zeit in Anspruch nimmt, ist Erwägungsgrund 35 DSM-RL, der die Beendigung laufender Nutzungen innerhalb einer angemessenen Frist vorsieht.

Zu § 5 (Rechtsfolgen eines Widerspruchs nach § 61d Absatz 2 UrhG )

Die Bestimmung regelt – letztlich parallel zur Vorschrift des § 4 für die Nutzungen auf Basis von Lizenzen – die Rechtsfolgen eines Widerspruchs bei Nutzungen nicht verfügbarer Werke auf Grundlage der gesetzlichen Erlaubnis. Ermächtigungsgrundlage hierfür ist § 61e Nummer 1 UrhG. Es erscheint angemessen, dieses Verfahren in einer eigenständigen Vorschrift zu regeln: Denn es ist möglich, dass künftig eine Vielzahl unterschiedlichster Kulturerbe-Einrichtungen von der gesetzlichen Nutzungsbefugnis Gebrauch machen wird. Nicht jede dieser Einrichtungen wird über eine spezielle juristische Expertise verfügen, so dass eine gesonderte Regelung den Zugang zum Recht erleichtert.

Der wesentliche strukturelle Unterschied zu den Bestimmungen des § 4 ist, dass hier eine Verwertungsgesellschaft nicht tätig wird, sondern sämtliche Maßnahmen von der Kulturerbe-Einrichtung zu veranlassen sind, die ein Werk zur Nutzung beim Register des EUIPO angemeldet hatte und dieses Werk entweder künftig nutzen möchte oder aber die Nutzung bereits aufgenommen hat. Dessen ungeachtet kann zur Begründung der einzelnen Regelungen auf die Erläuterungen zu § 4 verwiesen werden: Die dortigen Hinweise für Maßnahmen der Verwertungsgesellschaften gelten für Kulturerbe-Einrichtungen also entsprechend. Auch § 5 lässt die Möglichkeit der Beteiligten, die Berechtigung des Widerspruchs auf dem Rechtsweg klären zu lassen, unberührt. Das Ergebnis der Prüfung durch die Kulturerbe-Einrichtung entfaltet insoweit auch keine materielle Bindungswirkung.

Zu § 6 (Entsprechende Anwendung auf verwandte Schutzrechte)

Die Ermächtigungsgrundlage dafür, die in dieser Verordnung adressierten Fragen auch mit Blick auf verwandte Schutzrechte zu regeln, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 52e VGG und Verweis der jeweiligen im UrhG geregelten verwandten Schutzrechte auf Teil 1 Abschnitt 6 oder auf Teil 1 insgesamt des UrhG). Die Bestimmung im Rahmen der Verordnung dient der Klarstellung, dass die Vorschriften dieser Verordnung, die auf das urheberrechtliche Werk oder den Urheber Bezug nehmen, entsprechend auch für andere Schutzgegenstände, z. B. einen Tonträger gemäß § 85 UrhG oder ein Lichtbild gemäß § 72 UrhG, und deren Ersteller anzuwenden sind.

Zu § 7 (Inkrafttreten)

§ 7 erlaubt es der Praxis, sich in angemessener Frist auf die Bestimmungen der Verordnung einzustellen: Die Vorschriften treten danach je nach Verkündungstermin frühestens nach zwei Monaten, spätestens nach drei Monaten in Kraft.

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