BaFin-SZ Interview mit Mark Branson

Süddeutsche Zeitung: Herr Branson, Sie führen jetzt seit einem Jahr die BaFin, was war für Sie die größte Überraschung?

Mark Branson: Es gibt viele qualifizierte Leute bei der BaFin, die wirklich gute Aufsichtsarbeit machen. Positiv für mich war, wie groß die Motivation im Haus nach zwei schwierigen Jahren geblieben ist. Negativ überrascht hat mich, wie wenig die BaFin mit ihren unterschiedlichen Geschäftsbereichen als einheitliche Behörde agierte.

Es herrscht zu viel Silodenken?

Alle großen Organisationen kämpfen mit diesem Problem. Es ganz zu vermeiden ist nicht möglich, angesichts der zahlreichen Spezialisten unterschiedlichster Disziplinen, die hier arbeiten. Aber der Austausch zwischen den Geschäftsbereichen ist extrem wichtig. In der Vergangenheit wurde zu wenig in die interne Vernetzung investiert. Das haben wir geändert. Die Mitarbeiter sollen ihre Komfortzonen verlassen, sich austauschen und vernetzen, das bringt allen etwas.

Der frühere Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte die Aufsicht nach dem Wirecard-Debakel bissiger machen. Ist sie das jetzt?

Ich sage lieber „mutiger“ als bissiger. Wir dürfen uns nicht scheuen, Entscheidungen zu treffen, für die man nicht immer geliebt wird.

Die BaFin wirkt immer noch handzahm. Man hört zum Beispiel selten bis nie etwas über abberufene Vorstände.

Naja, das gehört durchaus zu unserem Werkzeugkasten, auch wenn wir öffentlich nicht immer darüber reden können. Aber es gibt zahlreiche Manager, die inzwischen nicht mehr im Amt sind.

Muss die Aufsicht nicht auch mal Vorstände Boni zurückzahlen lassen?

Das ist Sache des einzelnen Unternehmens und rechtlich nicht immer ganz einfach. Einige Unternehmen wollen diese Angelegenheiten oft nur hinter sich bringen und zahlen den Manager aus. Es ist mir nicht klar, ob dieser Teil der Reformen nach der Finanzkrise in der Praxis wirklich funktioniert.

Der Deutschen Bank hat die BaFin gerade erst eine Millionenstrafe auferlegt, weil das Institut noch immer keine ausreichenden Kontrollen gegen Zinsmanipulationen hatte. Von finanziellen Folgen für verantwortliche Vorstände weiß man hingegen nichts.

Die Entscheidung eines Unternehmens, die Rückzahlung von Boni zu verlangen, hängt immer vom Einzelfall ab. Natürlich kann die Aussicht solch einer Rückzahlung helfen, Manager zu disziplinieren.

Eine Lehre aus Wirecard war, dass die BaFin unabhängig werden muss von der Politik. Die Bundesregierung benahm sich seinerzeit so, dass der vermeintliche nationale Champion Wirecard eher geschützt denn hart beaufsichtigt gehörte.

In der Aufsicht benötigen wir die totale Unabhängigkeit. Zudem braucht es einen unbürokratischen Umgang mit der Regierung. Beides haben wir jetzt auch.

Die BaFin solle „am besten sogar die Beste“ Aufsicht weltweit werden, hat Scholz zu Ihrem Amtsantritt gesagt. Hand aufs Herz: Gemessen an der gefürchteten US-Aufsicht rangiert die BaFin doch weiterhin unter „ferner liefen“?

Unsere Ambition kann nicht das Mittelmaß sein. Deutschland ist eine der wichtigsten Volkswirtschaften der Welt, wir haben eine Finanzbranche mit internationaler Ausstrahlung. Auf Augenhöhe zu spielen mit den professionellsten unserer Partnerbehörden, muss unser Ziel sein. Allerdings heißt das nicht, andere zu kopieren, sondern auf unsere eigenen Stärken aufbauen.

Aber die Strafen, die die BaFin auf gesetzlicher Grundlage verhängen kann, sind im Vergleich mit den Milliardenstrafen in den USA doch lächerlich. Wie will man da gefürchtet werden?

Eine hohe Strafe klingt gut, aber letztlich bezahlen die Aktionäre das Geld, es wird schnell vergessen und es ändert sich vielleicht wenig. Ich halte andere Ansätze für sinnvoller. Zum Beispiel können wir Geschäfte verbieten oder einschränken, wenn das Risikomanagement nicht adäquat ist. Wir wollen ja, dass das Management klare Anreize hat, die Dinge wirklich zu verbessern.

Deutschland droht eine Rezession, die Energiepreise steigen, Kredite könnten platzen. Wie sicher sind die Banken?

Das Finanzsystem hat sich bislang gut gehalten, die Banken haben viel mehr Kapital als früher als Verlustpuffer. Die Situation ist deutlich robuster als zu Beginn der globalen Finanzkrise 2007/2008. Besonders besorgniserregend für Deutschland wäre natürlich eine Gasmangellage.

Der Staat könnte doch einspringen?

In der Corona-Krise war das so. Da ist die Finanzbranche einfach durchgesegelt, weil der Staat seinen Rettungsschirm breit aufgespannt hat. Doch bei einer Energiekrise wäre fast die gesamte Wirtschaft betroffen, in aller Breite, insbesondere die Industrieunternehmen. Der Staat kann das nicht alles auffangen. Deshalb würden Banken mit Kreditausfällen kämpfen.

Droht dann eine erneute Finanzkrise?

Im Moment ist das Finanzsystem robust. Die ersten Auswirkungen des Krieges hat es gut überstanden. Doch was passiert, wenn eine tiefe Rezession vielleicht kombiniert mit einem Zinsschock kommt? Dann kann man nicht ausschließen, dass Banken Probleme bekommen, zumal einige Institute ja viele Immobilienrisiken oder Zinsänderungsrisiken in der Bilanz haben. Es gibt dunkle Wolken am Horizont. Alle sehen sie. Wir wissen aber nicht, wie schwer das Gewitter wird und wo der Blitz einschlägt. Marktturbulenzen können schnell auftreten und Liquiditätsengpässe mit sich bringen. Jetzt geht es darum, für den Sturm so gut wie möglich vorbereitet zu sein.

Sie wirken immer noch gelassen.

Gelassen sind wir nie. Eine akute kurzfristige Gefahr für die Finanzstabilität sehe ich zwar nicht – aber fragen Sie mich noch einmal in drei bis sechs Monaten. Dann kann es anders aussehen. Es gibt einen Punkt, ab dem es gefährlich wird. Denn man kann das Finanzsystem nicht so kapitalisieren, dass es für jegliches Horrorszenario gewappnet ist. Aber an diesem Punkt sind wir noch nicht. Bislang sind die Finanzinstitute profitabel, die Kapitalpuffer sind da und die Kreditausfälle kommen nicht alle auf einmal.

Banken machen Geschäfte mit riskanten Fonds. Die Pleite des US-Fonds Archegos brachte der Credit Suisse einen Milliardenverlust. Dieser sogenannte Schattenbanksektor ist riesig – und weitgehend unreguliert.

Der Schattenbanksektor ist gefährlich. Wir wissen einfach nicht, welche Fonds womöglich vor der Implosion stehen, weil viele weitgehend unreguliert sind. Die entscheidende Frage ist: Wie stark sind beide Welten verflochten? Kollabierende Schattenbanken können immer Turbulenzen erzeugen. Das zeigt die Geschichte.

Wie lautet die Antwort?

Je nachdem. Die aktuelle Kernschmelze im Markt für Kryptowährungen hat bis jetzt so gut wie nichts im traditionellen Finanzsystem ausgelöst – weil es offenbar kaum Verbindungen gab. Auch die starken Aktienkurseinbrüche haben bislang zu keiner Kettenreaktion geführt. Aber natürlich macht uns dieser Sektor große Sorgen.

Die Aktienkurse für Deutsche Bank und Commerzbank sind zuletzt stark gefallen. Macht das der BaFin Sorgen?

Der kurzfristige Aktienkurs ist für uns nicht der wichtigste Indikator.

Beide Banken gehen unserem Eindruck nach davon aus, dass der deutsche Staat sie im schlimmsten Fall mit Steuergeld retten würde. Gibt es diese implizite Staatshaftung?

Ganz generell sage ich: Staatshaftung für private Unternehmen darf es nicht geben. Für diese Fälle haben wir europaweite Regeln zur Abwicklung von Kreditinstituten geschaffen. Die Institute dürfen sich keiner Illusion hingeben: diese Regeln werden wir durchsetzen. Implizite Staatsgarantien sind gefährlich, denn sie schaden dem freien Wettbewerb und verleiten zu riskantem Verhalten.

Die Bundesregierung würde eine Großbank wie die Deutsche Bank im schlimmsten Fall tatsächlich fallen lassen?

Es gibt Banken, die systemrelevant sind. Alle systemrelevanten Funktionen wie der Zahlungsverkehr und das Einlagengeschäft werden bei einer Abwicklung deshalb weitergeführt. Es wäre aber absurd eine implizite Staatsgarantie zu geben, nur, weil ein Geldhaus einen bestimmten Namen trägt oder eine lange Geschichte hat. Wir haben keinen sentimentalen Blick auf diese Sachen.

Wenn Sie mit Bankvorständen sprechen, glauben Sie denen – oder denken sie: Das muss ich alles nachprüfen?

(Lacht) Was denken denn Sie, wenn Sie mit diesen Personen sprechen?

Wir sind immer misstrauisch, selbst wenn die sagen, der Himmel ist blau, dann prüfen wir das nach.

Eine Aufsicht, die nur auf Vertrauen basiert, ist keine gute Aufsicht. Zu oft haben wir es mit Leuten zu tun gehabt, die uns in die Irre führen wollten oder die einfach zu sehr an ihre eigenen zu optimistischen Prognosen glaubten. Deshalb sind wir wachsam.

Brauchen Sie dafür nicht mehr erfahrene Banker in der Aufsicht, die die Tricks doch am besten kennen?

Tatsächlich ist der Anteil an Juristen in unserer Belegschaft hoch. Das liegt in der Natur der Sache, weil wir jeden Tag viele rechtliche Entscheidungen treffen. Künftig würden wir von einer besseren Mischung profitieren, das können frühere Banker oder Versicherungsexperten sein, aber auch Wirtschaftsprüfer oder Technologieexperten. Wir rekrutieren aktiv in diesen Bereichen. Aber es ist nicht einfach auf dem angespannten Arbeitsmarkt – es gibt eine Menge Konkurrenz.

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