OLG Karlsruhe: Urteil zur Abgasrückführung

Eine umgebungsdruckabhängige Anpassung der Abgasrückführung, die bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate jedenfalls ab einer Höhe von 1.000 m – nach Vortrag der Beklagten sogar ab 800 m – zumindest reduziert wird und dadurch Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs nimmt, ist eine unzulässige Abschalteinrichtung, die grundsätzlich Ansprüche gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1 und 27 Abs. 1 EG-FGV begründet (hier bei einem Fahrzeug des VW-Konzerns mit einem 2,0 l 110 kW Dieselmotor EA 288 der Schadstoffklasse EU 6 mit SCR-Katalysator).

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang

vorgehend LG Heidelberg, 25. August 2022, 8 O 80/22

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 25.08.2022 – 8 O 80/22 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an Kläger 3.249 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 22.01.2021 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu 89 % und die Beklagte zu 11 % zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu 63 % und die Beklagte zu 37 % zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

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– ohne Sachverhaltsdarstellung gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 Abs. 1 S. 1 ZPO –
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Die Berufung ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 3.249 €.
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1. Die Berufung bleibt mit dem Hauptantrag, mit dem der Kläger den kleinen Schadensersatz in Höhe von 15 % des Nettokaufpreises beansprucht, ohne Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Ein solcher Anspruch würde voraussetzen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug VW Tiguan Sport & Style 4Motion BM 2.0 TDI (110 kW, Erstzulassungsdatum 07.07.2015) mit dem von der Beklagten hergestellten und in Verkehr gebrachten Dieselmotor der Schadstoffklasse EU 6 vom Typ EA 288 und SCR-Katalysator tatsächlich über die behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen verfügt und dieser Umstand (in Ansehung einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen) als sittenwidrig zu qualifizieren und dem Kläger deshalb ein Schaden entstanden ist. Das ist nicht der Fall.
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a. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, juris Rn. 14).
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Nach diesen Grundsätzen kann ein objektiv sittenwidriges Handeln der Beklagten nicht allein daraus abgeleitet werden, dass im Fahrzeug des Klägers Einrichtungen vorhanden sind, die die Abgasemissionen beeinflussen und möglicherweise als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind (vgl. zur Rechtslage allgemein EuGH, Urteil vom 17. Dezember 2020 – C-693/18, NJW 2021, 1216 – CLCV u.a.). Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz emissionsbeeinflussender Einrichtungen im Verhältnis zum Kläger als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein agierten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Urteil vom 12.10.2023 – VII ZR 412/21 –, juris Rn. 15 m.w.N.).
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b. Der Umstand, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug mit SCR im Zeitpunkt des Erwerbs unstreitig die in der „Entscheidungsvorlage: Applikationsrichtlinien und Freigabeverfahren EA288“ vom 18.11.2015 (Anlagenheft Beklagte, S. 135 ff., nachfolgend: Applikationsrichtlinie) beschriebene Fahrkurve zum Einsatz kam, begründet danach keine Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung.
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aa. Es kann schon eine objektive Sittenwidrigkeit der in der Applikationsrichtlinie beschriebenen Fahrkurvenerkennung nicht festgestellt werden.
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(1) Die Fahrkurvenerkennung bewirkt bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 und SCR-Katalysator, dass bei erkanntem Rollenprüfstand die Abgasrückführungsrate nach dem Zuschalten des SCR-Katalysators – anders als im Normalbetrieb – nicht reduziert wird, sondern unverändert hoch bleibt. Sie bewirkt bei bestimmten Fahrzeugen darüber hinaus, dass bei erkanntem Rollenprüfstand der SCR-Katalysator früher als im Normalbetrieb zur Abgasreinigung hinzugeschaltet wird, wobei nach dem Vortrag der Beklagten die eingespritzte Menge an AdBlue während des NEFZ unverändert bleiben soll. Die mit der Fahrkurvenerkennung verbundene Umschaltstrategie ist nach dieser Funktionsbeschreibung eine emissionsbeeinflussende Einrichtung, weil auch nach dem Vortrag der Beklagten davon auszugehen ist, dass jedenfalls die Beibehaltung der erhöhten Abgasrückführungsrate nach dem Zuschalten des SCR-Katalysators Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs hat.
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(2) Dass die beschriebene emissionsbeeinflussende Einrichtung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt, weil hierfür jede Einflussnahme auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs ausreicht und die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte insoweit ohne Bedeutung ist (BGH, Urteil vom 26.06.2023 – VIa ZR 335/21 –, juris Rn. 51), genügt indes nicht für die Annahme von Sittenwidrigkeit. Wie oben dargelegt, muss hinzukommen, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtung in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Hiervon kann unter den gegebenen Umständen nicht ausgegangen werden.
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(a) Dass die beschriebene Umschaltstrategie evident unzulässig wäre, woraus möglicherweise – wie im Fall der Umschaltlogik im Motor EA 189 – der Schluss auf ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen gezogen werden könnte, kann nicht festgestellt werden.
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Das KBA bewertet die Fahrkurvenerkennung nicht als unzulässig, weil eine solche Bewertung nach der Rechtsauffassung des KBA voraussetzt, dass sich die Fahrkurvenerkennung auf die Einhaltung der Grenzwerte auswirkt, und dies nach den vom KBA vorgenommenen Untersuchungen nicht der Fall ist (vgl. die von der Beklagten vorgelegten amtlichen Auskünfte des KBA zu verschiedenen Fahrzeugen mit dem Motor EA 288, Anlagen BE 2 – BE 6).
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Auch wenn die Rechtsauffassung bzw. Verwaltungspraxis des KBA nach den vorstehenden Ausführungen keine Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hat, schließt dies die Annahme eines vorsätzlich-sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten aus. Vertritt die zuständige Fachbehörde die Rechtsauffassung, die hier diskutierte Abschalteinrichtung sei zulässig, kann das darauf bezogene Verhalten der Beklagten nicht als besonders verwerflich eingestuft werden. Für die dazu erforderliche Annahme, die Beklagte habe die Abschalteinrichtung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert, bleibt kein Raum (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21 –, juris Rn. 17; BGH, Beschluss vom 21. März 2022 – VIa ZR 334/21 –, juris Rn. 19).
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(b) Greifbare Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrkurvenerkennung von der Beklagten – entgegen ihrem Vorbringen – in ähnlicher Weise wie die Umschaltlogik des Motors EA 189 eingesetzt wurde, um durch ein verändertes Abgasverhalten die Einhaltung des gesetzlichen NOx-Grenzwerts auf dem Prüfstand vorzutäuschen, bestehen nicht.
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(aa) Nach dem Ergebnis der von der VW-Untersuchungskommission durchgeführten Untersuchungen mehrerer Fahrzeuge mit dem Motor EA 288 der Schadstoffklasse EU 6 mit SCR-Katalysator (Audi A6 2.0 l, VW Passat 2.0 l und VW Touran 2.0 l; vgl. Bericht der Untersuchungskommission „Volkswagen“, herausgegeben vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Anlage B 1, nachfolgend: Untersuchungsbericht) kommt in den Motoren des Typs EA 288 die aus den EA 189-Fällen bekannte Umschaltlogik nicht zum Einsatz (a.a.O., S. 20, 60 und 119). Die untersuchten Fahrzeuge wurden vielmehr insoweit als unauffällig bewertet und der Gruppe I zugeordnet. Dieser Gruppe wurden alle Fahrzeuge zugeordnet, die ein unauffälliges Verhalten zeigten oder bei denen die Hersteller gewisse Auffälligkeiten in Höhe der NOx-Werte technisch plausibel und akzeptabel darstellen konnten (a.a.O., S. 18). Allgemein hat die Untersuchungskommission festgehalten, dass eine Umschaltlogik nur bei Fahrzeugen mit EA 189-Motor festgestellt worden sei, aber bei keinem anderen untersuchten Fahrzeugtyp (a.a.O., S. 119).
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(bb) Eigene Untersuchungen des KBA haben zudem ergeben, dass auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung die gesetzlichen Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden (siehe oben).
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Der Tatsachenvortrag des Klägers ist nicht geeignet, die Richtigkeit des vom KBA mitgeteilten Untersuchungsergebnisses in Zweifel zu ziehen: Die von dem Kläger angeführten Messergebnisse des Sachverständigen Dr. P. (Anlage E 3) und der D.U. (Anlagen K 12 und K 13) begründen vor dem Hintergrund des Berichts der VW-Untersuchungskommission und der Untersuchungen durch das KBA keine greifbaren Anhaltspunkte für einen sittenwidrigen Einsatz der Fahrkurvenerkennung. Die gemessenen erhöhten Emissionswerte im realen Fahrbetrieb sind ohne weiteres mit den von den Prüfbedingungen im NEFZ abweichenden Bedingungen auf der Straße erklärbar. Der Sachverständige Dr. P. erklärt sie mit dem Thermofenster und nicht mit der Fahrkurvenerkennung.
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Der Rückruf des KBA bezüglich des Fahrzeugmodells VW T6 (Hersteller-Code der Rückrufaktion: 23Z7) ist senatsbekannt (u.a. aus den Verfahren 8 U 141/20 und 8 U 155/20) wegen einer Konformitätsabweichung und nicht wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt. Er betrifft das streitgegenständliche Fahrzeug nicht und begründet auch sonst keinen Anhaltspunkt für einen sittenwidrigen Einsatz der Fahrkurvenerkennung. Aus der Applikationsrichtlinie und den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. (Anlage E 2) ergibt sich nur der – ohnehin unstreitige – Einsatz der Fahrkurvenerkennung und nicht ihre Verwendung zur Vortäuschung der Einhaltung des gesetzlichen NOx-Grenzwerts auf dem Prüfstand.
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bb. Darüber hinaus scheidet auch ein Schädigungsvorsatz aus (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21 –, juris Rn. 17 a.E.). Denn es kann nicht unterstellt werden, dass die Beklagte aufgrund einer eigenen, von der des KBA abweichenden rechtlichen Bewertung im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs im Sinne eines bedingten Vorsatzes damit rechnete, dass ein verpflichtender Rückruf wegen einer unerlaubten Abschalteinrichtung und eine Betriebsuntersagung für das Fahrzeug drohte. Dass sich die Beklagte möglicherweise erst nach dem Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs von ihrer Rechtsauffassung durch das KBA als zuständige Fachbehörde bestätigt sah, ändert hieran nichts. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob dem KBA im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits bekannt war, dass die Fahrkurve auf die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte keinen Einfluss hat.
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c. Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einem Thermofenster ist, selbst wenn dieses als unzulässige Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bewertet wird, nicht als sittenwidrig zu qualifizieren und steht wertungsmäßig einer arglistigen Täuschung der Käufer nicht gleich (vgl. Senat, Urteil vom 14. Mai 2021 – 8 U 14/20 –, juris Rn. 42 ff.; Urteil vom 8. Oktober 2021 – 8 U 12/20 –, juris Rn. 27 ff.). Das gilt auch dann, wenn das Thermofenster – entgegen dem Vortrag der Beklagten, wonach die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug bei Außentemperaturen zwischen -24°C und +70°C zu 100 % aktiv sei – so ausgestaltet wäre, dass die Emissionsgrenzwerte nur bei den auf dem Rollenprüfstand vorgesehenen Temperaturen eingehalten werden.
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Als sittenwidrig wäre dieser Sachverhalt nur zu bewerten, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 28).
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Der Kläger zeigt solche weiteren Umstände nicht auf. Insbesondere kann auf der Grundlage seines Vorbringens nicht angenommen werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Implementierung des Thermofensters in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Der bloße Umstand, dass das On-Board-Diagnosesystem (OBD-System) keinen erhöhten NOx-Ausstoß anzeigt, rechtfertigt einen solchen Schluss nicht.
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d. Soweit im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Reduzierung oder Abschaltung der Abgasrückführung in Abhängigkeit vom Umgebungsdruck und den Höhenverhältnissen erfolgt, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.
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2. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB kommt nach den obigen Ausführungen ebenfalls nicht in Betracht, weil ein (sittenwidriges) Verhalten der Beklagten, das einer (arglistigen) Täuschung des Klägers gleichsteht, nicht vorliegt.
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3. Mit dem Hilfsantrag hat die Berufung teilweise Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Anspruch auf Ersatz eines Differenzschadens in Höhe von 3.249 €.
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a. Die erstmalige Geltendmachung des Differenzschadens im Berufungsverfahren wegen der Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmung hilfsweise neben dem Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung ist – unabhängig davon, ob der Kläger zunächst den großen oder den kleinen Schadensersatz beansprucht hat – zulässig (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2023 – 8 U 291/21 –, juris Rn. 19-21).
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b. Der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs fällt – unionsrechtlich vorgegeben – in den persönlichen Schutzbereich der § 6 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, juris Rn. 21). Das Unionsrecht verlangt indes nicht, den Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, also das Interesse auf Rückabwicklung des Kaufvertrags in den sachlichen Schutzbereich der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV einzubeziehen, sondern nur den Ersatz des Schadens in Höhe des Betrages, um den der Käufer das Fahrzeug mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat (Differenzschaden; vgl. BGH, a.a.O., Rn. 22, 32, 40). Der Differenzschaden ist nach § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu schätzen. Nach den Vorgaben des Unionsrechts ist das Schätzungsermessen innerhalb einer Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises rechtlich begrenzt (BGH, a.a.O., Rn. 72 f.).
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c. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sind im Streitfall erfüllt. Die Beklagte hat eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt, weil das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet ist. Hierbei hat die Beklagte schuldhaft gehandelt.
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aa. Die Beklagte hat eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung erteilt, da das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer umgebungsdruckabhängigen Anpassung der Abgasrückführung aufweist. Diese bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate jedenfalls ab einer Höhe von 1.000 m abgeschaltet oder zumindest reduziert wird und dadurch Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs nimmt.
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(1) Der Kläger hat bereits in der Klageschrift (dort S. 14) im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Thermofenster vorgetragen, dass außerdem (d.h. neben der temperaturabhängigen Reduzierung der Abgasrückführung) die Abgasreinigung ab einer Höhe von 1.000 m sogar ganz ausgeschaltet werde. Diesen Vortrag hat die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht bestritten. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024 ist der Vortrag des Klägers, auch wenn er knapp ist und nur aus einem Satz besteht, einlassungsfähig. Die Ausführungen im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024 zeigen gerade, dass die Beklagte den Vortrag des Klägers verstanden hat und es ihr möglich war, darauf zu erwidern. Der Kläger hat diesen Vortrag auch zum Gegenstand seines Berufungsvorbingens gemacht, indem er in der Berufungsbegründungsschrift (dort S. 28) ausdrücklich auf sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen Bezug genommen hat. Die Beklagte hatte daher sowohl im erstinstanzlichen Verfahren als auch im Berufungsverfahren Veranlassung, zu der Behauptung des Klägers Stellung zu beziehen und den erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im Schriftsatz vom 12.10.2022 gehaltenen Vortrag bereits zu einem früheren Zeitpunkt zu halten.
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(2) Die Abschaltung der Abgasrückführung, die der Kläger, wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, mit dem im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum Thermofenster verwendeten Begriff der „Abgasreinigung“ offensichtlich meint, ab einer Höhe von 1.000 m ist eine Abschalteinrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert und deshalb gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässig ist. Sie ist nicht gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 VO 715/2007/EG ausnahmsweise zulässig, da keiner der unter lit. a bis c aufgeführten Ausnahmetatbestände vorliegt.
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(a) Nach Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 kann eine Abschalteinrichtung schon dann vorliegen, wenn die Funktion nur eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit von bestimmten Parametern verändert und die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs verringert wird. Maßstab für die Frage der Zulässigkeit einer Funktionsveränderung in Abhängigkeit von bestimmten Parametern ist nach Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht die Einhaltung des Grenzwerts, sondern die Wirksamkeit des unverändert funktionierenden Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs. In diesem Zusammenhang bedarf es eines Vergleichs der Wirksamkeit des unverändert funktionierenden und derjenigen des verändert funktionierenden Gesamtsystems, und zwar jeweils unter den Bedingungen des normalen Fahrbetriebs im gesamten Unionsgebiet (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, BGHZ 237, 245-280, juris Rn. 51).
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(b) Da die Abgasrückführung gerade die Verminderung der NOx-Emissionen bezweckt, kann nicht zweifelhaft sein, dass eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate – und erst recht eine vollständige Abschaltung der Abgasrückführung – ab einer Höhe von 1.000 m die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinflusst und zu einer Erhöhung des NOx-Ausstoßes führt. Gegenteiliges behauptet auch die Beklagte im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024 nicht. Der Senat teilt im Übrigen die Auffassung des EuGH (Urteil vom 14. Juli 2022 – C-128/20 –, juris Rn. 44) und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts (Urteil vom 20. Februar 2023 – 3 A 113/18 –, juris Rn. 401 ff.), dass die Nutzung von Fahrzeugen in Höhen von über 1.000 m über dem Meeresspiegel zu den im Unionsgebiet üblichen Bedingungen gehört.
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(c) Dass diese Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig ist, vermag der Senat nicht festzustellen, da die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zu den Ausnahmetatbeständen des Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. a bis c der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nichts vorgetragen hat. Als Anspruchsgegnerin obliegt der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine festgestellte Abschalteinrichtung zulässig ist. Das ergibt sich aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, weil die Verwendung einer Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 grundsätzlich unzulässig und nur unter den besonderen Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausnahmsweise zulässig ist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, BGHZ 237, 245-280, juris Rn. 54). Dass der Kläger hierzu keinen Vortrag gehalten hat, ist deshalb unerheblich.
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(3) Der Vortrag der Beklagten im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024 gebietet nicht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 ZPO. Es liegt insbesondere keine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht vor.
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Der Senat war aus den unter (1) dargelegten Gründen nicht gehalten, der Beklagten einen Hinweis zu erteilen, dass eine Verurteilung der Beklagten wegen der von ihr nicht bestrittenen Abschaltung der Abgasrückführung ab einer Höhe von 1.000 m in Betracht kommt. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 23.02.2024 hat das Landgericht den in Rede stehenden Vortrag des Klägers nicht erkennbar für unerheblich gehalten, sondern schlicht übergangen. Die Beklagte konnte deshalb nicht darauf vertrauen, dass dem Vortrag in der Berufungsinstanz keine Bedeutung mehr zukommt, zumal der Kläger mit der Berufung auf sein gesamtes erstinstanzliches Vorbringen Bezug genommen hat.
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Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 21. Januar 2020 – VI ZR 346/18 –, juris Rn. 9) ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil keine Notwendigkeit bestand, der Beklagten wegen einer vom Landgericht abweichenden rechtlichen Beurteilung Gelegenheit zur Ergänzung ihres Sachvortrags oder zum Beweisantritt zu geben. Da die Beklagte den Vortrag des Klägers nie bestritten hat, war dieser bis zur mündlichen Verhandlung unstreitig. Es war auch nicht ersichtlich, dass ein Bestreiten nur versehentlich unterblieben ist. Auf ein nicht offensichtlich nur versehentlich unterbliebenes Bestreiten muss das Gericht eine Partei nicht gemäß § 139 ZPO hinweisen; es könnte damit sonst auch seine Neutralitätspflicht verletzen.
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(4) Der Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 23.02.2024 gibt auch keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen. Denn es ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beklagten im Schriftsatz vom 23.02.2024 davon auszugehen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist.
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(a) Die Beklagte hat in dem genannten Schriftsatz eingeräumt, dass es bei abnehmendem Umgebungsdruck zu einer geänderten Abgasrückführungsrate kommen und eine Abrampung – also eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate – ab einer Höhe von ca. 800 m – mithin sogar unter 1.000 m – erfolgen kann, wobei eine komplette Abschaltung aber auch bei 1.000 Höhenmetern nicht stattfinde. Damit sind auch nach dem Vortrag der Beklagten die oben genannten Voraussetzungen des Art. 3 Nr. 10 und des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erfüllt.
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(b) Soweit die Beklagte trotz der mit der Reduzierung der Abgasrückführungsrate einhergehenden Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems ab einer Höhe von 800 m meint, dass schon keine Abschalteinrichtung vorliege, weil die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems betriebspunktspezifisch sei und die Verbrennungssteuerung physikalisch zwingend auf den sich verändernden Umgebungsdruck reagieren müsse, kann dieser rechtlichen Bewertung nicht gefolgt werden. Es kommt dabei nicht darauf an, ob bestimmte Fahrzustände wie z.B. ein Überholvorgang eine erhöhte Frischluftzufuhr und eine geringere Abgasrückführungsrate erfordern. Eine Reduzierung der Abgasrückführungsrate, die dazu führt, dass die Abgasrückführung regelmäßig ab einer Höhe von 800 m in allen Fahrzuständen nur noch eingeschränkt funktioniert, mit der Folge, dass die NOx-Emissionen im Vergleich zu Fahrten unter 800 m stets erhöht sind, verringert jedenfalls die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind und stellt damit eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 dar.
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(c) Dass diese Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems aus Gründen des Motorschutzes und des sicheren Fahrzeugbetriebs erforderlich ist, kann auch auf der Grundlage des Vortrags der Beklagten im Schriftsatz vom 23.02.2024 nicht angenommen werden. Die Beklagte begründet die Reduzierung der Abgasrückführungsrate bei dem geringeren Umgebungsdruck ab einer Höhe von 800 m damit, dass andernfalls der Turbolader in höhere Drehbereiche gebracht werden müsste, was ihn beschädigen und als Folge hiervon einen Motorschaden verursachen könnte. Diese Begründung verfängt schon deshalb nicht, weil ein Fahrzeug auch mit begrenzter Leistung betrieben werden kann, wenn dies zum Schutz einzelner Bauteile wie dem Turbolader erforderlich und eine Ausstattung mit leistungsfähigeren Bauteilen technisch nicht möglich sein sollte (Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, a.a.O., Rn. 405). Auch zu einem verstärkten Einsatz des SCR-Katalysators zum Ausgleich der reduzierten Abgasrückführungsrate trägt die Beklagte nichts vor.
Randnummer41
bb. Der Verstoß der Beklagten gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV durch die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung ist schuldhaft erfolgt.
Randnummer42
Die Beklagte hat die aus der Schutzgesetzverletzung folgende Verschuldensvermutung (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, BGHZ 237, 245-280, juris Rn. 59) weder ausgeräumt noch einen unvermeidbaren Verbotsirrtum konkret dargelegt. Dazu muss der Fahrzeughersteller darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGB über die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im maßgeblichen Zeitpunkt im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten (vgl. BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23 –, juris Rn. 14; Senat, Urteil vom 03.11.2023 – 8 U 104/21, juris Rn. 48f.).
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Die Beklagte hat (auch im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024) zu einem Irrtum ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter keinen Vortrag gehalten. Da es somit schon an der konkreten Darlegung eines Verbotsirrtums fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, ob dieser unvermeidbar gewesen wäre oder ob sich die Beklagte auf eine hypothetische Genehmigung berufen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, BGHZ 237, 245-280, juris Rn. 65). Dass sie bereits vor dem maßgeblichen Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs des Klägers am 07.05.2015 dem KBA konkret dargelegt hätte, dass die Abgasrückführung ab einer Höhe von 800 m reduziert wird, legt die Beklagte im Schriftsatz vom 23.02.2024 zudem nicht dar. Welche Informationen die Beklagte dem KBA am 14.11.2016 nachgereicht hat, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
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d. Durch den schuldhaften Verstoß der Beklagten gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat der Kläger einen Vermögensschaden in Höhe von 3.249 € erlitten.
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aa. Wie oben ausgeführt, hat der Kläger einen Schaden in Höhe des Betrages erlitten, um den er das Fahrzeug mit Rücksicht auf die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundenen Risiken zu teuer erworben hat.
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Zur Erwerbskausalität kann sich der Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf den Erfahrungssatz stützen, dass er den Kaufvertrag zu diesem Kaufpreis nicht geschlossen hätte. Für die Anwendung eines solchen Erfahrungssatzes ist nicht von Bedeutung, ob ihm beim Erwerb des Fahrzeugs die von der Beklagten ausgegebene unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung vorgelegen und ob er von deren Inhalt Kenntnis genommen hat. Auch ohne Kenntnisnahme der vom Fahrzeughersteller ausgegebenen Übereinstimmungsbescheinigung geht der Käufer typischerweise davon aus, dass der Hersteller für das erworbene Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung ausgegeben hat und dass diese die gesetzlich vorgesehene Übereinstimmung mit allen maßgebenden Rechtsakten richtig ausweist (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21 –, juris Rn. 55 f.).
Randnummer47
Umstände, die diesen Erfahrungssatz widerlegen, sind im Streitfall weder dargetan noch sonst ersichtlich. Insbesondere hat die Beklagte nicht dargelegt, dass sie die Ausrüstung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einer Art und Weise bekannt gegeben hat, die einem objektiven Dritten die mit dem Kauf des Fahrzeugs verbundenen Risiken verdeutlichen muss (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 32). Die Beklagte vertritt im Gegenteil die Auffassung, dass die Reduzierung der Abgasrückführung ab 800 m keine unzulässige Abschalteinrichtung sei und eine Stilllegung des Fahrzeugs nicht drohe.
Randnummer48
bb. Der Differenzschaden beläuft sich auf 3.249 €.
Randnummer49
(1) Der Senat schätzt die Höhe des dem Kläger entstandenen Vermögensschadens gemäß § 287 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles innerhalb der unionsrechtlich vorgegebenen Bandbreite (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 71 ff.) wie bei einem als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewertenden Thermofenster (vgl. hierzu u.a. Senat, Urteil vom 22. August 2023 – 8 U 271/21 –, juris Rn. 77) mit 10 % des gezahlten Kaufpreises. Der Senat geht davon aus, dass der objektive Wert des Fahrzeugs durch das mit der Abschalteinrichtung verbundene Risiko der Betriebsstilllegung in gleichem Umfang wie bei einem unzulässigen Thermofenster gemindert ist. Die Höhe des entstandenen Differenzschadens ist einer tatrichterlichen Schätzung nach § 287 ZPO zugänglich. Unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 76 f.) handelt es sich in jeder Hinsicht, sowohl was die Art als auch was die möglichen Folgen des Verstoßes angeht, um einen mittelschweren Fall innerhalb der unionsrechtlich vorgegebenen Bandbreite von 5 % bis 15 %, der die Anwendung des mittleren Prozentsatzes von 10 % rechtfertigt.
Randnummer50
(2) Soweit im streitgegenständlichen Fahrzeug darüber hinaus ein Thermofenster zum Einsatz kommt, kann dahinstehen, ob dieses in seiner konkreten Ausgestaltung, die zwischen den Parteien im Streit steht, eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt. Denn auch wenn das Thermofenster so ausgestaltet wäre, dass die Abgasrückführung – wie der Kläger behauptet – bereits bei Temperaturen unter 10°C und über 32°C reduziert wird, würde die bereits wegen der oben festgestellten Abschalteinrichtung bestehende Gefahr von Betriebsbeschränkungen durch ein solches Thermofenster nach der freien Überzeugung des Senats nicht weiter erhöht. Der Differenzschaden wäre deshalb auch in diesem Fall nicht höher als mit den bereits veranschlagten 10 % des Kaufpreises zu bemessen.
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(3) Die Tatsache, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug im Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs eine weitere unerlaubte Abschalteinrichtung in Form einer Fahrkurvenerkennung zum Einsatz kam (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 12.03.2024 – 8 U 427/22 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), rechtfertigt keinen höheren Differenzschaden, weil davon auszugehen ist, dass der Schaden des Klägers insoweit durch ein inzwischen aufgespieltes Software-Update vollständig ausgeglichen ist (vgl. hierzu BGH, a.a.O., Rn. 80). Der Kläger hat die Behauptung der Beklagten im Termin vom 09.02.2024, dass die Fahrkurvenerkennung durch ein am 06.07.2022 aufgespieltes Software-Update entfernt worden sei, im nachgelassenen Schriftsatz vom 23.02.2024 nicht bestritten. Es ist davon auszugehen, dass durch das Software-Update die Gefahr einer Betriebsstilllegung oder von Betriebsbeschränkungen wegen der Fahrkurvenerkennung vollständig beseitigt wurde.
Randnummer52
cc. Auf den Differenzschaden sind im Wege der Vorteilsausgleichung die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs nach den Grundsätzen für die Berechnung des sogenannten kleinen Schadensersatzanspruchs anzurechnen (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 80). Danach sind Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs auf den Schadensersatzanspruch erst dann und nur insoweit schadensmindernd anzurechnen, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 –, juris Rn. 22). Im Streitfall übersteigen die Nutzungsvorteile und der Restwert den anfänglichen Fahrzeugwert nicht.
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(1) Die Nutzungsentschädigung kann im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO ermittelt werden, indem der gezahlte Bruttokaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, juris Rn. 80). Der Senat legt diese lineare Berechnungsmethode seiner Schätzung in ständiger Rechtsprechung zugrunde. Die Ausführungen der Beklagten geben keine Veranlassung, von dieser gebräuchlichen Berechnungsmethode abzuweichen. Die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit 2-Liter-Motor veranschlagt der Senat mit 250.000 km.
Randnummer54
Im Streitfall hat der Kläger das Fahrzeug als Neuwagen mit einer Laufleistung von 0 km zu einem Bruttokaufpreis von 32.490 € erworben. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 67.256 km. Nach der vom Senat herangezogenen Berechnungsmethode ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung von 8.740,59 € (= 32.490 € geteilt durch 250.000 km mal 67.256 km.
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(2) Den Restwert des Fahrzeugs veranschlagt der Senat gemäß § 287 ZPO mit 12.928,50 €. Der Senat legt seiner Schätzung die von der Beklagten vorgelegte DAT-Bewertung zum 16.01.2024 (Anlage BE 16) zugrunde, die einen Händlerverkaufswert von 14.365 € ausweist, und nimmt hiervon einen Abschlag in Höhe von 10 % vor. Der vorgenommene Abschlag ist deshalb gerechtfertigt, weil der Händlerverkaufswert die Gewinnspanne des Händlers beinhaltet sowie die kalkulierten Kosten der von ihm geschuldeten Gewährleistung und deshalb regelmäßig über dem von einem nicht gewerblichen Verkäufer erzielbaren Kaufpreis liegt.
Randnummer56
(3) Den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger veranschlagt der Senat gemäß § 287 ZPO mit der Differenz aus dem von dem Kläger gezahlten Bruttokaufpreis von 32.490 € und dem oben ermittelten Differenzschaden von 3.249 €, die sich auf 29.241 € beläuft.
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(4) Daraus ergibt sich, dass sich die Summe aus den von dem Kläger erlangten Nutzungsvorteilen in Höhe von 8.740,59 € und dem Restwert des Fahrzeugs von 12.928,50 € auf 21.669,09 € beläuft und somit den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger in Höhe von 29.241 € (bei weitem) nicht übersteigt. Eine Anrechnung auf den unter bb. ermittelten Differenzschaden erfolgt daher nicht.
Randnummer58
3. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288, 291 ZPO.
Randnummer59
Da der Streitgegenstand beim großen Schadensersatz und beim Differenzschaden bei unverändertem Lebenssachverhalt identisch ist (siehe oben), kann der Kläger Rechtshängigkeitszinsen aus dem in der Hauptsache zugesprochenen Betrag, der den mit der Klageerhebung geltend gemachten Betrag nicht übersteigt, ab dem auf die Zustellung der Klage folgenden Tag (wie beantragt: „ab Rechtshängigkeit“) und nicht erst ab dem auf die Zustellung des Schriftsatzes mit dem geänderten Klageantrag folgenden Tag beanspruchen.
Randnummer60
4. Der auf die Feststellung der Pflicht zur Kostentragung gerichtete Hilfsantrag Ziffer 2 bleibt mangels Anspruchsgrundlage ohne Erfolg. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gewährt dem Käufer neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens keinen Anspruch auf Ersatz weiterer Vermögensnachteile (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 37/21 –, juris Rn. 19). Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der Kläger hatte von vornherein nur einen Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens und keinen Anspruch auf Ersatz des zunächst geltend gemachten großen Schadensersatzes. Als (einseitige) Erledigungserklärung will der Kläger den Hilfsantrag ausdrücklich nicht verstanden wissen (Schriftsatz vom 26.09.2023, S. 17). Eine Teilerledigung des Rechtsstreits könnte auch nicht festgestellt werden, weil der Kläger – wie ausgeführt – den mit der Klage zunächst geltend gemachten großen Schadensersatz nicht beanspruchen konnte.
Randnummer61
5. Da dem Kläger bereits dem Grunde nach keine Schadensersatzansprüche gemäß § 826 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB gegen die Beklagte zustehen, kann er nach diesen Anspruchsgrundlagen auch nicht die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.
Randnummer62
Auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV kann neben dem Anspruch auf Ersatz des Differenzschadens eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht verlangt werden (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 14/22 –, juris Rn. 13). Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 BGB sind weder dargetan noch ersichtlich.
Randnummer63
6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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