ür viele in Israel ein Tag der Erleichterung. Für 20 Männer jedoch – nach 738 Tagen in Geiselhaft – ist es ein Tag der Stille, der Erschöpfung, des langsamen Ankommens in einer Welt, die sich weitergedreht hat, während sie unter der Erde lebten.
Sie kehrten zurück aus einer Welt ohne Zeit, ohne Sonne, ohne Stimme. 738 Tage in den Tunneln der Hamas – in körperlicher und seelischer Isolation. Ihre Gesichter, eingefallen und bleich, sind keine Bilder des Triumphs, sondern des Überlebens.
Avinatan Or: Zwei Jahre allein im Tunnel
Der 32-jährige Avinatan Or war während der gesamten Zeit isoliert. Niemanden zu sehen. Kein Geräusch außer dem eigenen Atem und den Schritten seiner Bewacher. Seine Zelle, so groß wie eine Matratze, wurde zur ganzen Welt. Fast zwei Jahre lang war er mit Handschellen an Gitterstäbe gefesselt – er, fast zwei Meter groß, in einem Käfig von 1,80 Höhe.
Sein Vater erzählt, wie nach einem Fluchtversuch die Bedingungen noch härter wurden. Und doch hat sein Sohn überlebt. Still. Ausgemergelt. Aber lebendig.
Getrennt, gefesselt, vergessen?
Noa Argamani, einst mit Or auf einem Musikfestival, wurde früh freigelassen – jetzt sieht sie ihn wieder. „Er war nur in Tunneln, ganz allein“, sagt sie. Zwei Menschen, getrennt an einem Tag, der für Israel zum Albtraum wurde: der 7. Oktober 2023. Zwei Jahre lang war das Wiedersehen eine bloße Hoffnung – nun ist es Wirklichkeit.
Auch viele andere berichten von absoluter Isolation, vom Verstummen der Zeit. Kein Tageslicht, kein Kontakt zur Außenwelt, keine Stimme außer der eigenen. Manche wussten nicht einmal, dass draußen für sie demonstriert wurde. Dass man sie nicht vergessen hatte.
Zwang, Schmerz und Manipulation
Einige, wie der 22-jährige Matan Angrest, wurden härter behandelt – weil sie Soldaten waren. Er wurde geschlagen, gefoltert, in Trümmern begraben, nur begleitet vom Lärm der Bombardements. Seine Peiniger flüsterten Lügen: Israel habe ihn aufgegeben. Hamas sei auf dem Vormarsch. Ein nächster 7. Oktober stehe bevor.
Seine Mutter sagt, er habe das Bewusstsein verloren – nicht nur vom Schmerz, sondern auch von der Verzweiflung. Doch trotz allem scheint er „zumindest mental in einem halbwegs guten Zustand“ zurückgekehrt zu sein. Was für ein kleiner, großer Sieg.
Bruchstücke von Menschlichkeit
Inmitten der Gewalt gab es auch Momente, die irritieren: Geiseln, die für ihre Bewacher kochten. Männer, die Karten spielten mit denen, die sie gefangen hielten. „Sie liebten sein Essen“, sagt der Bruder von Omri Miran. War es Menschlichkeit? Oder war es ein Spiel, Macht in freundlicher Maske?
„Wenn ein Kartenspiel einen vierten Mann brauchte, holten sie einen von uns“, berichtet ein Angehöriger. Für einen Moment war man Mitspieler – nicht Gefangener. Aber das Spiel endete immer. Und die Gitter blieben.
Brüder, getrennt durch Beton
Gali und Siv Berman, Zwillingsbrüder, wurden getrennt gehalten – unweit voneinander, doch ohne es zu wissen. Mal gab es genug zu essen, dann wieder Hungerwochen. Das Gefühl, ganz nah und doch ganz fern zu sein – auch das ist Folter.
Wenn Zeit kein Maßstab mehr ist
Elkana Bohbot, einer der Veranstalter des Supernova-Festivals, war 36 Jahre alt, als die Hamas ihn verschleppte. In einem Tunnel, angekettet, verlor er jedes Zeitgefühl. Und doch erinnerte er sich an seinen Hochzeitstag. Auch in der Dunkelheit blieb ein letzter Anker.
Der Horror begann am 7. Oktober 2023
Mehr als 1.200 Menschen starben damals bei den Angriffen der Hamas, über 250 wurden verschleppt. Die Gewalt unterschied nicht zwischen Jung und Alt, zwischen Babys, Frauen und Greisen. Manche Geiseln berichten von sexueller Gewalt – ein Entsetzen, das nicht mit der Freilassung endet.
Ein Licht – aber keine Rückkehr zur Normalität
Was bleibt, ist ein tiefer Riss. In den Leben der Freigelassenen, in ihren Familien, in der Gesellschaft. Der 13. Oktober 2025 war ein Tag der Hoffnung – aber auch ein Tag, der uns daran erinnert, was es heißt, Mensch zu bleiben im Angesicht des Unmenschlichen.
Und jene, die zurückkamen, tragen nun nicht nur ihre Narben – sondern auch die Geschichten derer, die nicht mehr sprechen können.
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