Thomas Bremer: Herr Iwanow, die Causa DEGAG AG entwickelt sich zu einem handfesten Skandal. Vermittler und Kunden sehen sich getäuscht, viele fürchten um ihr Geld. Wie bewerten Sie die rechtliche Lage insbesondere für die Vertriebe?
RA Michael Iwanow: Die rechtliche Lage für die Vertriebe ist in der Tat kritisch. Grundsätzlich trifft Vermittler eine besondere Aufklärungspflicht gegenüber ihren Kunden. Das bedeutet, sie müssen sicherstellen, dass die Anlageprodukte, die sie empfehlen, transparent sind und den beworbenen Versprechen entsprechen. Wenn – wie es hier den Anschein hat – massive Täuschungen durch die DEGAG-Führung vorlagen und die Vertriebe diese entweder nicht erkannt oder bewusst ignoriert haben, stehen sie nun in der Haftung.
Thomas Bremer: Viele Vermittler argumentieren, dass sie selbst getäuscht wurden. Entlastet sie das nicht?
RA Iwanow: Es kommt auf den Einzelfall an. Wenn ein Vermittler tatsächlich in gutem Glauben gehandelt hat und keinerlei Hinweise auf ein betrügerisches System hatte, kann das seine Haftung reduzieren. Allerdings reicht es nicht aus, sich auf die Angaben der DEGAG zu verlassen – Vermittler haben eine Pflicht zur Plausibilitätsprüfung. Das bedeutet, sie müssen Informationen hinterfragen und sich selbst von der Seriosität des Produkts überzeugen. Dass offenbar in 90 % der Fälle diese Sorgfaltspflicht nicht erfüllt wurde, spricht gegen die Vertriebe.
Thomas Bremer: Könnte man also sagen, dass der Vertrieb eine Mitschuld trägt?
RA Iwanow: Eine gewisse Mitverantwortung ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn hohe Provisionen gezahlt wurden, sollte das bei professionellen Vermittlern zumindest eine gewisse Skepsis auslösen. Hinzu kommt, dass einige Vermittler scheinbar weiterhin Kunden zur Wiederanlage bewegt haben, obwohl es zu diesem Zeitpunkt schon Zweifel an der Solvenz der DEGAG gab. Sollte sich bestätigen, dass Vermittler Kunden zu Einlagen überredet haben, obwohl sie um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wussten, könnte das sogar strafrechtliche Konsequenzen haben.
Thomas Bremer: Die Vorstände der DEGAG AG sollen Gelder veruntreut und ein Schneeballsystem betrieben haben. Inwiefern spielt das für die Haftung der Vermittler eine Rolle?
RA Iwanow: Ein Schneeballsystem ist per Definition ein Betrug, da neue Anlegergelder nur dazu dienen, bestehende Anleger auszuzahlen. Falls Vermittler bewusst an einem solchen System mitgewirkt haben, drohen neben zivilrechtlichen Schadensersatzforderungen auch strafrechtliche Ermittlungen. Aber selbst wenn sie nicht aktiv beteiligt waren, bleibt die Frage, ob sie ihre Prüfpflichten verletzt haben. Der Vertrieb kann sich nicht einfach darauf berufen, nichts gewusst zu haben – das wird vor Gericht nicht ausreichen.
Thomas Bremer: Gibt es für geschädigte Kunden eine Möglichkeit, ihr Geld zurückzubekommen?
RA Iwanow: Ja, es gibt verschiedene Ansätze. Zum einen kann gegen die DEGAG und ihre Verantwortlichen vorgegangen werden, insbesondere wenn Gelder veruntreut oder verlagert wurden. Wenn der Vertrieb gegen seine Pflichten verstoßen hat, haften auch einzelne Vermittler für den entstandenen Schaden. Ich rate betroffenen Anlegern, sich an einen spezialisierten Anwalt zu wenden und ihre Ansprüche prüfen zu lassen.
Thomas Bremer: Was sollte jetzt kurzfristig passieren?
RA Iwanow: Es ist entscheidend, dass die Staatsanwaltschaft schnell ermittelt und mögliche Vermögensverschiebungen stoppt. Gleichzeitig sollten Anleger sich zusammenschließen, um gemeinsam gegen die Verantwortlichen vorzugehen. Und für die Vermittler ist es jetzt wichtig, Transparenz zu zeigen, denn wer sich aktiv an der Aufklärung beteiligt, könnte möglicherweise seine eigene Haftung reduzieren.
Thomas Bremer: Vielen Dank für das Gespräch.
Bewertung der rechtlichen Lage:
Die Vermittler stehen in einer schwierigen Position. Zwar sind sie möglicherweise selbst Opfer der DEGAG-Täuschungen geworden, doch ihre gesetzliche Pflicht zur Prüfung und Aufklärung bleibt bestehen. Wer Kunden falsch beraten oder Warnsignale ignoriert hat, kann haftbar gemacht werden. Besonders kritisch sind Fälle, in denen nachweislich weiterhin Investitionen vermittelt wurden, obwohl finanzielle Probleme der DEGAG bereits bekannt waren.
Fazit: Der Vertrieb kann sich nicht vollständig aus der Verantwortung ziehen. Kunden haben durchaus Chancen, Schadenersatzansprüche geltend zu machen – sowohl gegen die DEGAG als auch gegen einzelne Vermittler.
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