Startseite Interviews Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zum BGH-Beschluss vom 1. April 2025 (1 StR 475/23)
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Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zum BGH-Beschluss vom 1. April 2025 (1 StR 475/23)

popmelon (CC0), Pixabay
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Themen: Verfahrenseinstellung bei Steuerhinterziehung, Gesamtstrafenrechtsprechung und Verzögerungsrüge beim BGH


Redaktion: Herr Blazek, der Bundesgerichtshof hat in dem Verfahren gegen einen wegen Bestechlichkeit verurteilten Angeklagten einige Punkte eingestellt, aber die Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren bestätigt. Was ist Ihre erste Einschätzung dazu?

Daniel Blazek: Es ist eine klassische Mischung aus Teilerfolg und grundsätzlicher Bestätigung des Urteils. Die Einstellung von fünf Anklagepunkten zur Einkommensteuerhinterziehung ist zwar formal ein Erfolg für die Verteidigung, ändert aber nichts am Kern des Urteils. Die Gesamtstrafe bleibt unangetastet, weil die gestrichenen Fälle schlicht keine relevante Auswirkung auf das Strafmaß hatten.

Redaktion: Warum genau wurden die fünf Fälle eingestellt?

Blazek: Weil das Landgericht es versäumt hat, die Steuerverkürzungen nachvollziehbar darzustellen. Der BGH verlangt bei Steuerdelikten eine konkrete Berechnung – man muss erkennen können, wie die Beträge zustande kommen. Wenn das fehlt, ist eine Verurteilung in diesen Punkten nicht haltbar. Es war also eher ein handwerklicher Fehler als ein inhaltlicher Freispruch.

Redaktion: Trotzdem bleibt die Gesamtfreiheitsstrafe bei sechs Jahren. Ist das rechtlich unproblematisch?

Blazek: Absolut. Das Gericht hat über 140 Einzelstrafen verhängt, darunter viele Freiheitsstrafen von über zwei Jahren. Da fallen fünf eingestellte Punkte kaum ins Gewicht. Die Gesamtstrafe orientiert sich vor allem an den schwerwiegenderen Delikten – in diesem Fall vor allem der Bestechlichkeit in über 80 Fällen. Das ist auch aus Sicht des BGH völlig plausibel.

Redaktion: Der BGH hat auch eine rechtsstaatswidrige Verzögerung von sechs Monaten im Revisionsverfahren festgestellt. Wie bewerten Sie das?

Blazek: Das ist ein interessanter Punkt. Dass der BGH sich selbst eine Verzögerung attestiert, passiert nicht jeden Tag. Es ist ein Zeichen dafür, dass auch das höchste Strafgericht sensibel mit der Europäischen Menschenrechtskonvention umgeht. Praktisch hat diese Feststellung hier aber keine Auswirkung auf das Strafmaß – es blieb bei der gleichen Dauer. Dennoch kann das später in einem Haftentschädigungsverfahren relevant werden.

Redaktion: Hat das Urteil Signalwirkung für andere Verfahren?

Blazek: Auf jeden Fall. Es zeigt, wie wichtig die präzise Darstellung bei steuerstrafrechtlichen Vorwürfen ist – und dass Verteidigung da genau hinschauen muss. Außerdem ist es ein Lehrstück zur Gesamtstrafenbildung: Dass nicht jede Einzelkorrektur gleich das ganze Urteil ins Wanken bringt. Und schließlich macht der Fall deutlich, dass man als Verteidiger auch mögliche Verfahrensverzögerungen immer im Blick haben sollte.

Redaktion: Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Blazek.

Blazek: Sehr gern.

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