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Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev: „Auch im Schneeballsystem greift das Steuerrecht“

TungArt7 (CC0), Pixabay
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Frau Bontschev, der Bundesfinanzhof (BFH) hat erneut entschieden, dass Anleger in Schneeballsystemen auch dann Kapitalertragsteuer zahlen müssen, wenn Zinsen nur gutgeschrieben oder wiederangelegt werden. Was bedeutet das konkret für betroffene Anleger?

Kerstin Bontschev:
Das bedeutet, dass auch im Kontext eines betrügerischen Schneeballsystems das Steuerrecht gnadenlos greift. Solange das System formal funktioniert – also der Betreiber noch Zahlungen leisten kann – gelten Gutschriften auf dem Anlegerkonto oder Wiederanlagen von Zinsen als steuerpflichtige Kapitalerträge. Selbst wenn das angelegte Kapital real gar nicht mehr vorhanden ist, behandelt das Finanzamt die gutgeschriebenen Zinsen wie echte Einnahmen.

Selbst wenn die Zinsen nie tatsächlich auf dem Konto des Anlegers landen?

Bontschev:
Genau. Der BFH stellt darauf ab, ob der Anleger rechtlich über die Erträge verfügen konnte – nicht, ob er sie tatsächlich ausbezahlt bekommen hat. Wenn ein Zinsanspruch besteht und der Anleger beispielsweise auf Aufforderung des Betreibers die Wiederanlage bestätigt, ist das steuerlich wie eine Auszahlung zu werten. Der wirtschaftliche Hintergrund – also dass es sich bei dem ganzen Modell um ein Schneeballsystem handelt – ändert daran nichts, solange der Betreiber noch zahlen konnte.

Was, wenn der Betreiber des Systems nicht mehr leistungsfähig ist – also Pleite geht?

Bontschev:
Dann ändert sich die steuerliche Betrachtung. Sobald klar ist, dass der Betreiber nicht mehr zahlen kann und die Gutschriften nur noch auf dem Papier existieren, entfällt die Steuerpflicht auf neue Schein-Erträge. Aber rückwirkend können Anleger nichts retten. Für die Jahre, in denen sie rechnerisch Zinsen „verdient“ haben – auch durch Wiederanlage –, bleibt die Steuerpflicht bestehen. Der BFH unterscheidet hier klar zwischen wirtschaftlicher Realität und steuerlicher Fiktion.

Ist das aus Ihrer Sicht gerecht? Immerhin ist das gesamte Geschäftsmodell betrügerisch.

Bontschev:
Juristisch ja, aus Sicht der Anleger natürlich bitter. Das Steuerrecht orientiert sich nicht daran, ob eine Anlage ethisch oder wirtschaftlich sinnvoll ist. Es stellt allein auf den Zufluss oder die Verfügbarkeit von Erträgen ab. Der Gesetzgeber will verhindern, dass Anleger mit scheinbaren Gewinnen operieren – egal, ob sie realisiert oder nur gutgeschrieben wurden – und diese dann steuerfrei bleiben. Allerdings fehlt es bislang an einer klaren gesetzlichen Regelung für solche Sonderfälle. Das führt zu einer gewissen Härte für Geschädigte.

Was raten Sie Mandanten, die in ein solches System investiert und vielleicht Steuern auf rein fiktive Erträge gezahlt haben?

Bontschev:
Zunächst: Sorgfältige Prüfung der Steuerbescheide! Wenn ein Schneeballsystem auffliegt, besteht manchmal die Möglichkeit, zu viel gezahlte Steuer im Wege der Rückabwicklung oder Berichtigung zurückzufordern – vor allem, wenn sich herausstellt, dass die behaupteten Erträge gar nicht entstanden sind oder rückwirkend bestritten werden müssen. Zudem können Anleger eventuell Verluste geltend machen, insbesondere bei endgültigem Forderungsausfall. Wichtig ist, frühzeitig mit einem steuerrechtlich versierten Anwalt oder Steuerberater zu arbeiten.

Was sollten Anleger steuerlich beachten, wenn sie sich an hochverzinsten „Alternativen“ beteiligen – seien es Schneeballsysteme oder andere Graumarktprodukte?

Bontschev:
Transparenz und Vorsicht sind das A und O. Wer ein Investment nicht versteht oder keine klaren Unterlagen zu Rendite, Kapitalverwendung und Haftung bekommt, sollte die Finger davon lassen – und das nicht nur wegen des Anlagerisikos, sondern auch wegen der steuerlichen Konsequenzen. Denn selbst bei unseriösen Anbietern verlangt das Finanzamt seinen Anteil – ob der Gewinn real ist oder nicht. Der Staat kassiert mit, bevor das System zusammenbricht.

Also gilt: Steuerpflicht auch bei Betrug – solange der Schein noch gewahrt wird?

Bontschev:
Ganz genau. Das ist die bittere Lehre aus diesem Urteil: Steuerrecht und Strafrecht laufen nicht immer synchron. Wer sich auf ein vermeintlich lukratives, aber undurchsichtiges System einlässt, trägt nicht nur das Risiko des Kapitalverlustes, sondern auch das Risiko, auf fiktive Gewinne noch Steuern zahlen zu müssen. Das Urteil des BFH erinnert uns daran: Nicht alles, was unseriös ist, bleibt steuerfrei.

Frau Bontschev, vielen Dank für das Gespräch.


Rechtsanwältin Kerstin Bontschev ist Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht und vertritt seit vielen Jahren geschädigte Anleger im Zivil- und Steuerrecht.

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