Immer mehr britische Eltern stehen vor einer unmöglichen Wahl: das Gesetz brechen oder das Leben ihres Kindes retten. Eine Untersuchung des BBC-Formats File on Four zeigt, dass viele Familien mit schwer erkrankten Kindern illegal medizinisches Cannabis beschaffen, weil sie keinen Zugang zu legalen und bezahlbaren Behandlungen haben.
Eine dieser Eltern ist Jane, die ihrer zehnjährigen Tochter Annie, die unter einer seltenen, therapieresistenten Epilepsie leidet, Cannabisöl verabreicht. Da eine private Verschreibung rund 2.000 Pfund (ca. 2.300 Euro) pro Monat kostet, bleibt ihr keine andere Wahl, als das Medikament illegal online zu kaufen – für 55 Pfund pro Flasche.
„Ich will das Gesetz nicht brechen“, sagt Jane. „Aber wenn ich meiner Tochter dadurch eine bessere Lebensqualität ermöglichen kann – bin ich dann falsch oder ist das Gesetz falsch?“
Strenge Gesetzgebung treibt Eltern in die Illegalität
Seit der Legalisierung von medizinischem Cannabis im Jahr 2018 dürfen britische Ärzte Cannabinoid-basierte Medikamente verschreiben. Doch nur ein einziges Produkt mit CBD – einem nicht-psychoaktiven Inhaltsstoff der Pflanze – ist für die NHS-Behandlung von Epilepsie zugelassen. Vollspektrum-Cannabisöl, das auch den Wirkstoff THC enthält, wird hingegen kaum verschrieben – nur fünf NHS-Patienten erhielten es in den letzten sechs Jahren.
Viele betroffene Eltern, die überzeugt sind, dass THC eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung von Anfällen spielt, sind gezwungen, alternative Wege zu finden. Dazu gehören:
- Illegale Online-Bestellungen von nicht zugelassenen Cannabisölen
- Schmuggel aus den Niederlanden, wo die Medikamente legal erhältlich sind
Elaine Gennard, eine Mutter aus Hertfordshire, reiste im vergangenen Jahr sechsmal nach Amsterdam, um Cannabisöl für ihre Tochter zu besorgen. Selbst mit Reisekosten sei dies immer noch günstiger als eine britische Privatverschreibung.
„Meine Tochter hatte früher 200 epileptische Anfälle pro Monat. Jetzt sind es acht“, erklärt sie. „Ich gehe dieses Risiko ein, weil es ihr Leben gerettet hat.
Eltern im Visier des Gesetzes – aber keine Strafverfolgung
Juristisch gesehen betreiben diese Familien internationalen Drogenhandel, sagt Robert Jappie, ein Experte für Cannabisrecht. Der Schmuggel eines Klasse-B-Betäubungsmittels könne mit hohen Haftstrafen geahndet werden.
Doch bislang wurde kein einziger Elternteil strafrechtlich verfolgt. Jappie glaubt, dass die Behörden sich scheuen, Familien für die Rettung ihrer Kinder zu bestrafen:
„In der Praxis ist eine Strafverfolgung äußerst unwahrscheinlich. Aber kein Elternteil sollte dieses Risiko eingehen müssen. Sie sollten sicheren Zugang zu diesen Medikamenten haben.“
Einige Eltern wenden sich stattdessen an illegale Händler, die Cannabisöl für kranke Kinder herstellen. Einer von ihnen, genannt „Steve“, sagt, er gebe die Medikamente kostenlos oder gegen eine Spende ab.
„Jede Flasche wird im Labor getestet. Wir wissen genau, welche Moleküle enthalten sind“, betont er. „Wenn ihr mich ins Gefängnis stecken wollt, weil ich Kindern helfe, keine Anfälle mehr zu haben – dann viel Glück damit.“
Mangelnde politische Initiative – Regierung verweist auf Forschungslücken
Eine Untersuchung des britischen Parlaments kritisierte bereits 2019 den mangelnden Zugang zu medizinischem Cannabis. Dennoch wurden keine wesentlichen Maßnahmen ergriffen, um dies zu ändern.
Layla Moran, Vorsitzende des Gesundheits- und Sozialausschusses, macht die Regierung direkt verantwortlich:
„Wir haben vorhergesagt, dass sich nichts ändern wird, wenn keine Investitionen in Forschung erfolgen. Genau das ist jetzt eingetreten.“
Neue klinische Studien zu den Inhaltsstoffen CBD und THC sind zwar in Planung, werden aber erst in 18 Monaten beginnen. Bis dahin bleibt das Problem bestehen:
- Die NHS verweigert die Finanzierung unlizenzierter Cannabisprodukte
- Privatpatienten müssen Tausende Pfund monatlich zahlen
- Betroffene Familien sind gezwungen, das Gesetz zu brechen
Das britische Gesundheitsministerium verteidigt die strengen Regeln: „Unlizenzierte Medikamente müssen erst ihre Sicherheit und Wirksamkeit unter Beweis stellen.“
Doch für Familien wie Jane ist die Entscheidung längst gefallen: „Meine Tochter lebt – das ist alles, was zählt.“
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