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„Die Aktivrente ist gut gemeint – aber sie löst das Fachkräfteproblem nicht“

TheDigitalArtist (CC0), Pixabay
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Ein Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek über Chancen, Grenzen und Kritik an der neuen Aktivrente.

Frage: Herr Blazek, das Bundeskabinett hat die sogenannte „Aktivrente“ beschlossen. Was genau verbirgt sich dahinter?

Daniel Blazek:
Die Aktivrente ist im Grunde ein steuerlicher Freibetrag für arbeitende Rentnerinnen und Rentner. Wer also bereits eine gesetzliche Rente bezieht und zusätzlich in einem sozialversicherungspflichtigen Job arbeitet, kann künftig bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen – das entspricht 24.000 Euro im Jahr.
Zur Veranschaulichung: Verdient jemand 3.000 Euro brutto, muss davon nur 1.000 Euro versteuert werden, der Rest bleibt steuerfrei.

Frage: Das klingt nach einem ordentlichen Steuergeschenk für ältere Arbeitnehmer. Ist es das auch?

Blazek:
Ja, in gewisser Weise schon – aber kein uneingeschränktes. Es bleibt nämlich dabei, dass weiterhin Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt werden müssen. Der große Vorteil ist jedoch, dass die Aktivrente nicht unter den Progressionsvorbehalt fällt. Das bedeutet: Der steuerfreie Zusatzverdienst erhöht nicht den persönlichen Steuersatz. Ohne diese Regelung hätte das Gesamteinkommen den Steuersatz angehoben – und die Steuerersparnis wäre zum Teil verpufft.

Frage: Was will die Bundesregierung mit dieser Reform erreichen?

Blazek:
Ziel ist zweierlei.
Zum einen sollen Rentnerinnen und Rentner, die ohnehin nebenher arbeiten, finanziell entlastet werden. Zum anderen will man mit der Aktivrente einen arbeitsmarktpolitischen Anreiz schaffen: In Branchen mit akutem Fachkräftemangel – also in Pflege, Handwerk, Bildung, Gastronomie und anderen Dienstleistungen – sollen ältere Beschäftigte länger im Erwerbsleben bleiben.

Die Hoffnung: Ältere Menschen bringen Erfahrung, Stabilität und oft auch Loyalität mit – das sind Eigenschaften, die in vielen Betrieben Gold wert sind.

Frage: Kritiker sagen aber, gerade in diesen Berufen könnten viele Menschen körperlich gar nicht so lange arbeiten. Wie sehen Sie das?

Blazek:
Das ist ein berechtigter Einwand.
In genau den Branchen, in denen die Aktivrente am dringendsten gebraucht würde, sind die Belastungen am höchsten. Ein Krankenpfleger, eine Altenpflegerin oder ein Dachdecker kann mit 68 Jahren kaum noch im Vollzeitmodus arbeiten – selbst wenn er oder sie wollte.
Die Aktivrente schafft also keine neuen Arbeitskräfte, sie verlängert allenfalls die Erwerbszeit einiger weniger. Für die große Fachkräftelücke, die in den nächsten Jahren durch die Babyboomer entsteht, ist das keine nachhaltige Lösung.

Frage: Wer profitiert am meisten – und wer geht leer aus?

Blazek:
Am meisten profitieren angestellte Rentnerinnen und Rentner, die noch einmal in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt sind.
Benachteiligt sind dagegen alle, die selbstständig arbeiten – also etwa solo-selbstständige Handwerker, Landwirte oder Freiberufler. Sie können die Aktivrente nicht nutzen, weil der Freibetrag nur für Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit gilt.
Das ist sozialpolitisch schwer nachvollziehbar. Gerade Selbstständige sind oft diejenigen, die aus finanziellen Gründen ohnehin bis ins hohe Alter weiterarbeiten. Hier hätte man deutlich gerechter regeln können.

Frage: Gibt es Zahlen, wie viele Menschen tatsächlich profitieren könnten?

Blazek:
Die Schätzungen gehen auseinander. Das arbeitnehmernahe Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht von rund 230.000 Begünstigten aus. Das Bundesfinanzministerium ist vorsichtiger und spricht von etwa 168.000 Personen – also nur etwa einem Viertel aller Anspruchsberechtigten.
Das zeigt deutlich: Die Aktivrente ist kein Massenprogramm, sondern betrifft eine eher kleine Gruppe von Rentnerinnen und Rentnern, die körperlich und gesundheitlich überhaupt noch arbeiten können.

Frage: Und was kostet das Ganze den Staat?

Blazek:
Das Finanzministerium rechnet mit rund 890 Millionen Euro weniger Steuereinnahmen pro Jahr.
Davon tragen Bund und Länder jeweils 42,5 Prozent, die Kommunen die restlichen 15 Prozent.
Die Bundesregierung hofft allerdings auf einen positiven Rückkopplungseffekt: Mehr arbeitende Rentnerinnen und Rentner sollen das Wirtschaftswachstum ankurbeln – und langfristig wieder mehr Steuereinnahmen generieren. Ob diese Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten.

Frage: Kritiker sehen in der Aktivrente einen Vorboten für eine spätere Anhebung des Renteneintrittsalters. Ist da was dran?

Blazek:
Ja, diese Vermutung ist durchaus nachvollziehbar.
Wenn die Aktivrente zeigt, dass viele Menschen bereit sind, auch über 67 hinaus zu arbeiten, wird das die Diskussion um eine Rente mit 69 oder 70 befeuern.
Ich halte das politisch für gewollt. Die Aktivrente ist gewissermaßen ein Testlauf, um zu sehen, wie weit man die Grenzen der Erwerbsphase ausdehnen kann.

Frage: Wird die Aktivrente also überschätzt?

Blazek:
In Teilen ja. Für manche ältere Arbeitnehmer ist sie eine echte Hilfe, besonders für jene, die kleine Renten beziehen und auf Nebeneinkünfte angewiesen sind.
Aber volkswirtschaftlich gesehen wird sie nicht den großen Unterschied machen.
Wirklich entscheidend wäre es, die Arbeitsbedingungen, Löhne und Gesundheitsprävention in belastenden Berufen zu verbessern. Nur dann werden Menschen auch freiwillig länger arbeiten.

Frage: Ihr Fazit in einem Satz?

Blazek:
Die Aktivrente ist gut gemeint, steuerlich durchdacht – aber sozial unausgewogen und arbeitsmarktpolitisch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

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