Umsetzbar?

Die Grünen streben eine neue Kommunikationskultur im Netz an. Im Handelsblatt stellen sie ihr Paket zur neuen Social-Media-Harmonie vor: kein Hass und keine Grenzverletzungen mehr, eine Netiquette 2.0. Erreicht werden soll dies, indem die Plattformen geschultes Personal einstellen, an das sich die Nutzer wenden können, wenn es zu Grenzverletzungen kommt.

Gegen Harmonie in den Netzwerken ist nichts einzuwenden. Allerdings sollte diese Harmonie nicht auf Kosten der Meinungsfreiheit gehen. Die Grünen sprechen in ihrem Vorschlag nicht etwa von Straftaten. Vielmehr benutzt die ehemalige Protestpartei Begriffe wie „massiv Grenzen verletzendes Verhalten“, um zwei Abätze später dann von Beiträgen, „die als Grenzen verletzend gemeldet werden“ zu sprechen. Welche Grenzen gemeint sind – das bleibt Parteigeheimnis.

Möglich, dass es sich dabei um solche Grenzen handeln soll, die Facebook & Co als solche setzen oder auf Betreiben der Politik setzen sollen. Nutzungsbedingungen gibt es jedoch schon heute, nahezu überall finden sich Hinweise, dass diskriminierende, rassistische oder beleidigende Äußerungen untersagt sind. Die Grünen wollen also offenbar mehr: Sie möchten, dass Äußerungen gelöscht werden, die zwar keine Straftat darstellen, aber „verletzend“ sind. Hier zeigt sich die verhängnisvolle Neigung des politischen Establishments, Äußerungen zu pönalisieren, die sich im Bereich der durch Art. 5 GG geschützten freien Rede bewegen, aber nicht konform zu der in den Leitmedien veröffentlichten Meinung sind. Durch die Aufforderung, „verletzendes Verhalten“ zu melden, wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. Was eine Beleidigung ist, wissen die meisten. Ebenso weiß jeder, dass der Aufruf zur Tötung von Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Religion eine Straftat ist. „Verletzendes Verhalten“ kann aber alles und nichts sein und so mancher Beitrag wird gelöscht und mancher Autor gesperrt werden, ohne dass man sich einer strafrechtlichen Grenze auch nur genähert hätte.

Wer liest das eigentlich?

Überhaupt nicht beachtet wird, wo der „Grenzverletzer“ seine Beiträge gepostet haben soll. Macht es wirklich keinen Unterschied, ob jemand, der auf Facebook 60 Freunde hat, einen problematischen Beitrag unter seinen „Freunden“ gepostet hat – oder ob jemand anlässlich einer Diskussion einen Post zu einem Zeitungsbeitrag gesetzt hat, der von vielen tausend Nutzern gesehen wird? Um uns das klarzumachen, stellen wir uns einmal vor, wir wären auf einer Veranstaltung in einer Stadthalle. Klar ist: Wenn sich der Referent am Rednerpult plötzlich beleidigend oder diskriminierend äußert, muss der Veranstalter einschreiten. Was ist aber von einem Veranstalter zu halten, der den Besuchern bei Betreten des Raums ein Blatt mit Nutzungsbedingungen aushändigt, in denen steht, wenn bei einem Gespräch untereinander – sei es beim leisen Plausch in der letzten Reihe oder später am kalten Buffet – jemand etwas „Verletzendes“ äußere, dann solle man dies einem der Saalordner melden, der diese Person dann hinauskomplementieren wird.

Es steht zu befürchten, dass durch die intransparente Regelung der „Verletzung von Grenzen“ ein digitaler Mob auf den Plan gerufen wird, der kritische Meinungen so lange und nachhaltig melden wird, bis die Verfasser nicht genehmer Meinungen auf Dauer gesperrt werden. Meldungen „besorgter Nutzer“ an den Arbeitgeber des Autoren wegen nicht konformen Verhaltens sowie die Erstattung unberechtigter Strafanzeigen gäben ein Übriges. Das ließe ein Klima der Überwachung entstehen, in der Kritik gar nicht mehr geäußert würde.

Die Freiheit der Rede ist nicht verhandelbar. Jede andere Auslegung führt in die Gesinnungsdikatur. So mancher Grüne sollte sich an das Zitat Trotzkis erinnern: „Revolutionen pflegten sich stets durch Unhöflichkeit auszuzeichnen; wohl deshalb, weil die herrschenden Klassen sich nicht rechtzeitig die Mühe gaben, das Volk an gute Manieren zu gewöhnen.“

Quelle Rechtsanwalt Oberwetter Berlin

 

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