Die Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichtshöfe und Oberverwaltungsgerichte der Länder sowie der Präsident des Bundesverwaltungsgerichts äußern sich in einer gemeinsamen Erklärung kritisch zur im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vorgesehenen Verlagerung wichtiger Rechtsgebiete – wie Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss und Kinder- und Jugendhilfe – von der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Sozialgerichtsbarkeit.
Die geplante Neuverteilung der Zuständigkeiten sei aus ihrer Sicht weder fachlich noch strukturell begründet. Vielmehr handle es sich bei den betroffenen Rechtsgebieten um zentrale Aufgabenbereiche der Verwaltungsgerichte, die seit Jahrzehnten nicht nur rechtlich kompetent, sondern auch effizient bearbeitet würden.
„Diese Materien gehören traditionell zur Verwaltungsgerichtsbarkeit. Hier bestehen eingespielte Strukturen, fundiertes Fachwissen und eine bewährte Verfahrenspraxis“, heißt es in der Erklärung.
Effektiver Rechtsschutz durch Verwaltungsgerichte gewährleistet
Die Verwaltungsgerichte bieten laut den Gerichtspräsident*innen einen effektiven und zeitnahen Rechtsschutz – insbesondere bei sensiblen Themen wie der Inobhutnahme von Kindern oder der Prüfung von Altersangaben unbegleiteter Minderjähriger. Gerade diese Maßnahmen seien mit ordnungspolitischen Eingriffen vergleichbar und erforderten spezifische rechtliche Expertise, über die Sozialgerichte typischerweise nicht verfügten.
Verfahrensdauer: Sozialgerichte im Nachteil
Ein weiteres Argument gegen die Verlagerung ist die längere durchschnittliche Verfahrensdauer bei Sozialgerichten. Während nicht-asylrechtliche Verfahren vor Verwaltungsgerichten durchschnittlich 14,8 Monate dauern, sind es bei den Sozialgerichten 17,9 Monate – ein klarer Nachteil für die Rechtssuchenden. Das Ziel der Regierungskoalition, gerichtliche Verfahrenszeiten zu verkürzen, würde damit laut der Erklärung eher gefährdet als gefördert.
Hoher Umstellungsaufwand und drohender Kompetenzverlust
Zudem sehen die Gerichtspräsident*innen einen erheblichen personellen und finanziellen Mehraufwand: Die notwendige Expertise müsste bei Sozialgerichten komplett neu aufgebaut werden, während gleichzeitig bewährte Strukturen in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zerschlagen würden – ohne erkennbaren Mehrwert.
Kritik am Verweis auf das Jahr 2005
Der in der Debatte vom Deutschen Sozialgerichtstag herangezogene Vergleich mit der Verlagerung der Sozialhilfe im Jahr 2005 wird von den Verwaltungsgerichten als „systemwidrig“ zurückgewiesen. Schon damals habe diese Entscheidung für Unsicherheit gesorgt, so die Verfasser der Stellungnahme.
Fazit
Die Verwaltungsgerichte plädieren nachdrücklich dafür, die Zuständigkeit für Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss und Kinder- und Jugendhilfe bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu belassen. Eine Verlagerung zur Sozialgerichtsbarkeit sei weder sachlich geboten noch im Sinne eines effektiven, bürgernahen Rechtsschutzes. Die Politik sei aufgerufen, bewährte Strukturen zu bewahren – und Fehlentscheidungen der Vergangenheit nicht zu wiederholen.
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