Hanseatisches Oberlandesgericht Gerichtlicher Teil Musterentscheid 14 Kap 3/18 14 Kap 3/18 BS INVEST Gesellschaft für Beteiligungsvermittlung mbH & Co. KG

Simpson, JFAng
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle Beschluss
Musterentscheid

 

In der Sache

Roland Framhein, Heimburgstraße 3, 22609 Hamburg

– Musterkläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Mittelstein, Alsterarkaden 20, 20354 Hamburg, Gz.: Ro/​B 77704/​15

gegen

1)

Bernhard Schulte GmbH & Co. KG, vertreten durch d. Bernhard Schulte Verwaltungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer Ian Bevering, Tobias Pinker, Dr. Heinrich Udo Schuklte und Peter Christian Breuel, Vorsetzen 54, 20459 Hamburg

– Musterbeklagte –
2)

BS INVEST Gesellschaft für Beteiligungsvermittlung mbH & Co. KG, vertreten durch die BS INVEST Verwaltungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Andreas Spott, Vorsetzen 54, 20459 Hamburg

– Musterbeklagte –
3)

Bernhard Schulte Shipmanagement (Deutschland) GmbH & Co. KG, vertreten durch die Bernhard Schulte Shipmanagement Verwaltungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer Jan Warmke und André Delau, Vorsetzen 54, 20459 Hamburg

– Musterbeklagte –
4)

BS Treuhand- und Verwaltungsgesellschaft mbH, vertreten durch d. Geschäftsführer Christoph Schmelter-Volkmann und Andreas Spott, Vorsetzen 54, 20459 Hamburg

– Musterbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 – 4:
Rechtsanwälte Dr. Schackow & Partner Rechtsanwälte PartG mbB, Jungfernstieg 30, 20354 Hamburg, Gz.: 180/​180/​10421/​16 CK

Nebenintervenient zu 2:
Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik, vertreten durch Prof. Dr. Frank Arendt und Birgit Borowy, Universitätsallee 11 – 13, 28359 Bremen

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Ahlers & Vogel, Contrescarpe 21, 28203 Bremen

Nebenintervenientin zu 1 – 4:
Baker Tilly GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, vertreten durch ihre Geschäftsführer Christian Hensell, Martina Hertwig, Roger Hönig, Thomas Mattheis, Jörn Mühlenkamp und Torsten Püst, Valentinskamp 88, 20355 Hamburg

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Luther, Rothenbaumchaussee 20, 20148 Hamburg, Gz.: Lu/​GS/​sl 17/​095103

Nebenintervenientin zu 1 – 4:
TPW GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, vertreten durch d. Geschäftsführer, Valentinskamp 88, 20355 Hamburg

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Luther, Rothenbaumchaussee 20, 20148 Hamburg, Gz.: Lu/​sch 17/​095000

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht – 14. Zivilsenat – durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Lohmann, den Richter am Landgericht Dr. Szodruch-Arnold und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Leverenz am 23.12.2021:

1. Der Feststellungsantrag zu Ziffer 4.) des Vorlagebeschlusses des Landgerichts vom 09.05.2018 (Az. 322 OH 2/​17) wird zurückgewiesen.

2. Die Feststellungsanträge zu den Ziffern 1.) bis 3.) des Vorlagebeschlusses des Landgerichts vom 09.05.2018 (Az. 322 OH 2/​17) in der Fassung des Beschlusses vom 26.03.2021 und zu Ziffer 5.) des Vorlagebeschlusses des Landgerichts vom 09.05.2018 (Az. 322 OH 2/​17) sind gegenstandslos.

3. Die Anträge vom 06.05.2021 des Musterklägers und der von den Prozessbevollmächtigten des Musterklägers vertretenen Beigeladenen zur Änderung/​Konkretisierung und hilfsweise zur Erweiterung des Feststellungsziels zu 2) des Vorlagebeschlusses des Landgerichts vom 09.05.2018 (Az. 322 OH 2/​17) werden zurückgewiesen.

4. Den Prozessbevollmächtigten des Musterklägers wird die besondere Gebühr nach § 41a RVG mit einem Gebührensatz von 0,2 nach dem Wert der Summe der ausgesetzten Verfahren bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag der Prozessbevollmächtigten des Musterklägers vom 24.03.2021 zurückgewiesen.

5. Der Wert sämtlicher ausgesetzter Verfahren beträgt € 4.379.490,43.

Gründe:

A.

Der Musterkläger und die Beigeladenen nehmen in den ausgesetzten Ausgangsverfahren als Anleger des Fonds „Chemikalientanker Flottenfonds“ die Musterbeklagten auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch.

Nach Einholung einer „Marktstudie für Chemikalien-/​Ölprodukten-Chemikalientanker im Segment von 5.000 bis 30.000 dwt“ der Nebenintervenientin zu 2) (Anlage B 1 = NI 6 – Auszüge) wurde am 28.09.2006 ein Emissionsprospekt aufgestellt (Anlage K 1). Zweck des „Chemikalientanker Flottenfonds“ war der Betrieb von vier Einschiffsgesellschaften (MS „PETER SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, MS „FRANZ SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, MS „PAUL SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG und MS „RUTH SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG). Bei der Fondsflotte handelte es sich um Chemikalientankerneubauten (Baujahre 2006 und 2007) mit einer Tragfähigkeit von 12.800 tons deadweight (tdw), die über eine doppelte Außenhülle verfügen, den Anforderungen des Schiffstyps II der IMO entsprechen und sowohl in der Chemikalien- als auch in der Ölproduktenfahrt für sog. clean products wie Benzin, Kerosin, Diesel und Heizöl eingesetzt werden konnten (Seiten 6 und 9 des Prospekts).

Der Musterkläger und die Beigeladenen haben sich als Kapitalgeber (als Treugeber oder direkt als Kommanditist) an den vier Einschiffsgesellschaften beteiligt (Seite 6 des Prospekts).

Die Musterbeklagten – mit der Musterbeklagten zu 1) als Muttergesellschaft der Musterbeklagten zu 2) bis 4) – waren Gründungskommanditisten der Beteiligungsgesellschaft (Seite 88 des Prospekts). Zudem fungierten sie u.a. wie folgt:

die Musterbeklagte zu 1) als „vorbereitender Bereederer“ und „Platzierungsgarant“,

die Musterbeklagte zu 2) als „Anbieterin“ und Prospektverantwortliche,

die Vorsetzen Bereederungs- und Schiffahrtskontor GmbH & Co. KG, deren Rechtsnachfolgerin die Musterbeklagte zu 3) ist, als „Vertragsreeder“ und

die Musterbeklagte zu 4) als „Treuhänderin“ für das Treuhandkommanditkapital (Seiten 10, 44, 80 des Prospekts).

Die Beitritte erfolgten teilweise noch im Jahre 2006 und im Übrigen im Verlauf des Jahres 2007. Im Zuge eines Liquiditätssicherungskonzeptes wurden von einigen der Anleger weitere Kommanditbeteiligungen erworben.

Der Musterkläger und die Beigeladenen vertreten die Ansicht, die Musterbeklagten zu 1), 2) und 4) bzw. die Rechtsvorgängerin der Musterbeklagten zu 3), die Vorsetzen Bereederungs- und Schiffahrtskontor GmbH & Co. KG, hätten unzureichend über die entscheidungserheblichen Umstände und Risiken der Beteiligung informiert, und unterlägen deshalb einer Prospekthaftung im weiteren Sinne. Der Emissionsprospekt weise in erheblichen Punkten unzutreffende, irreführende und/​oder unvollständige Angaben auf.

Im Vorlagebeschluss des Landgerichts Hamburg vom 09.05.2018 (Az. 322 OH 2/​17) sind folgende Feststellungsziele vorgegeben:

„1. Es wird festgestellt, dass der von der BS INVEST Gesellschaft für Beteiligungsvermittlung mbH & Co. KG angebotene und am 28.09.2006 aufgestellte Emissionsprospekt BS INVEST „Chemikalientanker Flottenfonds“ über Kommanditbeteiligungen an der MS „PETER SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, der MS „FRANZ SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, der MS „PAUL SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG und der MS „RUTH SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG

eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung im Zusammenhang mit den Bestimmungen der „International Maritime Organisation“ enthält, wonach bis zum Jahr 2010 alle oder zumindest nahezu alle Einhüllentanker zwangsweise aus dem Verkehr zu ziehen sind.

2. Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt

eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung des Orderbuches für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. der damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte enthält.

3. Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt

eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung der Risiken im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen der vier Fondsschiffe enthält.

4. Es wird festgestellt, dass

die Antragsgegner Haftungsschuldner aus einer Prospekthaftung im weiteren Sinne (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs .2 und 3 BGB) wegen etwaiger Prospektfehler des unter Ziffer 1. näher bezeichneten Emissionsprospektes sind, insbesondere da Gründungskommanditisten den später beigetretenen Anlegern gegenüber zur Aufklärung über alle für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände verpflichtet sind.

5. Es wird festgestellt, dass

es sich bei den unter Ziffer 1. bis 3. aufgeführten Prospektfehlern um solche Prospektfehler handelt, bezüglich derer die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens Anwendung findet.“

Die Feststellungsziele wurden mit Beschluss des Senats vom 26.03.2021 wie folgt konkretisiert:

„1.

Es wird festgestellt, dass der von der BS INVEST Gesellschaft für Beteiligungsvermittlung mbH & Co. KG angebotene und am 28.09.2006 aufgestellte Emissionsprospekt BS INVEST „Chemikalientanker Flottenfonds“ über Kommanditbeteiligungen an der MS „PETER SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, der MS „FRANZ SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, der MS „PAUL SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG und der MS „RUTH SCHULTE“ Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG

eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung im Zusammenhang mit den Bestimmungen der „International Maritime Organisation“ enthält, wonach bis zum Jahr 2010 alle oder zumindest nahezu alle Einhüllentanker zwangsweise aus dem Verkehr zu ziehen sind,

indem er auf Seite 9 unter „Gute Marktaussichten“, Seite 35 unter „Auftragsbestand an Schiffsneubauten“ und auf Seite 38 unter „Erwartete Abwrackungen durch IMO-Richtlinien“ nicht oder nicht ausreichend darlegt, dass es eine Reihe von Ausnahmen bzw. Schlupflöchern innerhalb der Bestimmungen der „International Maritime Organisation“ gibt, die einen Eigner eines einzelnen Tankers eben nicht zu einer Außerdienststellung seines Tankers bis 2010 zwingen, nämlich

dass in räumlicher Hinsicht Einhüllentanker nach 2010 weiter verkehren können,

in Binnen- und Hoheitsgewässern von Ländern, die MARPOL 73/​78 nicht ratifiziert haben,

in Binnen- und Hoheitsgewässern von Ratifizierungsstaaten, wenn diese dem zustimmen oder

allgemein, wenn die Verwaltung eines Ratifizierungsstaates den Weiterbetrieb aufgrund des Zustands des Tankers erlaubt;

dass in sachlicher Hinsicht die Phasing-Out-Regelungen nicht gelten

für reine Chemikalientanker; für diese gilt MARPOL II, sodass der zur Werbung genutzte Effekt der Reduzierung der Tankerflotte für reine Chemikalientanker gar nicht griff und

für Einhüllentanker unter 5.000 tdw;

dass es eine Pflicht zur Verschrottung nicht gab, sodass Einhüllentanker nicht nach 2010 aus dem Markt ausscheiden müssen, wenn

sie mit einer Doppelhülle nachgerüstet wurden,

sie zwar über keine Doppelhülle i.S.d. Regel 19 MARPOL I n.F. (13F MARPOL I a.F.) verfügen, dafür aber über Doppelböden und -räume i.S.d. Regel 20 Ziffer 5 MARPOL I n.F. (13G MARPOL I a.F.) oder

als reine Chemikalientanker nach IMO III umklassifiziert wurden.

2.

Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung des Orderbuches für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. der damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte enthält,

indem er auf Seite 34 im Abschnitt „Die Tankerflotte“, auf Seite 35 unter „Auftragsbestand an Schiffsneubauten“ und auf Seite 39 unter „Ausblick“ nicht oder nicht ausreichend darlegt, dass die Marktverhältnisse für die Fondsschiffe hinsichtlich des Flottenwachstums tatsächlich deutlich schlechter waren, weil die im Prospekt zugrunde gelegten Orderbuchzahlen

bereits bei Prospektveröffentlichung, jedenfalls aber für den Zeitpunkt der eigentlichen Zeichnungsphase, überholt waren, sodass die darauf basierende Prognose zu positiv ausfiel und

einzig ein sehr weites Segment (5.000 – 30.000 tdw) betraf, in dem die Zahlen ebenfalls deutlich günstiger für die Bewertung der Beteiligung waren, als im eigentlichen Kernsegment der Fondsschiffe (10.000 – 15.000 tdw), zu dem der Prospekt keinerlei Angaben macht.

3.

Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung der Risiken im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen der vier Fondsschiffe enthält,

indem er

auf Seiten 7, 19, 49, 55, 69 f. nur auszugsweise den Inhalt der für die Fondsschiffe abzuschließenden Darlehensverträge bezüglich der Laufzeit, der Zinskonditionen und Zinsbindungen, der Regeltilgungen und der Kreditwährungen USD und Yen nennt;

auf Seite 26 im Kapitel „Wesentliche Risiken des Beteiligungsangebotes“ hinsichtlich der „Risiken der Investitionsphase“ unter dem Unterpunkt „Fremdfinanzierung“ und auf Seite 28 im gleichen Kapitel bzgl. der „Risiken der Betriebsphase“ unter dem Unterpunkt „Fremdfinanzierung“ nicht oder nicht ausreichend, über die im Rahmen der Kreditfinanzierung vereinbarten Covenants (Kreditschutzklauseln), insbesondere die Loan-to-value-Klauseln der Darlehensverträge sowie die damit vorhandenen Risiken aufklärt.“

Der Musterkläger hat mit Schriftsatz vom 06.05.2021 beantragt, das

Feststellungsziel 2 wie folgt zu fassen:

„Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung des Orderbuches für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. der damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte enthält,

indem er auf Seite 34 im Abschnitt „Die Tankerflotte“, auf Seite 35 unter „Auftragsbestand an Schiffsneubauten“, auf Seite 38 unter „Erwartete Abwrackungen durch IMO-Richtlinien“ und auf Seite 39 unter „Ausblick“ nicht oder nicht ausreichend darlegt, dass die Marktverhältnisse für die Fondsschiffe hinsichtlich des Flottenwachstums tatsächlich deutlich schlechter waren, weil die im Prospekt zugrunde gelegten Orderbuchzahlen bzw. die damit verbundenen Wachstrumsraten

nicht die nach dem 1. April 2006 erwartbaren Bestellungen im Orderbuch berücksichtigt haben, die noch in den Jahren 2007 und 2008 abgeliefert werden sollten,

bereits bei Prospektveröffentlichung, jedenfalls aber für den Zeitpunkt der eigentlichen Zeichnungsphase, überholt waren, sodass die darauf basierende Prognose zu positiv ausfiel und

einzig ein sehr weites Segment (5.000 – 30.000 tdw) betrafen, in dem die Zahlen ebenfalls deutlich günstiger für die Bewertung der Beteiligung waren, als im eigentlichen Kernsegment der Fondsschiffe (10.000 – 15.000 tdw), zu dem der Prospekt keinerlei Angaben macht.

Hilfsweise beantragt der Musterkläger, das

Feststellungsziel 2 wie folgt zu erweitern:

„Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung des Orderbuches für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. der damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte enthält,

indem er auf Seite 34 im Abschnitt „Die Tankerflotte“, auf Seite 35 unter „Auftragsbestand an Schiffsneubauten“, auf Seite 38 unter „Erwartete Abwrackungen durch IMO-Richtlinien“ und auf Seite 39 unter „Ausblick“ nicht oder nicht ausreichend darlegt, dass die Marktverhältnisse für die Fondsschiffe hinsichtlich des Flottenwachstums tatsächlich deutlich schlechter waren, weil die im Prospekt zugrunde gelegten Orderbuchzahlen bzw. die damit verbundenen Wachstrumsraten

nicht die nach dem 1. April 2006 erwartbaren Bestellungen im Orderbuch berücksichtigt haben, die noch in den Jahren 2007 und 2008 abgeliefert werden sollten,

bereits bei Prospektveröffentlichung, jedenfalls aber für den Zeitpunkt der eigentlichen Zeichnungsphase, überholt waren, sodass die darauf basierende Prognose zu positiv ausfiel und

einzig ein sehr weites Segment (5.000 – 30.000 tdw) betrafen, in dem die Zahlen ebenfalls deutlich günstiger für die Bewertung der Beteiligung waren, als im eigentlichen Kernsegment der Fondsschiffe (10.000 – 15.000 tdw), zu dem der Prospekt keinerlei Angaben macht.

Hilfshilfsweise beantragt der Musterkläger,

die bestehenden Feststellungsziele um folgendes Feststellungsziel zu erweitern

„Es wird festgestellt, dass der unter Ziffer 1. näher bezeichnete Emissionsprospekt eine unrichtige, unvollständige und/​oder irreführende Darstellung des Orderbuches für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. der damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte enthält,

indem er auf Seite 35 unter „Auftragsbestand an Schiffsneubauten“, auf Seite 38 unter „Erwartete Abwrackungen durch IMO-Richtlinien“ und auf Seite 39 unter „Ausblick“ nicht oder nicht ausreichend darlegt, dass die Marktverhältnisse für die Fondsschiffe hinsichtlich des Flottenwachstums tatsächlich deutlich schlechter waren, weil die im Prospekt zugrunde gelegten Orderbuchzahlen bzw. die damit verbundenen Wachstrumsraten nicht die nach dem 1. April 2006 erwartbaren Bestellungen im Orderbuch berücksichtigt haben, die noch in den Jahren 2007 und 2008 abgeliefert werden sollten.

Die Parteien streiten u.a. über die Auswirkungen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18 – auf das vorliegende Verfahren.

Zu den einzelnen Feststellungszielen in der Fassung des Beschlusses vom 26.03.2021 ist im Musterverfahren wie folgt vorgetragen worden:

Zum Feststellungsziel 1.)

Der Musterkläger meint, der Prospekt enthalte eine unrichtige, irreführende und unvollständige Darstellung der Rechtslage, nämlich der Bestimmungen der „International Maritime Organization“ (im Folgenden: IMO). Die „Phasing-Out Richtlinien“ der IMO würden im Prospekt (Seiten 9, 35 und 38) nach dem maßgeblichen Verständnis eines durchschnittlichen Anlegers so dargestellt, dass sie zu einer zwangsweisen Aussonderung aller Einhüllentanker bis zum 31.12.2009 führen und damit das Angebot an der verfügbaren Tankertonnage entlasten sowie die Nachfrage nach modernen Doppelhüllentanker (wie die der Beteiligung) ankurbeln würden. Diese Prospektaussagen ergäben ein fehlerhaftes, nämlich zu positives Gesamtbild. Eine allgemeine Verschrottungspflicht folge nicht aus der Anlage 1 zum „Internationalen Übereinkommen zur Verhütung von Meeresverschmutzung durch Schiffe und Protokoll von 1978 zu diesem Übereinkommen“ a.F. (Anlage K 8) und n.F. aus 2004 (Anlage K 9 mit Geltung ab 01.01.2007). Der aus MARPOL I folgende „Phasing-Out-Plan“ hätte nicht alle Einhüllentanker erfasst, da es sowohl in räumlicher als auch in sachlicher und technischer Sicht die im (konkretisierten) Feststellungsziel aufgeführten Ausnahmen gegeben habe. Diese Ausnahmebestimmungen würden im Prospekt verschwiegen. Lediglich auf Seite 38 enthalte der Prospekt eine kleine Relativierung („bis auf wenige Ausnahmen“), die eine unbedeutende Anzahl an weiterhin auf dem Markt verbleibenden Einhüllentankern suggeriere. Tatsächlich sei es zu keiner umfangreichen Abwrackung/​Verschrottung von Einhüllentankern gekommen (vgl. Anlage K 11). Die zusätzliche Tonnage auf der Angebotsseite sei der entscheidende Faktor dafür gewesen, warum sich die Charterraten allgemein und damit auch die der 4 Fondsschiffe deutlich schlechter als nach den Prospektberechnungen entwickelt hätten und daraufhin die Beteiligungsgesellschaften in Schieflage geraten seien.

Die Musterbeklagten sind der Ansicht, aus dem Prospekt ergebe sich nicht, dass abweichend zur Rechtslage bei Prospektauflegung ein Zwang zur Aussonderung oder Verschrottung aller oder zumindest nahezu aller Einhüllentanker bis zum Jahr 2010 bestanden habe. Es habe nur über die wesentlichen Aspekte der Phase-Out-Richtlinien informiert werden müssen. Die restriktiven Ausnahmebestimmungen hätten aber keine wesentlichen Konsequenzen für die im Prospekt dargestellte Markteinschätzung und damit für die Beteiligungsentscheidung der Anleger erlangt. Die Formulierungen im Prospekt ließen den Prognosecharakter der dort getroffenen Aussagen klar erkennen. Ex ante habe nicht damit gerechnet werden müssen, dass Einhüllentanker in wettbewerbsrelevanter Anzahl länger als im Prospekt aufgeführt hätten fahren können. Für die Plausibilität und Vertretbarkeit der Prognose hätten Hintergrund, Inhalt und Zielrichtung des MARPOL 73/​78 sowie die Altersstruktur der Einhüllentanker gesprochen. Tatsächlich sei nicht das Ausbleiben der erwarteten Ausmusterung von Einhüllentanker für das Jahr 2010, sondern die Anfang 2009 einsetzende Schifffahrtskrise der entscheidender Faktor für die schwache Entwicklung des Fonds gewesen.

Auch die Nebenintervenientinnen sind der Auffassung, der Prospekt enthalte an keiner Stelle die Behauptung, dass ein gesetzlicher Zwang zur Abwrackung von Einhüllentankern bestehe. Ein Prospektfehler liege nicht vor. Auf die Ausnahmebestimmungen hätte mangels Relevanz nicht gesondert hingewiesen werden müssen. Vielmehr treffe der Prospekt allein prognostische Aussagen im Hinblick auf die Auswirkungen des MARPOL-Abkommens, die ex ante vertretbar gewesen seien. Es habe davon ausgegangen werden dürfen, dass Einhüllentanker nur noch in Nischen zwischen „Nichtteilnehmern“ und in den „Küstengewässern“ zum Einsatz kommen würden. Der Musterkläger lege nicht dar, ob und in welchem Umfang zum Zeitpunkt der Prospektlegung zu erwarten gewesen sei, dass sich die einzelnen Ausnahmetatbestände der IMO-Richtlinien in einer für den Erfolg des Fonds relevanten Art und Weise hätten auswirken können. Der Musterkläger stütze sich auf ex-post-Betrachtungen.

Zum Feststellungsziel 2.)

Der Musterkläger macht geltend, die Aussagen im Prospekt zum Auftragsbestand für Schiffsneubauten (Seiten 35 und 39) erzeugten den Eindruck, es sei in den ersten Jahren nach Abschluss der Beteiligung mit moderaten Wachstumsraten zu rechnen, welche die Chancen der Beteiligung nicht beeinträchtigten. Die Darstellung zum Orderbuch bzw. der Wachstumsraten sei indes fehlerhaft.

Die Orderbuchzahlen seien bereits bei Prospektveröffentlichung überholt gewesen. Es werde die Zustandsbeschreibung des Orderbuchs zum 01.04.2006 zugrunde gelegt, obwohl der Prospekt erst knapp ein halbes Jahr später (am 28.09.2006) veröffentlicht worden sei. Der Prospektleser habe darauf vertrauen dürfen, dass sich der Flottenbestand und das zu erwartende Wachstum nicht wesentlich verändert hätten. Es sei aber eine Zunahme der Bestellungen um 6 Prozentpunkte zwischen dem 01.04.2006 und dem 28.09.2006 bei gleichzeitig leicht gestiegenem Flottenbestand zu verzeichnen gewesen (Anlagenkonvolut K 12). Die Marktaussichten der Fondsschiffe seien zum Zeitpunkt der Prospektveröffentlichung aufgrund der dann zu prognostizierenden steigenden Konkurrenz schlechter gewesen. Jedenfalls während der Platzierungs-/​Zeichnungsphase seien der Bestand an Tankern sowie die Anzahl der Bestellungen noch weiter angestiegen. Über die weitere Marktverschlechterung hätten die Anlageinteressenten informiert werden müssen. Die maßgeblichen Zahlen hätten den Musterbeklagten vorgelegen (Anlagen K 12, K 14 und K 15).

Das Vergleichssegment sei zu weit gefasst worden. Die Rahmenbedingungen für das Flottenwachstum seien im Prospekt positiver suggeriert worden, als sie zum Zeichnungszeitpunkt tatsächlich gewesen seien, indem ein sehr breites Segment von 5.000 bis 30.000 tdw ausgewählt worden sei. Für das maßgebliche Kernsegment der 10.000 bis 15.000 tdw-Tanker habe sich ein weit größeres Flottenwachstum als bei dem im Prospekt gewählten Segment ergeben. Zumindest hätte das „Kernsegment“ der 10.000 bis 15.000 tdw-Tanker zusätzlich im Prospekt dargestellt werden müssen.

Die Musterbeklagten und Nebenintervenientinnen tragen vor, der Musterkläger habe nicht schlüssig dargelegt, dass die Prospektangaben zu dem Auftragsbestand an Schiffsneubauten falsch gewesen seien und die Auswahl des betrachteten Segments sachfremden Gründen gefolgt sei. Die getroffenen Prognosen seien aus ex-ante-Sicht vertretbar gewesen. Sie würden nicht durch das Anlagenkonvolut K 12 widerlegt, das weder eine Aussage zur relevanten Flotte noch zu deren Nettowachstumswerten enthalte.

Unschädlich sei, dass die im Prospekt enthaltenen (zutreffenden) Angaben zum Auftragsbestand von Schiffsneubauten den 01.04.2016 als Stichtag zugrunde gelegt hätten, der Prospekt aber erst am 28.09.2006 aufgestellt worden sei. Zwar sei grundsätzlich der Zeitpunkt der Prospekterstellung maßgebend, jedoch basierten die Darstellungen des Marktes und damit auch die Angaben zu den Orderbüchern und den mit ihnen verbundenen prognostizierten Wachstumsraten auf dem Marktgutachten. Dieses sei am 15.08.2006 fertig gestellt und dann in den nur knapp einen Monat später herausgegebenen Prospekt eingearbeitet worden. Angesichts der für die Prospekterstellung notwendigen Vorlaufzeit enthalte der am 28.09.2006 herausgegeben Prospekt mit den Ergebnissen der Marktstudie vom 15.08.2006 die zu dem damaligen Zeitpunkt aktuellsten verfügbaren Daten. Es habe keiner Nachträge zur weiteren Entwicklung der Orderzahlen nach der Prospektherausgabe bedurft.

Kein Prospektfehler folge aus dem Umstand, dass der Prospekt chemikalienfahrende Tanker im Segment von 5.000 bis 30.000 dwt und nicht nur im Segment von 5.000 bis 15.000 dwt betrachte. Die Wahl des betrachteten Segments sei in Übereinstimmung mit der Marktstudie erfolgt. Eine exakte Abgrenzung der Märkte anhand der Schiffsgröße sei nicht möglich. Es sei ein etwas breiterer Flottenausschnitt zu betrachten, der die Substitutions- und Wettbewerbsbeziehungen zwischen den Schiffen aussagekräftiger berücksichtige.

Zum Feststellungsziel 3.)

Der Musterkläger beanstandet, im Prospekt werde nicht dargestellt, unter welchen konkreten Voraussetzungen es zu Leistungsstörungen der Darlehensverträge kommen könne und welche Auswirkungen diese haben könnten. Verschwiegen würden die Kreditschutzklauseln, insbesondere die Loan-to-value-Klauseln der Darlehensverträge, sowie die damit verbundenen Risiken. Sinke der Wert der Fondsobjekte, bestehe die Gefahr, dass trotz vollständiger Zins- und Tilgungsleistungen der Darlehensgeber weitere Sicherheiten, Sondertilgungen, höhere Zinsmargen, Bearbeitungsgebühren verlange oder zur vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrages berechtigt sei. Dies alles sei dem durchschnittlichen Anleger nicht geläufig.

Die Musterbeklagten halten den Vortrag des Musterklägers bereits für unsubstantiiert. Es sei unklar, welche konkreten, für die Anlageentscheidung wesentlichen Informationen im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen fehlen sollen. Die Angaben im Prospekt seien ausreichend; weitergehende Einzelheiten seien für die Anlageentscheidung nicht von Bedeutung.

Die Nebenintervenientin zu 1) meint ebenfalls, die Loan-to-value-Klauseln seien nicht aufklärungsbedürftig. Im Übrigen werde im Prospekt auf die Risiken eines Wertverlusts der Schiffe und der damit einhergehenden unzureichenden Darlehensbesicherung hingewiesen.

Zum Feststellungsziel 4.)

Der Musterkläger vertritt die Auffassung, die Musterbeklagten seien als Gründungsgesellschafter (Seiten 87 f. des Prospekts) „potentielle“ Haftungsschuldner, auch soweit die Anleger über einen Treuhänder beigetreten seien; der jeweilige Treugeber sei nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 6 Nr. 1 Treuhandvertrag i.V. mit § 3 Nr. 4 Gesellschaftsvertrag) wie ein unmittelbar beigetretener Kommanditist zu behandeln. Für die Feststellung bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis, da die Musterbeklagten die zugrunde liegende Rechtsfrage in den Ausgangsverfahren in Abrede gestellt hätten.

Die Musterbeklagten führen u.a. aus, die Musterbeklagten zu 1), 3) (als Rechtsnachfolgerin) und 4) seien nicht aufgrund ihrer Stellung als Gründungskommanditisten den später beitretenden Anlegern gegenüber zur Aufklärung über alle für die Anlageentscheidung maßgeblichen Umstände verpflichtet. Sie hätten kein persönliches Vertrauen in Anspruch genommen. Überdies sei die Haftung der Musterbeklagten zu 4) auf die hier nicht vorliegenden Fälle grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns beschränkt (§ 19 Abs. 1 und 2 des Treuhandvertrages). Die Musterbeklagte zu 2) treffe kein Verschulden. Durch die Beauftragung der Marktstudie (Anlage B 1) und Begutachtung des Prospekts (Anlage B 2) habe die Musterbeklagte zu 2) alles Erforderliche getan, um Prospektfehler zu vermeiden.

Zum Feststellungsziel 5.)

Der Musterkläger verweist darauf, dass grundsätzlich eine Aufklärungspflichtverletzung wegen fehlerhafter Prospektangaben kausal für die Anlageentscheidung sei; hierfür streite die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens. Es sei feststellungsfähig, dass diese Vermutung „abstrakt“ in den Ausgangsverfahren eingreife.

Die Musterbeklagten verweisen darauf, dass die maßgebliche Rechtsfrage geklärt sei und deshalb die beantragte Feststellung unzulässig sei. Ob die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens widerlegt sei, könne nur individuell und nicht abstrakt für alle Anleger beantwortet werden.

Der Senat hat mit Beschlüssen vom 03.12.2020 und 25.05.2021 sowie in den mündlichen Verhandlungen vom 26.03.2021 und 26.11.2021 Hinweise erteilt.

B.

Das Feststellungsziel in Ziffer 4.) ist unbegründet (s.u. I.). Die Feststellungsanträge zu Ziffern 1.) bis 3.) und 5.) sind gegenstandslos (s.u. II.) und im Übrigen auch unbegründet (s.u. III.). Die vom Musterkläger (hilfsweise) beantragte Ergänzung bzw. Erweiterung des Feststellungsziels zu 2) ist zurückzuweisen (s.u. IV.).

I.

Die beantragte Feststellung zum Feststellungsziel Nr. 4 ist unbegründet. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18 –, Rn. 20 ff., juris; BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – XI ZB 26/​19, Rn. 19 ff.; ferner BGH, Beschluss vom 08.06.2021 – XI ZB 22/​19, Rn. 31 und BGH, Beschluss vom 21.09.2021 – XI ZB 9/​20, Rn. 31) kann eine Haftung der Musterbeklagten als (Rechtsnachfolger der) Gründungsgesellschafter aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Die vom Musterkläger und den Beigeladenen in den Ausgangsverfahren geltend gemachte Prospekthaftung im weiteren Sinne wird durch die für Prospektverantwortliche geltenden Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung (§ 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG a.F.) verdrängt (s.u. 1.). Dieser Vorrang gilt auch im Verhältnis zu den Musterbeklagten zu 1) bis 4) (s.u. 2.).

1.

Für Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG a.F. scheidet eine Prospekthaftung im weiteren Sinne aus, da die spezialgesetzliche Prospekthaftung im engeren Sinne Vorrang hat und Ansprüche aus Prospekthaftung im weiteren Sinne ausschließt (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI UB 35/​18, Rn. 22 ff.; BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – XI ZB 26/​19, Rn. 21 ff.). Dies gilt – entgegen der Auffassung des Musterklägers – auch für Anleger, die ihre Fondsbeteiligung nicht innerhalb von 6 Monaten nach erstmaligem öffentlichem Angebot im Inland erworben haben. Bei der in § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG a.F. genannten Sechsmonatsfrist handelt es sich um eine Ausschlussfrist; erfolgt die Zeichnung nach Ablauf der 6 Monate, besteht nach der spezialgesetzlichen (vorrangigen) Prospekthaftung keine Haftung mehr. Der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck würde ausgehebelt, wenn die allgemeine zivilrechtliche Prospekthaftung nach Ablauf der sechs Monate wieder aufleben würde. Diejenigen Anleger, die nach Ablauf der Ausschlussfrist zeichnen, könnten eine Prospekthaftung im weiteren Sinne verfolgen, während diejenigen, die innerhalb der Sechsmonatsfrist ihre Beteiligung erworben haben, auf eine Prospekthaftung im engeren Sinne beschränkt wären. Das jeweils geltende Haftungsregime wäre ohne sachlichen Grund allein aufgrund des Zeitpunkts des Erwerbs unterschiedlich.

2.

Die Musterbeklagten zu 1) bis 4) sind Prospektverantwortliche im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG (a.F.). Dafür reicht bereits ihre Stellung als Gründungsgesellschafter der vier Einschiffsgesellschaften aus (BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – XI ZB 26/​19, Rn. 24).

a)

Neben denjenigen, die für den Prospekt die Verantwortung übernommen haben, haften auch diejenigen Personen und Unternehmen für wesentliche Prospektunrichtigkeiten oder -unvollständigkeiten, von denen der Erlass des Prospekts bzw. die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind. „Veranlasser ist, wer hinter dem Emittenten steht und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluss ausübt. … ; insbesondere sollen auch Konzernmuttergesellschaften in die Haftung einbezogen werden …“ Von „einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes“ ist „unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist“ (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – XI ZB 35/​18 –, Rn. 24, juris; BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – XI ZB 26/​19, Rn. 23).

b)

Nach diesen Maßstäben sind die Musterbeklagten zu 1) und 2), aber auch – wie aus BGH, Beschluss vom 08.06.2021 – XI ZB 22/​19, Rn. 31 und BGH, Beschluss vom 21.09.2021 – XI ZB 9/​20, Rn. 31 folgt – die Musterbeklagten zu 3) und 4), als Prospektverantwortliche oder „Veranlasser“ anzusehen. Anknüpfungspunkte für ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse aller Musterbeklagten an der Konzeption des Anlagemodells folgen daraus, dass die Musterbeklagten nicht nur Gründungsgesellschafterinnen der Beteiligungsgesellschaften sind, sondern darüber hinaus zwischen ihnen vertragliche und gesellschaftsrechtliche Verflechtungen bestehen:

aa) Die Emittentinnen sind jeweils Konzernunternehmen der „SCHULTE Gruppe“ (Seite 15 des Prospekts), an deren Spitze die Musterbeklagte zu 1) steht. Die Musterbeklagte zu 1) ist nicht nur selbst an den Beteiligungsgesellschaften beteiligt, sondern auch die „Muttergesellschaft“ der anderen Gründungsgesellschaften, d.h. der anderen Musterbeklagten zu 2) bis 4) als weitere Gründungskommandistinnen und der persönlich haftenden Gesellschafterinnen der Beteiligungsgesellschaften (Seiten 15, 25 und 70 des Prospekts). So war die Musterbeklagte zu 1)

am Kommanditkapital von allen vier Beteiligungsgesellschaften beteiligt und hat von dem bei Prospektlegung jeweils gezeichneten Kommanditkapital in Höhe von insgesamt € 400.000,- einen Anteil von € 286.000,- (= 71,5 %) übernommen (Seiten 17, 88, 99 ff. des Prospekts);

alleinige Gesellschafterin der vier Komplementärinnen-GmbH der Beteiligungsgesellschaften (Seiten 78/​79 unten und 80/​81 oben des Prospekts);

alleinige Kommanditistin der Musterbeklagten zu 3) und 4) und an der prospektverantwortlichen Musterbeklagten zu 2) kommanditistisch beteiligt (Seiten 80/​81 des Prospekts).

Ferner agierte die Musterbeklagte zu 1) als „vorbereitender Bereederer“ (Seiten 10, 20, 44, 71 und 80 des Prospekts) und „Platzierungsgarant“ (Seiten 9, 10, 44, 50, 65, 68 und 80 des Prospekts). Daneben übernahm sie die Gewährung von Kontokorrentkrediten und die Finanzierung der Anzahlungsraten der Schiffskaufpreise (Seiten 68 und 71 des Prospekts).

Die Musterbeklagte zu 1) ist demnach aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Funktion und ihres erheblichen wirtschaftlichen Eigeninteresses als „Hintermann“ anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – XI ZB 35/​18, Rn. 24; näher BGH, Urteil vom 18. September 2012 – XI ZR 344/​11 –, BGHZ 195, 1-22, Rn. 36 ff.).

bb) Die Musterbeklagte zu 2) war als Tochter der Musterbeklagten zu 1) Anbieterin der Beteiligungsgesellschaften (Seiten 4, 10, 45 und 80 des Prospekts). Sie übernahm die Auswahl und Vermittlung der Schiffe (Seite 20 des Prospekts). Sie wird im Prospekt als Prospektverantwortliche genannt (Seiten 5 und 21). Sie hielt zudem als Gründungsgesellschafterin jeweils eine Kommanditbeteiligung in Höhe von € 13.000,- (von bei Prospektlegung gezeichneten € 400.000,-) an den Schiffsgesellschaften.

cc) Die Musterbeklagte zu 3) ist Rechtsnachfolgerin der Gründungsgesellschafterin Vorsetzen Bereederungs- und Schiffahrtskontor GmbH & Co. KG (VBSK), die „Tochter“ der Musterbeklagten zu 1) und „Schwester“ der prospektverantwortlichen Musterbeklagten zu 2) war. Die Rechtsvorgängerin der Musterbeklagten zu 3) fungierte als „Vertragsreeder“ (Seiten 6, 10, 40, 44, 68, 80 und 107 ff. des Prospekts). Als Vergütung erhielt sie einen Betrag in Höhe von 2 % der Charter- und Frachteinnahmen sowie eine erfolgsabhängige Vergütung in Höhe von 3,5 % des jährlichen Betriebsergebnisses der Schiffsgesellschaften (§ 5 des Bereederungsvertrages, S. 109 des Prospekts). Ihre Kommanditbeteiligung an den vier Schiffsgesellschaften betrug jeweils € 100.000,- von den bei Prospektlegung jeweils gezeichneten € 400.000,- (= 25 %).

dd) Die Musterbeklagte zu 4) unterhielt als Gründungsgesellschafterin jeweils eine Kommanditbeteiligung an den Schiffsgesellschaften in Höhe von € 1.000,- (von bei Prospektlegung jeweils gezeichneten € 400.000,-). Sie war „Tochter“ der Musterbeklagten zu 1) und „Schwester“ der prospektverantwortlichen Musterbeklagten zu 2); ihr Geschäftsführer war als Prokurist bei der Musterbeklagten zu 1) und bei verschiedenen Gesellschaften der Schulte-Gruppe tätig (Seite 47 des Prospekts). Die Musterbeklagte fungierte als Treuhänderin (Seiten 10, 21, 47, 65, 80 und 103 ff. des Prospekts). Sie erhielt – neben einer jährlichen Vergütung (Seite 69 des Prospekts) – eine einmalige Vergütung in der Investitionsphase (Seite 68 des Prospekts; ferner § 7 Nr. 7 d) des Gesellschaftsvertrages, Seite 91 des Prospekts, und § 9 des Treuhandvertrages, Seite 106 des Prospekts).

II.

Die Feststellungen zu Ziffern 1.) bis 3.) und 5.) sind gegenstandlos. Gegenstandslos wird ein Feststellungsziel, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (siehe nur BGH, Beschluss vom 12.10.2021 – XI ZB 26/​19, Rn. 27 m.w.N.). So ist es hier bei den Feststellungszielen in Ziffern 1.) bis 3.) und 5.), weil der Antrag zu dem Feststellungsziel 4.) in der Sache unbegründet ist.

1.

Der (teilweise vom Senat konkretisierte) Vorlagebeschluss des Landgerichts ist dahin auszulegen, dass Prospektfehler (Feststellungsziele 1.) bis 3.)) und die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens (Feststellungsziel 5.)) ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung festgestellt werden sollen. Der Bezug zu §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 und § 311 Abs. 2 und 3 BGB wird bereits durch das Feststellungsziel 4.) hergestellt. Fernerhin heißt es in der Begründung des Vorlagebeschlusses gleich zu Beginn: „Die Antragsteller … nehmen die Antragsgegner auf Schadensersatz unter dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch.“ Ferner führt das Landgericht aus: „Die Antragsteller … machen den Antragsgegnern zum Vorwurf, dass sie vor Zeichnung ihrer Beteiligungen unzureichend über die entscheidungserheblichen Umstände und Risiken der Beteiligung informiert worden seien und führen zur Begründung aus, der Emissionsprospekt weise in erheblichen Punkten unzutreffende, irreführende und/​oder unvollständige Angaben auf. … Die … Pflichtverletzungen hätten die Antragsgegner … im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB zu vertreten.“ In der Begründung verweist das Landgericht sodann auf Schadensersatzansprüche „nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG“.

2.

Die Feststellungsziele 1.) bis 3.) und 5.) sind für die Ausgangsverfahren nicht entscheidungserheblich; denn die zur Anspruchsbegründung herangezogene Prospekthaftung im weiteren Sinne der Musterbeklagten zu 1) bis 4) scheidet aus den oben genannten Gründen (s.o. I.) aus.

III.

Selbst wenn entgegen den Ausführungen unter II. eine Haftung einer der Musterbeklagten zu 1) bis 4) nach §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB angenommen würde, wären die beantragten Feststellungen zu den mit Beschluss vom 26.03.2021 konkretisierten Feststellungsziele 1.) bis 3.) unbegründet und zum Feststellungsziel 5.) gegenstandslos.

1. Feststellungsziel 1.)

Die beantragte Feststellung ist unbegründet, da kein Prospektfehler vorliegt. Die sich aus den IMO-Richtlinien ergebende Rechtslage zum Betrieb von Einhüllentankern wird im Prospekt auf Seiten 9, 35 und 38 weder unvollständig (s.u. a)) noch unrichtig oder irreführend dargestellt (s.u. b)).

a)

Die Prospektdarstellung zu den erwarteten Abwrackungen durch die IMO-Richtlinie ist nicht unvollständig. Richtig ist der Ausgangspunkt des Musterklägers, dass MARPOL I 73/​78 (Anlagen K 8 und K 9) nicht mit sofortiger Wirkung oder spätestens zum Jahr 2010 sämtliche Einhüllen-Tankertypen unabhängig von ihrem Fassungsvermögen, ihrer Ladung und ihrem Einsatzgebiet erfasste, sondern mannigfaltige Ausnahmebestimmungen sowohl in räumlicher als auch sachlicher, technischer und zeitlicher Hinsicht vorsah. Entgegen der Auffassung des Musterklägers kommt der eingeschränkte Anwendungs- bzw. Geltungsbereich des „Phasing-Out-Planes“ aber im Prospekt ausreichend zum Ausdruck.

aa) Die im Feststellungsziel aufgeführten Ausnahmenbestimmungen müssen im Prospekt nicht im Einzelnen wiedergegeben werden.

Der Prospekt muss nur die für die Anlageinteressenten wesentlichen Inhalte der Richtlinie nennen, nicht aber alle Verästelungen zu den Möglichkeiten des Weiterbetriebs von Einhüllentanker nach 2010 abstrakt aufführen. Durch eine umfassende Darstellung der Rechtslage würde der Prospekt überfrachtet und unleserlich. Dem Anlageinteressenten geht es bei seiner Entscheidungsfindung um die Beurteilung der Marktaussichten der Fondsschiffe und nicht um rechtliche Detailkenntnisse. Rechtsausführungen verschaffen dem Anlageinteressenten noch keinen relevanten Erkenntnisgewinn.

Soweit der Musterkläger darauf hinweist, dass weitere Informationen zu den Möglichkeiten des Weiterbetriebs von Einhüllentankern beim Anleger Zweifel an der Richtigkeit der im Prospekt getroffenen Prognose zum Verschrottungsvolumen und dem daraus abgeleiteten Flottenwachstum im Segment der Fondsschiffe geweckt hätten, begründet dies keine wesentliche Prospektunvollständigkeit; denn der Musterkläger zeigt nicht auf, anhand welcher zur Zeit der Prospektlegung verfügbarer Expertisen absehbar gewesen sein soll, dass und in welchem relevanten Ausmaß Einhüllentanker unter Ausnutzung von „Schlupflöchern“ der IMO-Richtlinien nach 2010 den Fondsschiffen weiterhin Konkurrenz hätten machen könnten. Die Vertretbarkeit der zum Zeitpunkt der Prospekterstellung getroffenen Annahme, dass Einhüllentanker infolge ihrer kritischen rechtspolitischen Bewertung überwiegend vom Markt gehen würden, lässt sich nicht mit ex-post-Betrachtungen etwa durch einen Vergleich des Verhältnisses zwischen der Gesamttonnage und der Einhüllentanker im Segment der Öltanker von 10.000 bis 30.000 aufgrund von Analysen im September 2006 (Anlage K 12a) – dem Monat der Prospektherausgabe – einerseits und im Juli 2012 (Anlage K 11) andererseits ausräumen. Insofern bedarf es auch nicht der vom Musterkläger beantragten Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den von ihm behaupteten negativen Auswirkungen der verbliebenen Einhüllentanker auf die Charterraten allgemein und auf die Fondsschiffe.

bb) Die vom Musterkläger angeführten Ausnahmetatbestände zum „Phasing-Out“ werden im Prospekt – soweit sie für den Anlageinteressenten relevant sind – ausreichend angesprochen.

(1) Der Prospekt behauptet keine uneingeschränkte Weltgeltung der IMO-Richtlinien. Dass „Richtlinien“ bzw. internationale Abkommen nicht von allen Ländern ratifiziert werden und bei einer Vielzahl beteiligter Vertragsstaaten zur Erreichung eines Konsenses Ausnahmebestimmungen enthalten können, wird einem unternehmerisch orientierten Anleger mit wirtschaftlichen Kenntnissen als Adressat der Anlage (Seite 6 des Prospekts) typischerweise bekannt sein.

Jedenfalls wird im Prospekt hinreichend angedeutet, dass die IMO-Richtlinien nicht überall Geltung beanspruchten. Mit der Formulierung auf Seite 38 des Prospekts:

„In einigen Regionen werden die IMO-Richtlinien zum Teil bereits heute angewendet.“

wird bereits darauf hingewiesen, dass die IMO-Richtlinien bis zur Prospektauflegung nicht weltweit, sondern nur regional Anwendung fanden. Anschließend weist der Prospekt weiter darauf hin, dass auch die USA als große Handelsnation

„die IMO-Richtlinien nicht ratifiziert haben.“

(2) Der Prospekt macht ausreichend deutlich, dass die IMO-Richtlinien nicht für jeden Tankertyp in allen Segmentgrößen und für alle Gefahrengütertransporte Anwendung finden. Zwar werden nicht alle Ausnahmebestimmungen nach MARPOL I 73/​78 im Einzelnen dargestellt, jedoch wird der sachliche Anwendungsbereich zumindest in groben Zügen erläutert.

(a) Anders als der Musterkläger meint, stellt der Prospekt weder ausdrücklich noch konkludent die Behauptung auf, dass die Phasing-Out-Richtlinien (MARPOL I) für die (reine) Chemikalienschifffahrt Geltung beanspruchten. Vielmehr werden die IMO-Richtlinien auf Seite 38 lediglich im Zusammenhang mit Öltankern erläutert. Dort werden zunächst schwere Unfälle mit „Ölverschmutzungen“ als Anlass für die Beschlüsse zur Aussonderung von Einhüllentankern dargestellt. Als eine Maßnahme wird anschließend die Notwendigkeit von Doppelhüllen für „Öltanker-Neubauten ab einer bestimmten Größe“ hervorgehoben. Im Prospekt wird sodann die Schlussfolgerung gezogen, dass „Tanker für den Transport von Öl und Ölprodukten zur Verschrottung anstehen“. Daraufhin wird die Betroffenheit im Segment der „Ölprodukten-Chemikalientanker“ erläutert. Ein Bezug zu reinen Chemikalientankern wird hier nirgends hergestellt. Die reinen Chemikalientanker werden erst zum Ende des Abschnitts auf Seite 38 des Prospekts angesprochen. Dort wird das prognostizierte Nettoflottenwachstum kumulativ davon abhängig gemacht, dass (1.) die Verschrottungen aufgrund des „Phasing-Out-Planes“ (der zuvor für Öltanker umrissen wurde) wie erwartet eintreten und (2.) die reinen Chemikalientanker bei Erreichen ihres 26. Lebensjahres (unabhängig vom „Phasing-Out-Plan“) außer Dienst gestellt werden.

(b) Zu Einhüllentanker unter 5.000 tdw bedurfte es im Prospekt keiner gesonderten Darstellung, da diese nicht als direkte Wettbewerber zu den Fondsschiffen angesehen wurden (S. 34 des Prospekts). Dass die Einschätzung zum Vergleichssegment im Prospekt bzw. die Außerachtlassung der auf den Markt verbleibenden Einhüllentanker unter 5.000 tdw unrichtig oder unvertretbar ist, ist nicht Gegenstand des Feststellungsziels. Im Übrigen wird auf Seite 38 des Prospekts angesprochen, dass die Beschlüsse der IMO u.a.

„Öltanker Neubauten ab einer bestimmten Größe

betreffen.

(3) Nachrüstungs-, Umbau-, Umklassifizierungs- oder Genehmigungsmöglichkeiten für Einhüllentanker werden im Prospekt zwar nicht ausdrücklich angesprochen. Es wird jedoch auf Seite 38

„für bereits in Fahrt befindliche Schiffe ohne diese Sicherheitsvorrichtungen

auf

Übergangsregelungen

zur Ermöglichung des Weiterbetriebes bis zu einem genau definierten Höchstalter hingewiesen. Sodann wird ausgeführt, dass es

wenige Ausnahmen

bei der Verschrottung aller Einhüllentankern geben wird.

(4) Dass in diesem Zusammenhang mit den einzelnen Ausnahmebestimmungen weiter gehende Hinweise erforderlich waren, hat der Musterkläger nicht dargelegt. Es fehlen Anhaltspunkte dafür, dass bei Prospektlegung aufgrund vorhandener Expertisen bekannt war, dass nach 2010 eine für den Anlageerfolg relevante Zahl von (umgebauten oder nachgerüsteten) Einhüllentankern auf dem von den Fondsschiffen bedienten Markt verbleiben würde.

b)

Die Prospektdarstellung ist nicht unrichtig oder irreführend. Im Prospekt wird nicht der Eindruck erweckt, es bestünde ein „Zwang alle oder zumindest alle Einhüllentanker bis zum Jahr 2010“ aus dem Verkehr zu ziehen. Der Anlageinteressent, der den Prospekt sorgfältig und eingehend liest, versteht den Prospekt im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung vielmehr so, dass im Segment der Ölprodukten-Chemikalientanker zwischen 5.000 und 10.000 tdw 300 Schiffe von den IMO-Richtlinien betroffen sind und die Erwartung besteht, von diesen würden 93 Schiffe bis Ende 2008 und die danach noch verbleibenden Schiffe bis Ende 2010 bis auf wenige Ausnahmen verschrottet. Eine fehlerhafte Darstellung der IMO-Richtlinien (Phasing-out) ist damit nicht verbunden.

aa) Aus dem Prospekt lässt sich nicht ableiten, dass es einen (rechtlichen) Zwang zur Aussonderung der Einhüllentanker bzw. eine verbindliche Verschrottungs- oder Abwrackungspflicht gegeben habe. Von den im Feststellungsziel genannten „Zwang“ ist im Prospekt nicht die Rede.

Die Formulierung auf Seite 9:

„Die IMO hat außerdem Richtlinien mit dem Ziel erlassen, dass bis zum Jahr 2010 alle Einhüllentanker aus dem Verkehr gezogen werden (so genannte „Phasing-out“-Richtlinien).“

macht mit den Worten „Richtlinien“ und „Ziel“ hinreichend deutlich, dass es keinen allgemein gültigen Zwang gibt, sondern rechtspolitische Erwartungen bzw. Zielvorstellungen dargestellt werden, die im Einzelnen noch umzusetzen sind.

Dies bestätigt der Text auf Seite 38 des Prospekts. Bereits in der Überschrift heißt es

Erwartete Abwrackungen durch IMO-Richtlinien“.

Im Folgenden heißt es weiterhin:

„Als Ergebnis dieser politischen Vorgaben werden … Tanker … zur Verschrottung anstehen.“

Anschließend wird ausgeführt:

„Unter Berücksichtigung der zu erwartenden Verschrottungen …“

Es wird damit klargestellt, dass es um die Darstellung einer in der Zukunft erwarteten (tatsächlichen) Entwicklung und nicht um die Wiedergabe einer bereits geltenden Verschrottungsverpflichtung von Einhüllentankern mit einer festen zeitlichen Vorgaben bzw. allgemeinverbindlichen Definition der Lebensdauer von Einhüllentankern geht. Ein solches Verständnis folgt – entgegen der Auffassung des Musterklägers – auch nicht aus den Worten „Abwrackung“ oder „Verschrottung“; diese umschreiben den Inhalt der angestrebten Maßnahmen, nicht aber deren Qualität als durchsetzbares Handlungsgebot.

bb) Der Prospekt erweckt nicht den Eindruck, dass „(nahezu) alle Einhüllentanker“ von der „Phasing-Out-Richtlinie“ betroffen seien.

Zunächst heißt es allerdings auf Seite 9 des Prospekts:

„Die IMO hat außerdem Richtlichtlinien mit dem Ziel erlassen, dass bis zum Jahr 2010 alle Einhüllentanker aus dem Verkehr gezogen werden …“

Diese Formulierung kann bei isolierter Betrachtung dahin verstanden werden, dass bis zum Jahr 2010 Einhüllentanker ausnahmslos (also z.B. auch Chemikalientanker ohne Doppelhülle) nicht mehr zum Transport eingesetzt werden sollen, obwohl die „Phasing-out“-Richtlinien nur den Einsatz von Einhüllentankern zum Transport von Öl- und Ölprodukten sowie bestimmten Chemikalien limitieren und Ausnahmen zulassen.

Indes wird auf den Seiten 33 ff. des Prospekts die Reichweite der IMO-Richtlinien für das Segment der Fondsschiffe weiter verdeutlicht: Auf der Seite 33 des Prospekts wird mitgeteilt, dass die Welt-Tankerflotte zum 01.04.2006 10.522 Schiffe umfasste. Davon waren 18,0 % Ölprodukten-Chemikalientanker, von denen 1.222 Schiffe auf das Segment von 5.000 bis 30.000 tdw entfielen (Seite 34 des Prospekts). Von diesen im direkten Wettbewerb zu den Fondsschiffen stehenden Schiffen wurde erwartet, dass 300 Ölprodukten-Chemikalientanker von den IMO-Richtlinien betroffen sein würden (Seite 38 des Prospekts). Eine Verschrottung (nahezu) aller Einhüllentanker wird damit nicht behauptet. Es werden ausschließlich für das Vergleichssegment der Fondsschiffe konkrete Zahlen genannt. Zu anderen – mit den Fondsschiffen nicht vergleichbaren Tankern – werden keine belastbaren Angaben getroffen; diese sind für den Anlageinteressenten auch irrelevant.

cc) Nicht vom Feststellungsziel umfasst ist die Beanstandung des Musterklägers, der Prospekt erwecke den fehlerhaften Eindruck, das Phasing Out betreffe die Zeit bis zum 31.12.2009. Im Übrigen ist dieser Vorwurf auch unbegründet. Zwar sind die Formulierungen auf den Seiten 9 und 38 des Prospekts „bis zum Jahr 2010“ nicht präzise, da es an der Konkretisierung wie z.B. „Anfang 2010“ (31.12.2009) oder „Ablauf des Jahres 2010“ bzw. „Ende 2010“ (31.12.2010) fehlt. Mit der Formulierung im Prospekt wird aber für einen durchschnittlichen Interessenten an einer unternehmerischen Beteiligung deutlich, dass auch Verschrottungen im Laufe des Jahres 2010 einbezogen werden sollen. Werden die Worte „bis zum“ ohne Zusatz verwendet, bedeutet dies nach allgemeinem Sprachgebrauch „bis einschließlich“. Würde mit dem Musterkläger auf den 31.12.2009 abgestellt, bliebe außer Betracht, dass die Jahreszahl 2009 in den maßgeblichen Prospektstellen gar nicht genannt wird. Ist danach das Jahr 2010 bei der Betrachtung der vom Phasing-Out betroffenen Ölprodukten-Chemikalientanker im Vergleichssegment der Fondsschiffe mit einzubeziehen, so verschieben sich die vom Musterkläger herangezogenen Zahlen. Nach der Tabelle auf der Seite 26 der Marktstudie (Anlage B 1) standen dann von 300 Einhüllentankern im Vergleichssegment der Fondsschiffe nicht nur 125 Schiffe zur Verschrottung an, sondern es müsste berücksichtigt werden, dass im Jahr 2010 zusätzlich 120 Schiffe hätten stillgelegt werden müssen. Bis einschließlich 2010 sollten danach von 300 Schiffen 245 und bis 2015 weitere 55 Einhüllentanker im Segment 5.000 bis 29.999 dwt aus dem Markt ausscheiden. Das Verhältnis 245 (= 82 %) zu 55 (= 18 %) Schiffen bildet ein Regel-Ausnahmeverhältnis ab.

2. Feststellungsziel 2.)

Die beantragte Feststellung ist unbegründet. Das „Orderbuch für Tankerneubauten mit Doppelhülle bzw. die damit verbundenen Wachstumsraten der Welthandelsflotte“ sind weder unrichtig noch unvollständig oder irreführend dargestellt.

a)

Es liegt keine Prospektunrichtigkeit vor. Die Grundlage für den errechneten „Bruttozuwachs von 10,4 % p.a. bezogen auf die Schiffszahl bzw. von 9,9 % p.a. bei der Kapazität“ wird auf der Seite 35 des Prospekts zutreffend angegeben. Die Formulierung in der Überschrift

„Auftragsbestand an Schiffsneubauten“

und die folgenden Ausführungen

„Auftragsbestand an chemikalienfahrenden Tankern am 01.04.2006 auf 380 Schiffe … größtenteils bis Ende 2008 abgeliefert“

machen deutlich, dass von vorhandenen Bestandszahlen am 01.04.2006 (ohne Berücksichtigung danach erfolgter Bestellungen) ausgegangen wird. Es wird nicht gesagt, dass bis Ende 2008 keine weiteren Bestellungen mehr getätigt werden können; Aussagen zum voraussichtlichen Flottenbestand bis Ende 2008 werden auf der Seite 35 des Prospekts gar nicht getroffen. Auch auf der Seite 39 des Prospekts wird auf den

„heutigen Auftragsbestand für Neubauten“

abgestellt. Dadurch wird die Darstellung auf der Seite 35 in Bezug genommen.

b)

Eine Prospektunvollständigkeit oder Irreführung des Anlageinteressenten liegt ebenfalls nicht vor. Eine solche folgt nicht daraus, dass die Bestellungen nach dem 01.04.2006 bis zur „eigentlichen Zeichnungsphase“ unberücksichtigt geblieben sind und das „Kernsegment der Schiffe zwischen 10.000 und 15.000“ keine gesonderte Betrachtung erfahren hat.

aa) Über die Veränderungen des im Prospekt dargestellten Auftragsbestandes in der Zeit nach dem 01.04.2006 bis zur Prospektherausgabe (28.09.2006) oder bis zur Zeichnungsphase musste nicht informiert werden.

(1) Die vom Musterkläger beanstandete unterlassene Darstellung der Entwicklungen der Flotte im Segment der Fondsschiffe bis zur Zeichnungsphase ist bereits nicht Gegenstand des Feststellungsziels. Dieses betrifft den Emissionsprospekt vom 28.09.2006 und nicht die Verletzung von etwaigen Berichtigungs- oder Aktualisierungspflichten der Musterbeklagten im Zeitraum zwischen Prospektherausgabe und Ende der Zeichnungsphase. Für die Beurteilung des Feststellungsziels ist allein der zur Zeit der Prospektherausgabe verwertbare Erkenntnisstand maßgebend.

(2) Dass der Prospekt am 28.09.2006 veraltetes Zahlenmaterial verwendete, indem er die Daten aus der im August 2006 vorgelegten Marktstudie (Anlage B 1) rekrutierte, kann nicht festgestellt werden. Auch auf Hinweise des Senats hat der Musterkläger nicht dargelegt, dass bis zur Prospektherausgabe am 28.09.2006 neueres berücksichtigungsfähiges und –pflichtiges Zahlenmaterial vorlag, das in die Darstellung zum Auftragsbestand an Schiffsneubauten auf der Seite 35 und in die Prognose zum Nettoflottenwachstum im Segment der Fondsschiffe auf den Seiten 38 und 39 hätte einfließen müssen:

Die Berichte „Oli & Tankers Trades Outlook“ aus September 2006, März 2007 und Januar 2008 (Anlagen K 12 und K 16) können nicht rechtzeitig vor Prospektherausgabe vorgelegen haben.

Nicht vorgetragen ist, wie aus den Geschäftsberichten für 2007, 2008 und 2009 (Anlage K 14) auf vorhandenes Wissen der Musterbeklagten am 28.09.2006 zu Marktverschlechterungen zwischen April und im September 2006 geschlossen werden soll. Das Zahlenmaterial im Anlagekonvolut K 14 stammt aus Juni 2008 (Anlagenkonvolut K 15).

Im Übrigen mag der anhand des Anlagenkonvoluts K 12 ermittelte Anstieg der Orderzahlen zwischen März und September 2006 für die Öltankerflotte eine Grundtendenz anzeigen. Offen ist aber, ob und in welchem prognoserelevanten Ausmaß sich allgemeine Entwicklungen auf das Segment der Fondschiffe übertragen lassen.

Mangels schlüssigen Vortrags des Musterklägers bedarf es keiner Einholung des von ihm beantragten Sachverständigengutachtens.

bb) Kein Prospektfehler folgt aus dem Umstand, dass der Prospekt auf das Vergleichssegment der Schiffe zwischen 10.000 und 30.000 tdw abstellt und zum „eigentlichen Kernsegment der Fondsschiffe“ zwischen 10.000 bis 15.000 keine (zusätzlichen) Angaben macht. Auch auf Hinweis des Senats hat der Musterläger nicht dargelegt, warum es sachfremd oder unvertretbar sein soll, dass im Prospekt ausschließlich die Schiffsklassen ohne weitere Unterdifferenzierungen betrachtet werden, die nach der Marktstudie (Anlage B 1) in einem direkten Wettbewerb mit den Fondsschiffen stehen. Dass im Prospekt das Vergleichssegment entgegen der damals herrschenden Verkehrsauffassung gewählt wurde, ist nicht ersichtlich. Unterschiedliche Darstellungsweisen im Prospekt und in Geschäftsberichten (Anlage K 14) belegen keine Irreführung bei Prospektlegung.

cc) Die Frage, ob und inwieweit der Prospekt den Anlageinteressenten darüber hätte aufklären müssen, dass in der Prognose für das Nettokapazitätenwachstum nicht die nach dem 01.04.2006 und bis zum 31.12.2008 bestellten und ausgelieferten Schiffe im Vergleichssegment berücksichtigt sind, ist nicht Gegenstand des Feststellungsziels in der Fassung gemäß Beschluss vom 26.03.2021. Vielmehr wird neuer Streitstoff eingeführt. Die Prospektrüge war weder Gegenstand der Begründung des Musterverfahrensantrags vom 20.02.2017 (Seiten 15 ff.) noch der Begründung des Vorlagebeschlusses mit Schriftsatz vom 04.09.2019 (Seiten 15 ff.). Dort wurde jeweils auf die beiden Unterpunkte des Feststellungsziels in der Fassung vom 26.03.2021 abgestellt. Erstmals im Schriftsatz vom 18.02.2021 hat der Musterkläger beanstandet, dass im Prospekt die nach dem 01.04.2006 erwartbaren Bestellungen für Ablieferungen in den Jahren 2007 und 2008 unberücksichtigt geblieben seien.

3. Feststellungsziel 3.)

Die beantragte Feststellung ist unbegründet. Die aus der Fremdfinanzierung folgenden Risiken werden im Prospekt ausreichend angesprochen. Weitergehende Hinweise sind nicht geschuldet. Dies gilt insbesondere für die „Loan-to-value-Klausel“ (vgl. u.a. OLG München, Beschluss vom 10.12.2018, 13 U 430/​18 – juris, Rn. 58 und OLG München, Beschluss vom 14. Februar 2019 – 13 U 430/​18 –, Rn. 37, juris). Bei der Regelung in Schiffsdarlehensverträgen, dass das Verhältnis zwischen dem aktuellen Schiffswert (dem Besicherungsobjekt) und dem noch nicht getilgten Teil des Darlehensbetrags nicht unter einen bestimmten Wert fallen darf, handelt es sich lediglich um eine Konkretisierung des gesetzlich normierten außerordentlichen Kündigungsrechts des Darlehensgebers in § 490 BGB. Ein eigenständiges Risiko, über das gegenüber einem an einer Unternehmensbeteiligung interessierten Anleger aufzuklären ist, folgt aus der Klausel nicht, zumal sie branchenüblich ist.

4. Feststellungsziel 5.)

Die beantragte Feststellung zur „Anwendbarkeit der Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“ ist gegenstandslos, weil die im Feststellungsziel 5.) in Bezug genommenen Prospektfehler unter Ziffern 1.) bis 3.) nicht vorliegen. Im Übrigen dürfte auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung fehlen, da die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens in ständiger Rechtsprechung geklärt ist.

IV.

Die mit Schriftsatz vom 06.05.2021 beantragten Konkretisierungen, Ergänzungen und (hilfsweise) Erweiterungen des Feststellungsziels zu 2) sowie der Hilfsantrag auf Erweiterung um ein weiteres Feststellungsziel sind zurückzuweisen. Es fehlt an der Sachdienlichkeit bzw. Entscheidungserheblichkeit der (neu) beantragten Feststellungen für die Ausgangsverfahren, da eine Haftung der Musterbeklagten zu 1) bis 4) als Gründungsgesellschafter aus Prospekthaftung im weiteren Sinne nicht in Betracht kommt (s.o. I.).

Selbst wenn dies anders gesehen werden sollte, sind die Anträge des Musterklägers unzulässig: Die Voraussetzungen für eine Konkretisierung des Feststellungsziels 2) um einen weiteren Unterpunkt liegen nicht vor, da der Musterkläger mit dem Unterpunkt zur fehlenden Berücksichtigung der nach dem 01.04.2006 bis Ende 2008 zu erwartenden Schiffsbestellungen neuen Streitstoff einführt (s.o. III.2.b.cc). Die Voraussetzungen für eine Erweiterung gemäß § 15 KapMuG liegen ebenfalls nicht vor. Es fehlt an Vortrag dazu, dass der Punkt Gegenstand einer Vielzahl von Ausgangsverfahren war. Bisher hat der Musterkläger beanstandet, dass (1) im Prospekt vom 28.09.2006 mit veralteten Zahlen aus dem Orderbuch (Stand 01.04.2006) gearbeitet worden sei und zwischenzeitliche Veränderungen unberücksichtigt geblieben seien, und dass (2) im Prospekt das Vergleichssegment zu weit gefasst worden sei. Die fehlende Berücksichtigung von zu erwartenden Bestellungen bis Ende 2008, die im Orderbuch (01.04.2006) nicht erfasst worden seien, hat der Musterkläger erstmals mit Schriftsatz vom 18.02.2021 als „methodischen Fehler“ sowohl des Prospekts als auch der Marktstudie als neuen Unterpunkt in das Verfahren eingeführt. In der Begründung zum Vorlagebeschluss vom 04.09.2019 findet sich diese Argumentation genauso wenig wie im Ausgangsverfahren zum Az. 322 O 555/​16. Ursprünglich wandte sich der Musterkläger gegen eine (bis zur Prospektlegung und Platzierungsphase überholte) „Darstellung“ des Orderbuches bzw. der Wachstumsraten (siehe auch den Musterfahrensantrag im Verfahren 322 OH 2/​17, Bl. 2, 15 ff.; 322 O 555/​16, Bl. 65, 78 ff), nicht aber gegen eine unterlassene „Prognose“ zu zukünftigen Bestellaktivitäten, die vom verfügbaren Orderbuch noch gar nicht erfasst waren.

C.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (§ 16 Abs. 2 KapMuG).

D.

Auf den Antrag der Prozessbevollmächtigten des Musterklägers war auszusprechen, dass ihnen wegen ihres im Vergleich zu dem Aufwand der Vertreter der beigeladenen Kläger geleisteten Mehraufwandes für den Musterkläger eine besondere Gebühr zu bewilligen ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 RVG). Der von den Musterklägervertretern nach Aktenlage höhere Aufwand sowie der Vorteil und die Bedeutung des Musterverfahrens für die beigeladenen Kläger rechtfertigt eine 0,2-Zusatzgebühr.

Die Zusatzgebühr ist einerseits nicht vollständig zu versagen, weil die Musterklägervertreter in einem Ausgangsverfahren eine Vielzahl von Klägern mit einem ganz erheblichen Gesamtvolumen vertreten haben. Der Wortlaut von § 41a Abs. 1 Satz 2 RVG stellt auf den Anteil des Musterklägers (nicht die Beteiligung der Musterklägervertreter) am Gesamtgegenstand des Musterverfahrens ab. Der Wert des Verfahrens des Musterklägers macht nur einen sehr geringen Bruchteil des Gesamtwertes aller ausgesetzten Verfahren aus.

Andererseits war nicht der Höchstsatz einer 0,3 Gebühr anzuerkennen, da der Mehraufwand der Prozessbevollmächtigten des Musterklägers gegenüber dem Aufwand der Vertreter für die beigeladenen Kläger überwiegend dadurch gekennzeichnet war, den im Ausgangsverfahren des Musterklägers geleisteten Vortrag in das streitgegenständliche Musterverfahren zu übertragen.

 

Dr. Lohmann

Richter
am Oberlandesgericht

Dr. Szodruch-Arnold

Richter
am Landgericht

Dr. Leverenz

Richter
am Oberlandesgericht

 

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