Musterentscheid 14 Kap 8/18 CONTI 56. Container Schifffahrts-GmbH & Co. KG MS „CONTI ARABELLA“

Verkündet am 23.12.2021

Simpson, JFAng
Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

Beschluss
Musterentscheid

In der Sache

Dr. Wolfram Wiemann, Steinthalstraße 1, 90455 Nürnberg

– Musterkläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte KWAG, Lofthaus 4, Am Winterhafen 3a, 28217 Bremen, Gz.: 1351/​17/​S91

gegen

1)

CONTI REEDEREI Management GmbH & Co. Konzeptions-KG, vertreten durch d. Komplementärin CONTI REEDEREI Management GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer Shaun Harbison und Josef Obermeier, Bleichenbrücke 10, 20354 Hamburg

– Musterbeklagte –
2)

CONTI CORONA Anlageberatungsgesellschaft mbH & Co. Vertriebs KG, vertreten durch d. Komplementärin CONTI CORONA Anlageberatungsgesellschaft mbH, diese vertreten durch den Geschäftsführer Wolfgang Menzl, Bleichenbrücke 10, 20354 Hamburg

– Musterbeklagte –
3)

NSB Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft mbH & Co. KG, vertreten durch d. Komplementärin Niederelbe Schifffahrtsgesellschaft mbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer Helmut Ponath und Tim Ponath, Hamburger Straße 47-51, 21614 Buxtehude

– Musterbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 – 3:
Rechtsanwälte Weiss, Walter, Fischer-Zernin, Fuhlentwiete 14, 20355 Hamburg, Gz.: 0016/​17/​66

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht – 14. Zivilsenat – durch den Richter am Oberlandesgericht Dr. Lohmann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Leverenz und den Richter am Landgericht Dr. Szodruch-Arnold am 23.12.2021:

1.

Der Antrag des Musterklägers sowie der von den Musterklägervertetern ebenfalls vertretenen Beigeladenen vom 22.9.2021 auf Erweiterung des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 9.11.2018, Az. 316 OH 4/​18, wird zurückgewiesen.

2.

Die Feststellungsanträge zu II.1. bis II.3. des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 9.11.2018, Az. 316 OH 4/​18, in der Fassung des Beschlusses des Senats vom 20.10.2020 werden zurückgewiesen.

3.

Die übrigen Feststellungsanträge des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 9.11.2018, Az. 316 OH 4/​18, in der Fassung des Beschlusses des Senats vom 20.10.2020 sind gegenstandslos.

4.

Den Musterklägervertretern wird die besondere Gebühr nach § 41a RVG mit einem Gebührensatz von 0,2 nach dem Wert der Summe der ausgesetzten Verfahren bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag vom 14.1.2021 zurückgewiesen.

5.

Der Wert sämtlicher ausgesetzter Verfahren beträgt 879.320,00 €.

Gründe:

I.

Der Musterkläger und die Beigeladenen machen in den ausgesetzten Ausgangsverfahren als Anleger des Fonds „MS »CONTI ARABELLA«“ gegen die Musterbeklagten Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung eines fehlerhaften Prospekts und damit einhergehender Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichten nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne geltend. Alleinige Beteiligungsgesellschaft war die „CONTI 56. Container Schifffahrts-GmbH & Co. KG MS »CONTI ARABELLA«“ (im Folgenden: Emittentin). Der Verkaufsprospekt (Anlage KAP 1) ist am 14.11.2007 aufgestellt worden. Die wirtschaftlichen Ergebnisse des Fonds sind hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Die Musterbeklagten waren als Kommanditistinnen Gründungsgesellschafterinnen der Emittentin. Die Musterbeklagten zu 1 und 2 sind jeweils Tochtergesellschaften der CONIT HOLDING GmbH & Co. KG, dem „Dach“ (S. 15 des Prospekts) der CONTI Unternehmensgruppe. Die Musterbeklagte zu 1 wird auf S. 3 des Prospekts unter der Überschrift „Prospektverantwortung und -vollständigkeit“ als Anbieterin des Beteiligungsangebots bezeichnet. Sie übernahm nach den dortigen Angaben die „Verantwortung für den Beteiligungsprospekt“. Die Musterbeklagte zu 2 ist nach S. 14 des Prospekts innerhalb der CONTI Unternehmensgruppe zuständig für „Marketing und Vertrieb von Beteiligungen“, wobei sie für den Fonds „MS »CONTI ARABELLA«“ nach S. 33 mit der Emittentin einen Vertrag über die Einwerbung des Kommanditkapitals abgeschlossen hatte, und fungierte nach S. 34 und 57 des Prospekts als Platzierungsgarantin. Die Musterbeklagte zu 3 übernahm nach S. 20 und 31 des Prospekts für das Fondsschiff die Bereederung und die Bauaufsicht. Nach S. 21 und 59 des Prospekts hält die CONTI Investition Management GmbH & Co. KG, eine Gesellschaft der CONTI Unternehmensgruppe, 45 Prozent der Anteile der Musterbeklagten zu 3.

Auf Grundlage des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 21.08.2018 (Az.: 326 OH 2/​18) sind dem Senat folgende Feststellungsziele vorgelegt worden:

„I.

Hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Beklagten

1.

Die Beklagten sind für den am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufgrund ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflicht sowie der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiten Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB verantwortlich.

2.

Die Beklagten haben bei der Veröffentlichung des am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospektes zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft gehandelt.

3.

Die Beklagten waren verpflichtet, über die unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Punkte im streitgegenständlichen Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufzuklären und haften deshalb wegen Verletzung ihrer vorvertraglichen Aufklärungspflichten.

II.

Hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Emissionsprospektes zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“

Der am 14.11.2007 veröffentlichte Emissionsprospekt zum CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ ist in erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend:

1.

a)

Es wird im Emissionsprospekt auf der Seite 5 fälschlich dargestellt, dass bei Ausübung eines Sonderkündigungsrechts das eingesetzte Kapital sicher zu 100 % zurückgezahlt wird,

b)

es wird im Emissionsprospekt auf der Seite 11 f. das Totalverlustrisiko verharmlost,

2.

die Risiken aus dem volatilen Schiffsmarkt, dessen Besonderheiten, Entwicklungen und Perspektiven, insbesondere im Hinblick auf die absehbare Übertonnage werden im Prospekt nicht hinreichend dargestellt,

3.

die Volatilität von Charterraten und Secondhand-Preisen von Schiffen werden im Prospekt nicht hinreichend dargestellt, mithin auch nicht die damit einhergehenden Risiken,

4.

auf die zahlreichen risikoerhöhenden Umstände im Zusammenhang mit dem Containerschiffsmarkt (über Jahre potenziertes Wachstum einer Übertonnage, Kaskadeneffekt, Wegfall des Kartellsystems) wird nicht hingewiesen,

5.

im Hinblick auf das aktuelle und das zukünftig absehbare Marktumfeld zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe, werden im Prospekt die prognostizierten Erträge unvertretbar hoch angesetzt,

6.

es erfolgt kein Hinweis darauf, dass das Schiff zu einem Zeitpunkt gekauft wurde, in dem ex tunc betrachtet historische Höchstpreise herrschten,

7.

im Hinblick auf die Begutachtung des Schiffes werden die Anleger getäuscht,

8.

die zahlreichen Risiken im Zusammenhang mit den Fremdfinanzierungen werden nicht hinreichend deutlich dargestellt, insbesondere die Loan-to-Value-Klausel und die 105%-Klausel nicht erwähnt,

9.

es werden werthaltige Platzierungsgarantien vorgetäuscht,

10.

die Sensitivitätsanalysen sind insgesamt wegen unrealistisch niedrig angesetzter Abweichungen irreführend, insbesondere ist das im Prospekt abgedruckte Szenario mit niedrigeren Charterraten dahingehend irreführend, als dass die parallel sinkenden Secondhand-Preise nicht berücksichtigt wurden und zum anderen, im Hinblick auf die Volatilität der Charterraten, die für die Beispielsrechnung in Ansatz gebrachten Charterraten zu hoch angesetzt wurden,

11.

auf das Risiko der Majorisierung wird nicht hingewiesen,

12.

die stark eingeschränkte Fungibilität wird aktiv verharmlost,

13.

die Risiken und Besonderheiten der Poolbeschäftigung werden unzureichend dargestellt,

14.

es erfolgt kein Hinweis auf die mögliche Inanspruchnahme der Fondsgesellschaft durch Dritte,

15.

das Risiko der Rückforderbarkeit von Ausschüttungen gem. §§ 30, 31 GmbHG wird nicht erwähnt.“

Mit Schriftsätzen vom 19.12.2019 und 24.08.2020 hat der Musterkläger eine teils „konkretisierende“ und teils „erweiternde“ Neufassung des Vorlagebeschlusses beantragt. Der Senat hat diesbezüglich unter teilweiser Zurückweisung der Erweiterungsanträge mit Beschluss vom 20.10.2020 den Vorlagebeschluss des Landgerichts Hamburg wie folgt gefasst:

„I.

Es wird festgestellt, dass der am 14.11.2007 veröffentlichte Emissionsprospekt zur CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ in folgenden erheblichen Punkten unrichtig, unvollständig und irreführend ist:

1.

a)

Es wird im Emissionsprospekt auf Seite 5 mit der Formulierung „Es besteht ein Sonderkündigungsrecht zum 31.12.2027 mit Rückzahlung von 100 % der Beteiligung“ fälschlich dargestellt, dass bei Ausübung eines Sonderkündigungsrechts das eingesetzte Kapital sicher zu 100 % zurückgezahlt wird;

b)

es wird im Emissionsprospekt auf den Seiten 11 f. mit der Formulierung „Sofern der Eintritt mehrerer Risiken zusammentrifft, können sie anlagegefährdend sein, d.h., es kann bei Verlust der Gesellschaftermittel zur vorzeitigen Auflösung der Beteiligungsgesellschaft kommen“, das Totalverlustrisiko verharmlost;

2.

die Risiken aus dem volatilen Schiffsmarkt, dessen Besonderheiten, Entwicklungen und Perspektiven, insbesondere im Hinblick auf die absehbare Übertonnage werden im Prospekt nicht hinreichend dargestellt, namentlich

a)

fehlt es im Emissionsprospekt an einer Darstellung der extremen Auswirkungen von Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage auf die Höhe des Charterratenniveaus, mithin der Höhe der zu erzielenden Charterraten,

b)

wird im Emissionsprospekt verheimlicht, dass Charterraten für die Dauer einer mindestens 20jährigen Fondslaufzeit rechnerisch unkalkulierbar sind,

c)

fehlt es im Emissionsprospekt an einer Darstellung der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe bereits eine Übertonnage im Containerschiffsbereich bestand und aufgrund neu auf den Markt drängender Schiffe diese weiterwachsen musste;

3.

es fehlt im Emissionsprospekt an einer Darstellung der Tatsache, dass die volatilen Durchschnittscharterraten für Containerschiffe direkten Einfluss auf die Secondhand-Preise von Containerschiffen haben, diese also ebenfalls sehr volatil schwanken;

4.

auf die zahlreichen risikoerhöhenden Umstände im Zusammenhang mit dem Containerschiffsmarkt wird nicht hingewiesen, namentlich

a)

fehlt es im Emissionsprospekt an einer Darstellung des sog. Kaskadeneffektes als risikoerhöhendem Umstand, sprich der Darstellung von Existenz und Folgen daraus, dass aufgrund größenbedingter Preisvorteile für den Transport eines Containers bei größeren Schiffen, kleinere Schiffe aus ihren bis dahin vordergründig bedienten Fahrtgebieten in andere, regelmäßig weniger lukrative Fahrtgebiete verdrängt werden,

b)

fehlt es im Emissionsprospekt an einer Darstellung des Transshipment-Effektes als risikoerhöhendem Umstand, sprich den Auswirkungen auf die Anzahl der benötigten Schiffe und die Höhe des Container-Umschlags durch das „Umsteigen“ von Containern von größeren auf kleinere Schiffe (oder umgekehrt),

c)

wird im Emissionsprospekt die Tatsache verschwiegen, dass durch die zum Zeitpunkt der Prospekterstellung beschlossene Abschaffung der Gruppenfreistellungsverordnung für Linienkonferenzen im Seefrachtverkehr (EWG Nr. 4056/​86), zum 18.10.2008 der Preisdruck auf die Charterraten weiterwachsen musste;

5.

im Hinblick auf das aktuelle und zukünftig absehbare Marktumfeld zum Zeitpunkt der Prospektherausgabe werden im Emissionsprospekt die prognostizierten Charterraten unvertretbar hoch angesetzt;

6.

es erfolgt kein Hinweis darauf, dass das Schiff zu einem Zeitpunkt gekauft wurde, in dem ex tunc betrachtet historische Höchstpreise herrschten;

7.

durch die Angaben zur Erstellung eines Gutachtens über die Technik und Angemessenheit des Baupreises des Schiffes auf S. 5, 18 und 26 des Emissionsprospekts wird suggeriert, dass ein Sachverständiger das Schiff besichtigt hat, was tatsächlich nicht der Fall war;

8.

Im Emissionsprospekt fehlt es im Rahmen der Darstellung von Risiken der Fremdfinanzierungen der Fondsschiffe

a)

an einer Darstellung, dass im Fremdfinanzierungsvertrag eine sog. Loan-to-Value-Klausel vereinbart wurde, was bedeutet, dass dann, wenn der aktuelle Wert des Schiffes den vertraglich vereinbarten Wert unterschreitet, die Bank neue Sicherheiten oder Sondertilgungen verlangen kann,

b)

an einer Darstellung, dass im Fremdfinanzierungsvertrag eine sog. 105%-Klausel vereinbart wurde, was bedeutet, dass die finanzierende Bank bei einer wechselkursbedingten Überschreitung des Kreditlimits um mehr als 5 % die Rückführung des Kredits auf das Limit verlangen kann,

c)

an einer Darstellung, dass durch Basel II, sprich den EU-Richtlinien 2006/​48 und 2006/​49 bei einer Änderung der Einnahmen (= Charterraten) oder Ausgaben (= Betriebskosten) eines Schiffes sich das Kreditausfallrisiko verändert, die Bank mehr Eigenkapital unterlegen muss, was dazu führt, dass die Bank dieses Risiko durch höhere Zinsen einpreisen muss;

9.

auf den Seiten 34 und 57 des Emissionsprospektes wird irreführend mit werthaltigen Platzierungsgarantien geworben, obwohl die Platzierungsgarantin wirtschaftlich nicht in der Lage war, Gesellschaftermittel i.H.v. insgesamt 23,1 Mio. Euro aufzubringen;

10.

die im Emissionsprospekt abgedruckten Sensitivitätsanalysen auf den Seiten 50-51 sind wegen unrealistisch niedrig angegebener Abweichungen gegenüber den Prognosen, der separaten Darstellung der Parameter „Charterraten“ und „Verkaufserlöse“ und eines fehlenden Hinweises auf die Schwankungsbreite der Charterraten in der Vergangenheit irreführend;

11.

es erfolgt im Emissionsprospekt kein Hinweis auf das Risiko einer Majorisierung von Stimmrechten;

12.

trotz nur eingeschränkter Fungibilität der Kommanditanteile wird dem Anleger auf Seite 15 des Emissionsprospekts mit der Aussage „[…] bietet mit dem CONTI-Zweitmarkt einen umfassenden Service, der den koordinierten und systematischen Handel von CONTI-Beteiligungen ermöglicht“ suggeriert, dass ein geregelter Zweitmarkt bestünde;

13.

der Emissionsprospekt klärt nicht über die Risiken und vertraglichen Verpflichtungen einer Poolbeschäftigung des Fondsschiffes auf;

14.

über das Risiko einer möglichen Inanspruchnahme der Fondsgesellschaft durch Dritte klärt der Emissionsprospekt nicht auf, namentlich nicht darüber, dass bei einer möglichen Insolvenz des Charterers eines Fondsschiffes die Gläubiger dieses Charterers berechtigt sind, die Fondsgesellschaft selbst für Ansprüche gegen den Charterer in Anspruch zu nehmen und ein Fondsschiff dafür zu arrestieren;

15.

das Risiko der Rückforderbarkeit von Ausschüttungen gem. §§ 30, 31 GmbHG wird im Emissionsprospekt nicht erwähnt.

16.

es wird auf Seite 17 im Emissionsprospekt mit der Abbildung eines Charterratencharts zwischen September 2002 und September 2007 irreführend ein Durchschnittswert abgebildet, der erheblich über dem langjährigen Durchschnitt liegt, da das historische Hoch der Jahre 2004 und 2005 den Durchschnitt irreführend nach oben verfälscht;

17.

die auf Seite 20 des Emissionsprospektes ab dem Jahr 2010 kalkulierte Steigerung von Schiffsbetriebskosten von nur 3 % p.a. ist unvertretbar niedrig kalkuliert.

II.

Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagten zu 1 bis 3

1.

für den am 14.11.2017 veröffentlichten Emissionsprospekt zur CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ als Gründungsgesellschafter aufgrund der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 und 3 BGB verantwortlich sind;

2.

bei der Veröffentlichung des am 14.11.2017 veröffentlichten Emissionsprospekts zur CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufgrund der unter Ziffer I. festgestellten Prospektfehlerhaftigkeit nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne schuldhaft ihre vertraglichen Aufklärungspflichten verletzt haben;

3.

verpflichtet waren, über die in Ziffer I. festgestellten unrichtigen, unvollständigen und irreführenden Punkte im streitgegenständlichen Emissionsprospekt zur CONTI 56. Container Schifffahrts GmbH & Co. KG „CONTI ARABELLA“ aufzuklären und deshalb wegen Verletzung ihrer Aufklärungspflichten haften.“

Mit Schriftsatz vom 22.9.2021 haben der Musterkläger sowie die weiteren von den Musterklägervertretern vertretenen Beigeladenen die Erweiterung des Vorlagebeschlusses um folgendes Feststellungsziel beantragt:

„Mangels Darstellung aussagekräftiger Orderbuchzahlen zu weltweiten Containerschiffsbestellungen im Emissionsprospekt ist es nicht möglich, das konkrete Wachstum an Tonnage und die daraus resultierende weiterwachsende Übertonnage zu erkennen.“

Im Verlauf des Verfahrens ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Auswirkungen der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.1.2021 (XI ZB 35/​18 – juris) zur Frage, ob eine Haftung von Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann, und darauf aufbauender weiterer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf das Musterverfahren gegeben worden. Insofern hat der Musterkläger zum einen vorgetragen, dass die Haftung der Musterbeklagten ausweislich der Feststellungsziele nicht auf die Verwendung des fehlerhaften Prospekts als solche gestützt werde, sondern auf die fehlende „,mündliche Aufklärung, respektive Richtigstellung der mangelhaften Prospektaussagen“, die über § 1 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 KapMuG den Anwendungsbereich des KapMuG eröffne. Dass diese „weitergehende Haftung“ geltend gemacht werde, ergebe sich „unmissverständlich“ aus Ziff. I.3. des Vorlagebeschlusses (= Ziff. II.3. der Neufassung vom 20.10.2020). Zum anderen meint der Musterkläger, dass die Musterbeklagten zu 2 und 3 keine Prospektveranlasser seien und dass die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs nicht überzeuge.

Mit Schriftsatz vom 14.01.2021 haben die Musterklägervertreter die Bewilligung der besonderen Gebühr nach § 41a RVG mit einem Gebührensatz von 0,3 nach dem Wert der Summe der ausgesetzten Verfahren beantragt.

II.

1.

Einleitend sieht sich der Senat mit Blick auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 6.7.2021 (XI ZB 27/​19) zu der Klarstellung veranlasst, dass der Beschluss des Senats vom 20.10.2020 den Vorlagebeschluss des Landgerichts nicht in dem Sinne (vollständig) ersetzt, dass seither der Senatsbeschluss alleinige Entscheidungsgrundlage des Musterverfahrens wäre. Es handelt sich bei dem Beschluss vom 20.10.2020 im Wesentlichen lediglich um eine teilweise sprachliche Neufassung des Vorlagebeschlusses, mit der dem prozessualen Bestimmtheitsgebot Rechnung getragen werden soll. Daneben ist der Vorlagebeschluss nach § 15 KapMuG um weitere Feststellungsziele erweitert worden.

2.

Zu Ziff. II des Vorlagebeschlusses in der Fassung des Senatsbeschlusses vom 20.10.2020

Die in Ziff. II des Vorlagebeschlusses in der Fassung des Senatsbeschlusses vom 20.10.2020 enthaltenen Feststellungsziele sind wegen des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung als unbegründet zurückzuweisen.

a)

Durch die genannten Feststellungsziele soll eine Haftung der Musterbeklagten nach den Grundsätzen der „Prospekthaftung im weiteren Sinne“ durch Verwenden eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden (und nicht etwa, wie der Musterkläger zuletzt gemeint hat, mit einer daneben existierenden Aufklärungspflicht, unrichtige Prospektangaben (später) von sich aus richtigzustellen).

Dies kommt bei den Feststellungszielen II.1. und II.2. bereits in ihrer Formulierung eindeutig zum Ausdruck. Anknüpfungspunkt ist jeweils ein Handeln bei „Veröffentlichung“ des „Emissionsprospekts“. Im Feststellungsziel II.1. geht es um die Passivlegitimation der Musterbeklagten für eine Haftung „für den am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospekt (…) nach den Grundsätzen der uneigentlichen Prospekthaftung im weiteren Sinne“, im Feststellungsziel II.2. um das Verschulden „bei der Veröffentlichung des am 14.11.2007 veröffentlichten Emissionsprospekts“. Aber auch in Feststellungsziel II.3. geht es um die Haftung für den Inhalt des Prospekts. Das Feststellungsziel ist im Einklang mit den Feststellungszielen II.1. und II.2. so auszulegen, dass auch die im Feststellungsziel II.3. angesprochene Aufklärungspflicht(-verletzung) nur in der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Verkaufsprospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung bestehen kann. Hierzu passend heißt es in der landgerichtlichen Begründung des Vorlagebeschlusses, dass die „Antragsteller ihre Klagen (…) damit begründen, dass die den Anlegern übergebenen Unterlagen falsch, unvollständig und irreführend seien“. Auch hat der Musterkläger selbst bei der Begründung der Feststellungsziele im Schriftsatz vom 19.12.2019 zum Feststellungsziel II.3. (Bl. 181 dA) argumentiert, dass die Musterbeklagten eine „vorvertragliche Aufklärung“ über alle „wesentlichen“, den Anlageentschluss beeinflussenden Tatsachen schuldeten und sich „zu diesem Zweck“ der Aufklärung „durch den streitgegenständlichen Emissionsprospekt bedient“. Eine Aufklärungspflichtverletzung ergebe sich insofern aus dem Umstand, dass der Prospekt „unrichtig, unvollständig und irreführend“ sei. Zum Feststellungsziel II.1. hatte der Musterkläger dementsprechend formuliert, dass sich die Musterbeklagten „zur Erfüllung (der) Aufklärung des Prospekts bedient (haben)“ und insofern die Auffassung vertreten, dass die Musterbeklagten „sich den Inhalt des Prospektes anstelle des gesprochenen Wortes zurechnen lassen“ müssten (Bl. 179 dA).

Im Übrigen sind Feststellungsziele so auszulegen, dass ein prozessual zulässiges Ergebnis erreicht wird. Feststellungen zu einem Schadensersatzanspruch, der nicht an eine falsche, irreführende oder unterlassene öffentliche Kapitalmarktinformation als Mittel der schriftlichen Aufklärung anknüpft, wären im Kapitalanleger-Musterverfahren unstatthaft (BGH, Beschluss vom 12.10.2021, XI ZB 26/​19 Rn. 20).

b)

Eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung – hier gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung – verdrängt (BGH, Beschluss vom 12.10.2021, XI ZB 26/​19 Rn. 21 m. Nachw. zu weiterer Rspr.).

aa)

Die Musterbeklagte zu 1 ist Prospektverantwortliche nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF, da sie im Prospekt als Prospektverantwortliche genannt wird.

bb)

Die Musterbeklagten zu 2 und 3 sind verantwortlich nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Davon sind die Personen und Unternehmen erfasst, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind; Veranlasser ist, wer hinter dem Emittenten steht und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluss ausübt. Von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes ist unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist (zum Vorstehenden insgesamt BGH, Beschluss vom 19.01.2021, XI ZB 35/​18 – juris Rn. 24).

Wie der Bundesgerichtshof zuletzt entschieden hat, reicht bereits die Stellung als Gründungsgesellschafter der Beteiligungsgesellschaft für die Verantwortlichkeit nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF aus (BGH, Beschluss vom 12.10.2021, XI ZB 26/​19 Rn. 23).

Im vorliegenden Verfahren kommen weitere erhebliche Aspekte hinzu, die eine Verantwortlichkeit der genannten Musterbeklagten für den Prospekt begründen:

Die Musterbeklagte zu 2 war als Schwestergesellschaft der Musterbeklagten zu 1 für das Marketing und den Vertrieb der Beteiligung verantwortlich. Außerdem fungierte sie als Platzierungsgarantin.

Auch die Musterbeklagte zu 3 war über eine Beteiligung CONTI Investition Management GmbH & Co. KG in die CONTI Unternehmensgruppe eingebunden. Außerdem übernahm sie die Bereederung und die Bauaufsicht für das Fondsschiff.

3.

Zu Ziff. I des Vorlagebeschlusses in der Fassung des Senatsbeschlusses vom 20.10.2020

Die Feststellungsziele I.1. bis I.17. des Vorlagebeschlusses in der Fassung des Senatsbeschlusses vom 20.10.2020 sind gegenstandslos.

Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, XI ZB 35/​18 – juris Rn. 30).

Der Vorlagebeschluss ist – wie bereits ausgeführt – dahin auszulegen, dass Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen. Eine solche Haftung der Musterbeklagten ist aber – wie dargestellt – aus Rechtsgründen nicht gegeben, sodass es auf Feststellungen zu Prospektfehlern sowie zu weiteren Einzelfragen der Haftung und des Schadens nicht ankommt.

4.

Der Erweiterungsantrag des Musterklägers sowie der weiteren von den Musterklägervertretern vertrenenen Beigeladenen vom 22.9.2021 ist zurückzuweisen. Da das Feststellungsziel, mit dem ein Prospektfehler festgestellt werden soll, aus den unter Ziff. II.3. dargelegten Gründen ebenfalls gegenstandslos wäre, besteht für eine Erweiterung bereits kein Rechtsschutzbedürfnis.

5.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (§ 16 Abs. 2 KapMuG).

6.

Auf den Antrag der Musterklägervertreter war auszusprechen, dass ihnen wegen ihres im Vergleich zu dem Aufwand der Vertreter der beigeladenen Kläger geleisteten Mehraufwandes für den Musterkläger eine besondere Gebühr zu bewilligen ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 RVG). Der von den Musterklägervertretern nach Aktenlage höhere Aufwand sowie der Vorteil und die Bedeutung des Musterverfahrens für die beigeladenen Kläger rechtfertigt eine 0,2-Zusatzgebühr. Die Zusatzgebühr ist einerseits nicht vollständig zu versagen, weil die Musterklägervertreter in den Ausgangsverfahren sämtliche Kläger vertreten haben. Der Wortlaut von § 41a Abs. 1 Satz 2 RVG stellt auf den Anteil des Musterklägers (nicht die Beteiligung der Musterklägervertreter) am Gesamtgegenstand des Musterverfahrens ab. Andererseits war nicht der Höchstsatz einer 0,3 Gebühr anzuerkennen, da der Mehraufwand der Musterklägervertreter in erheblicher Weise dadurch gekennzeichnet war, den im Ausgangsverfahren des Musterklägers geleisteten Vortrag – in natürlich tiefer gehender Weise – in das streitgegenständliche Musterverfahren zu übertragen.

 

Dr. Lohmann

Richter
am Oberlandesgericht

Dr. Leverenz

Richter
am Oberlandesgericht

Dr. Szodruch-Arnold

Richter
am Landgericht

 

 

 

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