Nach 738 Tagen voller Angst, Ungewissheit und Hoffen hat das Warten ein Ende: Zwanzig Menschen, verschleppt von der Hamas am 7. Oktober 2023, sind wieder frei. Sie wurden in einem Moment aus ihrem Leben gerissen – und kehren nun zurück in eine Welt, die für sie nicht mehr dieselbe ist. Ihre Familien, die monatelang nicht wussten, ob sie jemals wieder in die Arme schließen dürfen, erleben nun das Unvorstellbare: ein Wiedersehen – zwischen Erleichterung, Tränen und tiefster Erschöpfung.
Unter den Freigelassenen sind Gali und Siv Berman, 28-jährige Zwillingsbrüder und auch deutsche Staatsbürger. Sie wurden aus dem Kibbuz Kfar Asar entführt, einem Ort, der am Tag des Angriffs in unvorstellbarer Brutalität erschüttert wurde. Über zwei Jahre waren die Brüder getrennt, überlebten die Geiselhaft unabhängig voneinander – nun feiern sie ihre Freiheit gemeinsam, in den Trikots ihres Lieblingsvereins Maccabi Tel Aviv.
Auch Matan Zangauker, 25 Jahre alt, wurde in die Freiheit entlassen. Seine Mutter Einav war eine der sichtbarsten Stimmen der Geiselangehörigen. Ihr Wiedersehen, dokumentiert in einem berührenden Video, ist eines jener Bilder, die in Erinnerung bleiben: „Mein Leben, mein Leben“, wiederholt sie unter Tränen, während sie ihren Sohn umarmt, als wolle sie ihn nie wieder loslassen.
Brüder, Söhne, Freunde: ein Netzwerk der Rückkehr
Die Brüder Ariel und David Cunio, gemeinsam mit ihren Angehörigen aus dem Kibbuz Nir Os verschleppt, sind nun wieder vereint. Ihre Töchter, die schon früher freikamen, warten nun nicht mehr vergeblich auf ihre Väter. David, ein Schauspieler, war Thema eines Dokumentarfilms – jetzt schreibt er seine Geschichte selbst weiter.
Eitan Horn, verschleppt beim Besuch seines Bruders in Nir Os, ist ebenso zurück wie Omri Miran, der vor den Augen seiner kleinen Töchter aus dem Kibbuz Nahal Os entführt wurde. Sein Vater kämpfte unermüdlich in Tel Aviv für seine Freilassung – und die so vieler anderer.
Auch junge Soldaten kehrten zurück: Nimrod Cohen, der bei Ausbruch des Angriffs Wache hielt, überlebte als einziger seiner Panzereinheit. Matan Angrest, schwer verletzt und unter entsetzlichen Bedingungen gefangen, wurde von Kameraden empfangen. Ihre Mütter, zentrale Stimmen im Protest der Angehörigen, erleben nun eine stille Erleichterung.
Die Schatten des Supernova-Festivals
Viele Rückkehrer stammen vom Supernova-Festival – einem Ort der Musik, der zum Massengrab wurde. Guy Gilboa-Dalal und Eviatar David, beste Freunde, litten lange gemeinsam in Geiselhaft. Alon Ohel, der Pianist, der verletzt in einen Schutzraum gezerrt wurde, gab erst nach 500 Tagen ein Lebenszeichen. Auch Avinatan Or, dessen Partnerin Noa Argamani früher befreit wurde, kehrte nun heim.
Bar Kuperstein und Eitan Mor hatten als Sicherheitskräfte Menschenleben geschützt – und wurden selbst verschleppt. Mor wurde nun von seiner Familie in die Arme geschlossen, sein Vater, nach einem Schlaganfall wieder zu Sprache und Kraft gekommen, empfing ihn auf eigenen Beinen.
Rom Braslavski, ebenfalls Sicherheitskraft und deutsch-israelischer Doppelstaatsbürger, ist zurück. In den Wochen zuvor hatte ein Video sein abgemagertes Gesicht gezeigt – nun zeigt sich sein Lächeln wieder.
Josef-Chaim Ohana, einst Barkeeper in Tel Aviv, appellierte in einem Video: „Ein ganzes Land will, dass dieser Albtraum aufhört.“ Jetzt ist er Teil eines Erwachens.
Elkana Bohbot, Veranstalter der Supernova-Party, Vater eines kleinen Sohnes, war einer der Letzten, von dem es Lebenszeichen gab. Seine Familie bereitet nun ein Fest vor – ein zartes, vorsichtiges Willkommen zurück ins Leben.
Ein Licht inmitten der Dunkelheit
Mit ihnen kehrten auch Maxim Herkin und Segev Kalfon zurück. Herkin, aus der Ukraine nach Israel geflüchtet, hat eine kleine Tochter. Kalfon, ein Student mit großen Träumen, wurde erst im Februar durch Erzählungen Mitgefangener zum ersten Mal wieder erwähnt.
Diese Rückkehrer sind keine Sieger, keine Helden im klassischen Sinn – sie sind Überlebende. Ihre Freiheit ist kostbar, fragil, emotional überwältigend. Ihre Geschichten stehen stellvertretend für Hunderte Familien, deren Leid kaum in Worte zu fassen ist.
Was bleibt, ist Hoffnung. Hoffnung, dass diese Rückkehr nicht nur das Ende eines Martyriums ist – sondern der Anfang eines neuen Weges. Ein Weg zurück ins Leben.
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