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Wirtschaft unter Druck: Sozialstaat vor Herausforderungen

geralt (CC0), Pixabay
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Die wirtschaftliche Lage in Deutschland bereitet zunehmend Sorge: Die Zahl der Arbeitslosen ist im August erstmals seit über zehn Jahren wieder über die Marke von drei Millionen gestiegen. Gleichzeitig mehren sich Anzeichen einer strukturellen Schwäche der deutschen Volkswirtschaft – trotz Rekordsteuereinnahmen.

Wirtschaft stagniert, Rezession hält an

Die deutsche Wirtschaft schrumpfte im zweiten Quartal 2025 um 0,3 Prozent, während andere Industrienationen – wie die USA – im selben Zeitraum ein Wachstum von drei Prozent verzeichneten. Deutschland befindet sich nun im dritten Jahr in Folge in einer Rezession, was als historisch beispiellos gilt.

Auch die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist im Juli im Jahresvergleich um knapp 20 Prozent gestiegen. Gleichzeitig nimmt die Inflation wieder leicht zu und lag im August bei 2,2 Prozent, nach 2,0 Prozent im Juli.

Sozialausgaben steigen – Reformbedarf wächst

Rund 38 Prozent des aktuellen Bundeshaushalts (503 Milliarden Euro) fließen in den Etat des Arbeits- und Sozialministeriums. Weitere 30 Milliarden Euro sind für Zinszahlungen auf die Staatsverschuldung vorgesehen. Damit entfallen zusammengenommen über 40 Prozent des Haushalts auf Sozialleistungen und Schuldendienste – ohne Investitionen in Infrastruktur wie Schulen oder Verkehr.

Angesichts dieser Entwicklung forderte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einem Parteitag einen grundlegenden Kurswechsel: „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse.“ Man müsse den Sozialstaat „finanzierbar und zukunftsfest“ gestalten.

Reformvorschläge auf dem Tisch

Die Bundesregierung plant im Herbst eine Reihe von Reformen:

  • Bürgergeld: Die Rückkehr zu strengeren Sanktionsregeln wird diskutiert.

  • Rentenpolitik: Die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent bis 2031 sowie neue Anreize für längeres Arbeiten sind geplant. Gleichzeitig soll die sogenannte Aktivrente – ein steuerfreier Zuverdienst im Alter – ermöglicht werden.

  • Gesundheit und Pflege: Expertenkommissionen sollen Empfehlungen zur Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung erarbeiten. Defizite von mehreren Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren erwartet.

Sozialquote auf Rekordniveau

Die Sozialleistungsquote – also der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt – liegt mit derzeit über 31 Prozent auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten. Zum Vergleich: 1990 lag sie bei rund 24 Prozent.

Auch die Sozialabgabenlast für Arbeitnehmer und Arbeitgeber nimmt zu. Die Gesamtbelastung durch Beiträge zur Rente, Pflege, Gesundheit und Arbeitslosenversicherung liegt derzeit bei 42,5 Prozent, mit einem prognostizierten Anstieg auf fast 50 Prozent bis 2035.

Wettbewerbsfähigkeit leidet

Ein weiteres Problem: Die Lohnstückkosten – also die Produktionskosten je Arbeitseinheit – sind in Deutschland im internationalen Vergleich besonders hoch. Im Jahr 2024 lagen sie um durchschnittlich 18 Prozent über dem globalen Durchschnitt.

Zahlreiche Ökonomen warnen daher vor einem Rückgang der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Der Beirat des Wirtschaftsministeriums spricht in einem aktuellen Gutachten von einer „langfristigen Schwächung der makroökonomischen Entwicklung“ bei gleichbleibend hohen sozialen Verpflichtungen.

Steuereinnahmen steigen, aber reichen nicht aus

Trotz Rekordeinnahmen des Staates – für 2026 werden erstmals über eine Billion Euro erwartet – wachsen die Sozialausgaben noch schneller. Das führt laut Finanzministerium zu erheblichen Finanzierungslücken in künftigen Haushalten. Für 2027 wird mit einem Defizit von 30 Milliarden Euro, für 2028 sogar mit 60 Milliarden Euro gerechnet.

Fazit: Reformen nötig – Umsetzung ungewiss

Die Bundesregierung steht vor der Aufgabe, den Sozialstaat zu sichern und gleichzeitig die Wirtschaft zu entlasten. Zwar wurden zahlreiche Reformansätze angekündigt, doch viele Vorhaben hängen derzeit in Kommissionen fest – oder sind auf Jahre vertagt. Ob Union und SPD in der Lage sind, vor der nächsten Bundestagswahl noch substantielle Strukturreformen umzusetzen, bleibt abzuwarten.

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