Enttäuschung, Identifikation und die Schattenseiten der Fanliebe
Nach dem Hören der wohl umstrittensten Songs – „Wood“, „CANCELLED!“ und „Actually Romantic“ – von Taylor Swifts neuem Album The Life of a Showgirl wollten viele Fans am liebsten abschalten.
Selbst wer sich nie als „Swiftie“ bezeichnet hat, kennt Swifts Werdegang: vom Country-Teenager mit Songs wie You Belong With Me und Love Story, über ihre introspektiven Lockdown-Alben folklore und evermore, bis zur Pop-Ikone, die Stadien füllt. Dass dieselbe Künstlerin, die einst Zeilen wie „I think your house is haunted / Your dad is always mad and that must be why“ schrieb, nun Texte über „Girlbosses“ und Internet-Slang liefert, irritiert viele.
Auf Social Media überschlagen sich die Reaktionen: „Er (Travis Kelce) hätte ein besserer Muse sein müssen,“ kommentierte jemand auf X. Andere behaupteten, Swift habe „ihren Biss verloren“. Magazine wie The New Yorker und Slate sprachen gar von einem „Meisterwerk des Fremdschams“.
Doch jenseits der Musik- und Textkritik steckt hinter der Enttäuschung vieler Fans etwas Tieferes: das Gefühl, von Taylor Swift persönlich betrogen worden zu sein.
Zwischen Fankultur und Fantasie-Freundschaft
Die Popkünstlerin hat über Jahre hinweg eine intime Beziehung zu ihrem Publikum aufgebaut – und damit die Grenzen zwischen Künstlerin und Zuhörenden verwischt. In der sogenannten „Stan Culture“ entstehen parasoziale Beziehungen: das Gefühl, eine echte Freundschaft mit einer Person zu führen, die man eigentlich gar nicht kennt.
Wenn Swift nun etwas tut oder sagt, das nicht zum idealisierten Bild passt, reagieren Fans empört – als hätte eine Freundin sie enttäuscht.
„Taylor Swift hat die treuesten Fans – und die treuesten Hater“, schrieb ein Nutzer auf Instagram.
„Jedes ihrer Alben wurde anfangs gehasst, bis es später geliebt wurde.“
„Sie hätten sie sowieso kritisiert“
Kaeli Dance, 26-jährige Content Creatorin und Swift-Fan, erklärte im Gespräch mit USA Today:
„Viele Fans sind enttäuscht – aber sie wären es so oder so gewesen. Es ist einfach etwas, das ihnen fremd vorkommt.“
Swift sei längst nicht die erste Künstlerin, die für Veränderung kritisiert wird. Auch die Arctic Monkeys wurden nach jeder musikalischen Neuausrichtung gescholten, bevor ihre Alben als Meisterwerke galten. Olivia Rodrigo bekam Gegenwind, als sie von Balladen (SOUR) zu lautem Pop-Rock (GUTS) wechselte – und wurde schließlich für genau diesen Mut gefeiert.
Wenn die Kunst zu nah wird
Für viele Fans ist Swifts Musik zum Soundtrack ihres Lebens geworden – ihre Lieder begleiten Liebeskummer, Erfolge und Neuanfänge. Kein Wunder also, dass sie glauben, die Künstlerin wirklich zu kennen.
Nach der Bekanntgabe von Swifts Verlobung etwa schrieben viele online:
„Ich bin so glücklich, gleichzeitig mit meiner besten Freundin Taylor verlobt zu sein.“
Dance erklärt:
„Die Idee von Taylor Swift ist inzwischen größer als die echte Person. Fans haben ein eigenes Bild von ihr erschaffen – und sind schockiert, wenn sie davon abweicht. In Wahrheit kennen nur sehr wenige Menschen sie wirklich.“
Fazit
The Life of a Showgirl ist für viele Swifties weniger ein Album als ein Realitätsschock: Es erinnert sie daran, dass Taylor Swift nicht ihre beste Freundin, sondern eine Künstlerin ist – eine, die sich weiterentwickelt, auch wenn das unbequem ist.
Oder, wie ein Fan auf X resigniert schrieb:
„Ich wollte, dass Taylor mich versteht. Stattdessen hat sie sich selbst neu erfunden.“
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