„Attraktive Zinsen, aber auch ernsthafte Risiken – was Anleger über das Crowdinvesting in ‚Grohgasse 10‘ wissen sollten“
Redaktion: Herr Reime, das Projekt „Grohgasse 10“ in Wien wird derzeit aktiv über eine Crowdinvesting-Plattform beworben. Anleger sollen mit 10,75 % Fixzinsen p.a. gelockt werden. Wie bewerten Sie dieses Angebot?
RA Jens Reime: Die Zinsversprechen sind ohne Zweifel attraktiv – allerdings auch ein Hinweis auf das zugrunde liegende Risiko. Crowdinvesting in Immobilien erfolgt regelmäßig in Form eines qualifizierten Nachrangdarlehens, wie auch hier. Das bedeutet: Im Falle einer Insolvenz des Projektträgers verlieren die Anleger mit großer Wahrscheinlichkeit ihr gesamtes eingesetztes Kapital.
Redaktion: Das klingt drastisch. Aber das Projekt scheint doch weit fortgeschritten zu sein. Der Rohbau ist fertig, 62 % der Einheiten verkauft.
RA Jens Reime: Das ist grundsätzlich positiv, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in der Schlussphase noch vieles schiefgehen kann. Der Verkauf der letzten Wohnungen kann sich verzögern, Baukosten können steigen, Käufer können abspringen. Und bei einem qualifizierten Nachrangdarlehen haben Anleger keine Besicherung, kein Mitspracherecht und stehen im Insolvenzfall ganz am Ende der Gläubigerliste.
Redaktion: Was genau bedeutet eigentlich „qualifiziert nachrangig“ für den Anleger?
RA Jens Reime: Das ist ein juristisch klar definierter Begriff: Die Forderungen des Anlegers werden nachrangig bedient – also erst, wenn alle anderen Gläubiger befriedigt wurden. Und das „qualifiziert“ bedeutet zusätzlich, dass auch bei einer wirtschaftlichen Schieflage schon keine Rückzahlung mehr erfolgen muss, nicht erst bei Insolvenz.
Redaktion: Der Projektträger – die VABENE Holding GmbH – verweist auf frühere Erfolge, z. B. das Projekt „Semperstraße 47“. Ist das nicht ein positives Signal?
RA Jens Reime: Referenzprojekte können Vertrauen schaffen – keine Frage. Aber sie bieten keine Garantie für den Projekterfolg im Einzelfall. Jeder Immobilienmarkt ist zyklisch, und wir befinden uns aktuell in einem Umfeld mit steigenden Bauzinsen, Inflation und zurückhaltender Kaufkraft. Ein gut laufendes Vorprojekt schützt Anleger nicht vor einem Verlust in einem Folgeprojekt.
Redaktion: Es gibt auch einen „Inflationsbonus“ von 1 % – was halten Sie davon?
RA Jens Reime: Ein Inflationsbonus ist kosmetisch interessant, aber für das Gesamtrisiko letztlich unerheblich. Anleger sollten sich fragen: Bin ich bereit, mein gesamtes eingesetztes Kapital zu verlieren – ja oder nein? Wenn die Antwort nein lautet, ist ein Nachrangdarlehen keine geeignete Anlageform.
Redaktion: Was raten Sie Anlegern grundsätzlich bei Crowdinvesting?
RA Jens Reime: Erstens: Nur mit Geld investieren, dessen Verlust Sie verkraften können. Zweitens: Den Emittenten und das Projekt genau prüfen – nicht nur das Marketing. Drittens: Risiken wie Totalverlust, Nachrangigkeit und fehlende Besicherung immer ernst nehmen. Und viertens: Lassen Sie sich nicht allein von Zinsen blenden – hohe Rendite bedeutet auch hohes Risiko.
Redaktion: Vielen Dank, Herr Reime, für die klare Einschätzung.
RA Jens Reime: Sehr gern. Aufklärung ist gerade im Crowdinvesting-Bereich unerlässlich.
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