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Timmermanstr. 7 Hamburg GmbH & Co. KG (EXPORO) Vorlagebeschluss

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Landgericht Hamburg

Az.: 314 OH 3/​25

Beschluss

In der Sache

Steffen Heinold, Meisenweg 16, 97990 Weikersheim

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Witt Rechtsanwälte PartG mbB, Schlierseestraße 30, 81539 München, Gz.: 2022/​0232-/​TP-CW

gegen

1) Exporo AG, vertreten durch d. Vorstandsvorsitzenden Simon Brunke, Am Sandtorkai 70, 20457 Hamburg

– Antragsgegnerin –

2) Exporo Forderunghändler II GmbH, vertreten durch d. Geschäftsführer Dr. Björn Maronde, Am Sandtorkai 70, 20457 Hamburg

– Antragsgegnerin –

Prozessbevollmächtigte zu 1 und 2:
Rechtsanwälte Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek, Magnusstraße 13, 50672 Köln, Gz.: 50006-23/​5177

beschließt das Landgericht Hamburg – Zivilkammer 14 – durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. Oertzen, die Richterin am Landgericht Jörgensen und die Richterin am Landgericht Dr. Wack am 24.04.2025:

I. Dem Hanseatischen Oberlandesgericht werden gemäß § 6 Abs. 1 KapMuG (in der bis zum 19.07.2024 geltenden Fassung) zum Zwecke der Herbeiführung eines Musterentscheids folgende Feststellungsziele vorgelegt:

1. Es wird festgestellt, dass die Informationsunterlage gemäß der Anlage MK 1 mit der Bezeichnung Exposé zum Projekt Am Hamburger Stadtpark und dem Stand 07.03.2019 für die Vermögensanlage mit der Bezeichnung Am Hamburger Stadtpark in den nachfolgenden Punkten irreführend, falsch und unvollständig ist:

a) Die Angaben über eine erstrangige Grundschuld über 2,38 Mio. Euro auf den Seiten 3, 4 und 5 der Informationsunterlage sind irreführend und unvollständig, da sie nicht mit Hinweisen darauf verbunden wurden, dass die Grundschuld aufgrund der durch die Erwerberin des Grundstücks bereits gezahlten Kaufpreisraten im Sinne von § 3 MaBV und einer im Hinblick auf § 3 MaBV gegenüber der Grundschuld bereits eingetragenen Löschungsvormerkung zugunsten der Erwerberin schon vor dem 07.03.2019 nur noch eine Sicherheit für einen Wert von 680.000,00 Euro darstellte und auch diesen Wert durch weitere Kaufpreisraten planmäßig vollständig verlieren werde.

b) Die Angabe auf der Seite 5 der Informationsunterlage, nach der die erstrangige Grundschuld über 2,38 Mio. Euro von der Elbtreuhand Service GmbH als Treuhänder zugunsten der Exporo-Anleger gehalten werden sollte, ist irreführend und falsch, da die Grundschuld schon vor dem 07.03.2019 für die Finanzloge AG bestellt worden war und schon vor dem 07.03.2019 festgestanden hatte, dass die Grundschuld auch weiterhin von der Finanzloge AG gehalten und insbesondere nicht auf die Elbtreuhand Service GmbH übertragen werden würde.

c) Die Angabe auf der Seite 5 der Informationsunterlage, nach der ein abstraktes Schuldanerkenntnis des Geschäftsführers der Komplementärin der Darlehensnehmerin in Darlehenshöhe zugunsten der Exporo-Anleger von der Elbtreuhand Service GmbH als Treuhänder zugunsten der Exporo-Anleger gehalten werden sollte, ist irreführend und falsch, da schon vor dem 07.03.2019 festgestanden hatte, dass das Schuldanerkenntnis von der Finanzloge AG und nicht von der Elbtreuhand Service GmbH gehalten würde.

d) Die Angaben in der Informationsunterlage sind unvollständig, da sie keine Hinweise auf die Möglichkeit von Interessenkonflikten enthalten, die sich dadurch ergeben könnten, dass die erstrangige Grundschuld über 2,38 Mio. Euro und das abstrakte Schuldanerkenntnis des Geschäftsführers der Komplementärin der Darlehensnehmerin in Darlehenshöhe einerseits von der Finanzloge AG gehalten werden und andererseits

• die Finanzloge AG sowie ihre Vorstände mit dem Geschäftsführer der Komplementärin der Darlehensnehmerin seit spätestens 2016 eine enge und dauerhafte Geschäftsbeziehung pflegten,

• der Aufsichtsratsvorsitzende der Finanzloge AG das Projekt Am Hamburger Stadtpark mit einem Darlehen über 4,0 Mio. Euro vorfinanziert hatte, von dem bis zum 07.03.2019 nicht mehr als 1,0 Mio. Euro zurückgezahlt waren, und

• sich die Finanzloge AG schon vor 2017 als Beraterin in einer engen und dauerhaften Geschäftsbeziehung mit der Person befand, die als wirtschaftlicher Berechtigter hinter der Käuferin/​Erwerberin des Grundstücks stand.

e) Die Angaben auf der Seite 7 der Informationsunterlage zu der Finanzierungsstruktur sind irreführend, falsch und unvollständig, da sie keine Hinweise darauf enthalten, dass auf dem Projekt auch ein Darlehen über 4,0 Mio. Euro lastete, von dem bis 07.03.2019 nicht mehr als 1,0 Mio. Euro zurückgeführt worden waren.

f) Die Angaben auf der Seite 7 der Informationsunterlage zu der Finanzierungsstruktur sind irreführend, falsch und unvollständig, da sie keine Hinweise darauf enthalten, dass das für die Finanzierung der Gesamtinvestitionskosten ausgewiesene weitere Fremdkapital von 1,0 Mio. Euro mit den Darlehen der Anlegerinnen und Anleger der Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark zurückgeführt werden sollte.

g) Die Angaben auf den Seiten 3, 4 und 7 der Informationsunterlage dazu, dass bereits ein Globalverkauf des Projekts zu einem Kaufpreis von 6,83 Mio. Euro erfolgt war und daraus die Rückführung der Darlehen von den Anlegerinnen und Anlegern erfolgen soll, sind irreführend, falsch und unvollständig, da sie nicht mit Hinweisen verbunden sind, dass nach den Verhältnissen am 07.03.2019 und spätestens seit dem 01.01.2019 die aus dem Kaufvertrag zur Verfügung stehenden 6,83 Mio. Euro nicht ausreichen konnten, um die Kosten für den Erwerb des Grundstücks, die Planung des Bauvorhabens, die Baumaßnahmen und die Finanzierung abzudecken.

h) Die Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark auf der Seite 3 dieser Informationsunterlage in die Exporo Klasse A eingeordnet wurde, obwohl die Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark die von der Musterbeklagten zu 1) bei einer ordnungsgemäßen Anwendung der für die Ermittlung der Exporo Klasse angewendeten und veröffentlichten Kriterien zu der Einordnung in eine schlechtere Exporo Klasse führen.

2. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) als Anlagevermittlerin der Vermögensanlage mit der Bezeichnung Am Hamburger Stadtpark verpflichtet war, alle Anlegerinnen und Anleger dieser Vermögensanlage vor deren Anlageentscheidung über alle Umstände aufzuklären, die von wesentlicher Bedeutung für die Anlageentscheidung sein konnten.

3. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) die gemäß Ziffer 1. a) bis h) irreführenden, falschen und unvollständigen Angaben in der Informationsunterlage gemäß der Anlage MK 1 mit der Bezeichnung Exposé zum Projekt Am Hamburger Stadtpark zu vertreten hat.

4. Es wird festgestellt, dass das Vermögensanlagen-Informationsblatt gemäß der Anlage MK 2 für die Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark mit dem Stand 18.02.2019 in den folgenden Punkten irreführend und unrichtig ist:

a) Die Angaben in dem Vermögensanlagen-Informationsblatt in dem Kasten „Anlagepolitik“ sind irreführend, da bei der Darstellung der von der Emittentin vorgesehenen Finanzierungsmittel ein Darlehen über 4,0 Mio. Euro, von dem bis 07.03.2019 nicht mehr als 1,0 Mio. Euro zurückgeführt worden waren, nicht berücksichtigt ist.

b) Die Angaben in dem Vermögensanlagen-Informationsblatt in dem Kasten „Anlagepolitik“ sind irreführend, da bei der Darstellung der von der Emittentin vorgesehenen Finanzierungsmittel ein Darlehen von 1,0 Mio. Euro, berücksichtigt wurde, obwohl dieses mit den Darlehen der Anlegerinnen und Anleger der Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark zurückgeführt werden sollte.

c) Die Angaben in dem Vermögensanlagen-Informationsblatt in dem Kasten „Beschreibung der Vermögensanlage“ sind unrichtig, da sie eine Freigabe durch die Elbtreuhand Service GmbH als Voraussetzung für die Auszahlung des Darlehens an die Emittentin darstellen, obwohl die Auszahlung des Darlehens zu keinem Zeitpunkt an eine solche Voraussetzung gebunden war.

5. Es wird festgestellt, dass eine Haftung der Musterbeklagten zu 2) für die irreführenden oder unrichtigen Angaben im Vermögensanlagen-Informationsblatt nach § 22 Abs. 1a VermAnlG keinen Nachweis der Kausalität der irreführenden oder unrichtigen Angaben für den Erwerb der Vermögensanlage durch die Anlegerin oder den Anleger voraussetzt.

6. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) durch die Verbreitung der Informationsunterlage gemäß der Anlage MK 1 mit der Bezeichnung Exposé zum Projekt Am Hamburger Stadtpark und des Vermögensanlagen-Informationsblatts gemäß der Anlage MK 2 für die Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark über ihre Internetplattform irreführende Informationen im Sinne des § 14 Abs. 1 FinVermV zugänglich gemacht und damit gegen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verstoßen hat.

7. Es wird festgestellt, dass die Musterbeklagte zu 1) die Verbreitung der gemäß Ziffer 1. a) bis h) irreführenden und unvollständigen Angaben in der Informationsunterlage gemäß der Anlage MK 1 mit der Bezeichnung Exposé zum Projekt Am Hamburger Stadtpark und der irreführenden und unredlichen Angaben in dem Vermögensanlagen-Informationsblatt gemäß der Anlage MK 2 für die Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark mit dem Stand 18.02.2019 im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 14 Abs. 1 FinVermV zu vertreten hat.

8. Es wird festgestellt, dass sich die Musterbeklagte zu 2) das Verhalten der Musterbeklagten zu 1) bei der Anbahnung von Verträgen mit Anlegerinnen und Anlegern zum Erwerb der Vermögensanlage Am Hamburger Stadtpark zurechnen lassen muss.

II. Dieser Vorlagebeschluss ist gemäß § 6 Abs. 4 KapMuG im Klageregister öffentlich zu machen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller der diesem Vorlagebeschluss zugrundeliegenden Musterverfahrensanträge nehmen die Antragsgegnerinnen auf Schadenersatz wegen Verwendung eines fehlerhaften Exposés und Vermögensanlageninformationsblatts in Anspruch. Sie stützen ihre Ansprüche hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1) als Vermittlerin auf § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 311 Abs. 1, 241 Abs. 1 BGB; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 Abs. 1 FinVermV, hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 2) als Anbieterin der Kapitalanlage auf § 22 Abs. 1 i.V.m. Abs. 1 a VermAnlG.

Bei der streitgegenständlichen Kapitalanlage handelt es sich um eine anteilige Darlehensforderung. Im Rahmen einer Crowdfinanzierung konnten sich Anleger am Immobilienprojekt „Am Hamburger Stadtpark“ beteiligen, indem sie anteilige Darlehensforderungen der das Projekt finanzierenden Bank gegen die Projektgesellschaft erwarben.

Grundlage für den Vertrieb des Projekts waren das Exposé mit Stand vom 07.03.2019 sowie das Vermögensanlagen-Informationsblatt mit Stand vom 18.02.2019.

Die Antragsteller tragen vor, das Exposé vom 07.03.2019 sei fehlerhaft, weil es in erheblichen Punkten, unrichtig, unvollständig und irreführend sei und die in den beantragten Feststellungszielen im Einzelnen aufgeführten Mängel aufweise.

Die Antragsteller sind der Ansicht, die Antragsgegnerinnen hafteten ihnen gegenüber wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten. Im Falle einer Aufklärung über die tatsächlichen Zusammenhänge hätten die Antragsteller von einer Investition Abstand genommen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung der Musterverfahrensanträge Bezug genommen.

Die Antragsgegnerinnen sind der Auffassung, die Anträge seien – von der gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 KapMuG für die Entscheidung zuständigen Kammer – als unzulässig zu verwerfen, da die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhänge, § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG.

Dies folge daraus, dass eine Haftung der Beklagten gemäß § 22 VermAnlG nur in Betracht komme, wenn die Angaben im streitgegenständlichen Vermögensinformationsblatt für die Anlageentscheidung der Antragsteller ausschlaggebend gewesen wären.

Da es auf die Angaben im Exposé nicht ankomme, seien die Feststellungsziele 1.a) bis h) sowie Ziffer 3.) des Musterverfahrensantrags nicht feststellungsfähig und der Antrag somit unzulässig.

Da die Antragspartei nicht behaupte, dass die Angaben im Vermögensinformationsblatt für ihre Anlageentscheidung kausal geworden seien, komme es auf etwaige hierin enthaltene Fehler nicht an. Im Übrigen enthalte das Vermögensinformationsblatt die erforderlichen Angaben gemäß §§ 13 und 14 VermAnlG in der bis zum 15.07.2019 geltenden Fassung. Eine Anwendung der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekthaftung scheide wegen des Spezialgesetzcharakters dieser Regelung aus.

Da die Beklagte zu 1), deren Rolle sich auf die einer Internet-Dienstleistungsplattform beschränkt habe, die Aufklärung anhand des Vermögensinformationsblatts vorgenommen habe, scheide auch ihre Haftung aus. Sie träfen keine weitergehenden Aufklärungspflichten als die Beklagte zu 2) als Anbieterin.

Von den unter Ziffer 4.) formulierten Feststellungszielen könne die Entscheidung des Rechtsstreits bereits deshalb nicht abhängen, weil in der Sache keine „irreführenden“ bzw. „unrichtigen“ Angaben geltend gemacht würden, sondern deren Unvollständigkeit.

Soweit schließlich im Ausgangsverfahren der klägerische Anspruch auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 FinVermV gestützt werde, handele es sich nicht um einen musterverfahrensfähigen Anspruch. Die Entscheidung hänge deshalb nur dann von den geltend gemachten Feststellungszielen ab, wenn das Prozessgericht zur Überzeugung gelangt sei, dass die nichtmusterverfahrensfähige Anspruchsbegründung nicht trage.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in den Ausgangsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Maßgebend ist vorliegend gemäß § 30 Abs. 2 KapMuG in der seit dem 20.07.2024 geltenden Fassung das KapMuG in seiner bis einschließlich 19. Juli 2024 geltenden Fassung (im Folgenden KapMuG a.F.), da das Musterverfahren aus einem vor dem 20. Juli 2024 gestellten Musterverfahrensantrag herrührt.

b) Das Landgericht Hamburg ist für die Entscheidung über den Vorlagebeschluss nach § 6 Abs. 2 KapMuG a.F. zuständig, weil beim Landgericht Hamburg der erste Musterverfahrensantrag gestellt worden ist und im Klageregister nach dem KapMuG keine anderen und früheren Anträge veröffentlicht sind.

Die Zivilkammer 14 ist innerhalb des Landgerichts Hamburg für den Vorlagebeschluss zuständig, da der erste bekannt gemachte Musterverfahrensantrag (314 O 75/​22) bei der Zivilkammer 14 am 16.05.2024 eingegangen ist.

Hinsichtlich der Besetzung der Kammer ist auf § 75 GVG zu verweisen. Die §§ 348, 348a ZPO gelten nur für das Erkenntnisverfahren und finden auf das Vorlageverfahren keine (entsprechende) Anwendung, vgl. dazu Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage 2014, § 6 Rn. 48).

Es sind bislang zehn gleichgerichtete Musterverfahrensanträge in den folgenden Ausgangsverfahren anhängig. Von einer Bekanntmachung der Musterverfahrensanträge im Klageregister wurde abgesehen, da bereits zeitnah zehn Musterverfahrensanträge vorlagen.

314 O 75/​22 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 76/​22 (Musterverfahrensantrag Eingang 17.05.2024)

314 O 77/​22 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 85/​23 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 86/​23 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 163/​23 (Musterverfahrensantrag Eingang 22.05.2024)

314 O 21/​24 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 31/​24 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 32/​24 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

314 O 44/​24 (Musterverfahrensantrag Eingang 16.05.2024)

c) Der Musterverfahrensantrag ist statthaft, denn die von den jeweiligen Antragstellern geltend gemachten Anträge fallen in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG a.F. Nach § 1 Abs. 1 ist der Anwendungsbereich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten eröffnet, in denen ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation (Nr. 1) bzw. wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist (Nr. 2), eröffnet. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 KapMuG a.F. sind öffentliche Kapitalmarktinformationen insbesondere Angaben in Vermögensanlagen-Informationsblättern.

Bei dem Exposé handelt es sich – da es nach Inhalt und Aufmachung für eine Vielzahl potentieller Kapitalanleger bestimmt ist – ebenfalls um eine öffentliche Kapitalmarktinformation im Sinne von § 1 Abs. 2 KapMuG (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 – X ARZ 578/​13 -, Rn. 17, juris).

Die Antragsteller stützen ihre Ansprüche auf die Rechtsprechungsgrundsätze zur Prospekthaftung im weiteren Sinne (§§ 311 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB). Die in Bezug genommene vorvertragliche Aufklärungspflicht wird in den Gesetzesmaterialien ausdrücklich als geeigneter Anwendungsfall von § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG a.F. genannt, vgl. BT-Drucks. 17/​299, S. 16.

d) Die Voraussetzungen von § 2 KapMuG a.F. liegen vor. Insbesondere besteht eine Bedeutung über den vorliegenden Rechtsstreit hinaus im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 2 KapMuG a.F.

e) Hinsichtlich der Feststellungsziele sind die Anforderungen des § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG a.F. an den Musterfeststellungsantrag erfüllt. Gemäß § 2 Abs. 3 S. 1 KapMuG a.F. muss der Musterfeststellungsantrag die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben. An die Erfüllung dieser formalen Voraussetzungen dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Unzulässigkeit des Antrags wegen Missachtung von § 2 Abs. 3 KapMuG a.F. ist daher nur dann zu bejahen, wenn der Antrag entweder hierzu überhaupt keine Angaben enthält oder auch durch Auslegung nicht erkennbar ist, welche tatsächlichen Umstände und/​oder Beweismittel nach Ansicht des Antragstellers für welches Feststellungsziel von Relevanz sein sollen (vgl. Kölner Kommentar zum KapMuG a.F., 2. Auflage 2014, § 2 Rn. 84). Hinsichtlich der Feststellungsziele enthält der Antrag Angaben zu den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Umständen, außerdem werden die Beweismittel bezeichnet, derer sich die Antragsteller zum Nachweis ihrer Behauptungen bedienen wollen.

Soweit der Antrag von unredlichen Angaben spricht, war dieser Antrag entsprechend der angeführten Begründungen dahingehend auszulegen, dass die Informationen falsch sind oder aber im Zusammenhang mit der Behauptung irreführender Behauptungen keine eigene weitere Bedeutung hat.

Die Voraussetzungen einer Verwerfung des Antrags als unzulässig nach § 3 Abs. 1 KapMuG a. F. liegen nicht vor. Das Prozessgericht verwirft den Musterverfahrensantrag durch unanfechtbaren Beschluss lediglich dann gemäß § 3 Abs. 1 KapMuG als unzulässig, soweit die Entscheidung des zugrunde liegenden Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt, die angegebenen Beweismittel zum Beweis der geltend gemachten Feststellungsziele ungeeignet sind, nicht dargelegt ist, dass eine Bedeutung für andere Rechtsstreitigkeiten gegeben ist oder der Musterverfahrensantrag zum Zwecke der Prozessverschleppung gestellt ist.

aa) Der Antrag ist im vorliegenden Fall nicht gemäß § 3 Abs. 3 KapMuG a.F. deswegen unzulässig, weil die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtsstreits im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 1 KapMuG a.F. nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhinge. Für die Zulässigkeit des Musterverfahrensantrags genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Entscheidung des zugrundeliegenden Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängen kann. Die für den Erfolg der Klage darüber hinaus maßgeblichen tatsächlichen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfragen müssen nicht abschließend geklärt sein. Entscheidungsreife im Übrigen ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung des Musterverfahrens. Die Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen kann nach Abschluss des Musterverfahrens erfolgen (vgl. LG Frankfurt, Beschluss vom 27.09.2013, 2-12 OH 4/​13, zitiert nach juris, Rn. 32 f.; Kruis in: Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage, 2014, § 3 Rn. 40).

bb) Soweit die Beklagten geltend machen, dass eine Haftung insbesondere der Beklagten zu 2) allenfalls nach § 22 VermAnlG in Betracht komme, wenn die Angaben im streitgegenständlichen Vermögensinformationsblatt für die Anlageentscheidung der Klagepartei ausschlaggebend gewesen wären, folgt hieraus bereits deswegen nicht die Unzulässigkeit des Antrags, weil vonseiten der Antragsteller geltend gemacht wird, dass die Fehlerhaftigkeit sowohl des Exposés als auch des Vermögensanlagen-Informationsblatts kausal für die Investition gewesen sei.

Ob das Vermögensinformationsblatt die erforderlichen Angaben gemäß §§ 13 und 14 VermAnlG in der bis zum 15.07.2019 geltenden Fassung enthält und ein Anspruch aus Prospekthaftung im weiteren Sinne wegen des Vorrangs spezialrechtlicher Normen ausscheidet, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit. Soweit die Beklagten aus § 22 VermAnlG sowie dem Fehlen einer Prospektpflicht für die streitgegenständliche Vermögensanlage die Unerheblichkeit des Exposés herleiten wollen, können sie damit nicht durchdringen.

Zwar sollen Ansprüche wegen eines fehlerhaften Vermögensanlagen-Informationsblatts aus allgemein-zivilrechtlicher Prospekthaftung von § 22 VermAnlG verdrängt werden (Assmann in: Assmann/​Schlitt/​von Kopp-Colomb, Prospektrecht Kommentar, § 22 VermAnlG Haftung bei unrichtigem oder fehlendem Vermögensanlagen-Informationsblatt, Rn. 50). Zum einen wird vertreten, dass dies nicht für die allgemein zivilrechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinne gelte (Habersack/​Mülbert/​Schlitt KapMarktInfo-HdB/​Habersack, 3. Aufl. 2020, § 28 Rn. 76, beck-online; vgl. auch Assmann in: Assmann/​Schlitt/​von Kopp-Colomb, Prospektrecht Kommentar, 4. Auflage 2022, § 22 VermAnlG, Rn. 51, juris). Zum anderen würde sich dies nicht auf eine etwaige Haftung der Vermittlerin aufgrund der Verwendung des Exposés erstrecken.

cc) Soweit die Antragsgegnerinnen einwenden, dass aufgrund der Geltendmachung von Ansprüchen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 FinVermV gegen die Antragsgegnerin zu 1) eine Entscheidungserheblichkeit nur dann angenommen werden könne, wenn das Prozessgericht zur der Überzeugung gelange, dass die nichtmusterverfahrensfähige Anspruchsbegründung das Klagebegehren nicht trägt, ist ein entsprechender Fall der fehlenden Entscheidungserheblichkeit vorliegend nicht gegeben. Hier werden nach Auffassung des Gerichts keine nichtmusterverfahrensfähigen Ansprüche geltend gemacht.

2. Dieser Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar, §§ 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.

Dr. Oertzen
Vorsitzende Richterin am Landgericht
Jörgensen
Richterin am Landgericht
Dr. Wack
Richterin am Landgericht

 

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