Steigende Inflation: Gekommen, um vorerst zu bleiben

(BaFinJournal) Dass Preise für die Regulierung von Versicherungsschäden steigen, ist für Schaden- und Unfallversicherer nicht neu. Doch durch die aktuell sehr hohe Inflation geraten die Unternehmen unter Zugzwang. Die BaFin beobachtet sehr genau, wie sie die gestiegene Schadeninflation unter den Vorgaben des Handelsgesetzbuchs und Solvency II berücksichtigen.

Die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und die pandemiebedingt nach wie vor bestehenden Störungen der Lieferketten haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Inflation in den vergangenen Monaten lange ungekannte Höhen erreicht hat. Im November 2022 lag sie gemäß der ersten Schätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) knapp im zweistelligen Prozentbereich. Die EZB rechnet für das kommende Jahr für den Euro mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 5,5 Prozent, also fast dem Dreifachen ihres mittelfristigen Inflationsziels von zwei Prozent. Verschiedene Faktoren deuten zudem darauf hin, dass sich die Inflation womöglich auch längerfristig auf einem höheren Niveau, insbesondere oberhalb des Inflationsziels der EZB, bewegen könnte. Hier können Faktoren wie die De-Globalisierung oder der demografische Wandel genannt werden, der zu einem systematischen Rückgang der Anzahl der Erwerbstätigen mit einhergehenden dauerhaft steigenden Lohnentwicklungen führen kann. Versicherer sollten sich daher bis auf Weiteres auf höhere Inflationsraten einstellen und dabei auch die Dynamik der Inflationsentwicklungen beobachten.

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) begleitet diesen Prozess und thematisiert mit den Versicherungsunternehmen die notwendigen Anpassungsschritte in Aufsichtsgesprächen, Dialogen mit Wirtschaftsprüfern und Vor-Ort-Prüfungen.

Schadeninflation wird für Versicherer relevanter

Die derzeit und möglicherweise länger andauernden hohen Inflationsraten haben insbesondere auf die Schaden- und Unfallversicherung eine große Auswirkung. Es hat sich gezeigt, dass die Schadeninflation (siehe hierzu auch Kasten „Schadeninflation“) für einige wichtige Versicherungszweige in der Vergangenheit tendenziell über der üblichen monetären Inflation (Consumer Price Index Inflation) lag. So ist beispielswiese der in der Gebäudeversicherung wichtige Baupreisindex in den letzten 15 Jahren durchschnittlich jährlich um fast 3,5 Prozent gestiegen1. Für die vergangenen sieben Jahre lag die durchschnittliche jährliche Steigerung bei fast 4,5 Prozent. In diesem Jahr verzeichnete der Baupreisindex sogar einen Anstieg von annähernd 15 Prozent,O was zugleich den stärksten Anstieg seit 50 Jahren bedeutet. Die Haftpflichtschäden sind über einen längeren Zeitraum stärker gestiegen als die monetäre Inflation . Die Zahlen sollen vor allem eines verdeutlichen: Schadeninflation ist kein neues Thema für die Schaden-und Unfall Versicherer, aber ein Thema, das immer bedeutender wird.

Die steigende, anhaltend hohe Schadeninflation betrifft zwar grundsätzlich alle Sparten der Schaden- und Unfallversicherung. Es sind jedoch unterschiedliche Auswirkungen zu erwarten. Ein erheblicher Anstieg der Schadenaufwendungen ist insbesondere in den Sparten naheliegend, in denen von einer längeren Abwicklungsdauer auszugehen ist und reale Sachschäden zu begleichen sind bzw. eine Neuwertentschädigung vereinbart wurde.

Auf einen Blick:Schadeninflation

Die Schadeninflation orientiert sich in erster Linie an dem Preisniveau für Güter und Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Regulierung von möglichen Versicherungsschäden. Eine etwas konkretere Definition charakterisiert die Schadeninflation als inflationsbedingte Veränderung des Schadenaufwandes eines bestimmten Versicherungsbestandes über einen bestimmten, in der Regel einjährigen Zeitraum. Bei der Schadeninflation spielen damit neben Preissteigerungen von beispielsweise Materialkosten oder Reparaturkosten, Lohnsteigerungen (beispielsweise für Schadengutachter), die Kosten der medizinischen Versorgung im Zuge des medizinischen Fortschritts, welche insbesondere bei Personenschäden relevant sind, oder Änderungen in der Rechtsprechung eine wichtige Rolle.

Geeignete Maßnahmen sollen der steigenden Schadeninflation entgegenwirken

Die Schaden- und Unfallversicherer müssen die Schadenentwicklung im Hinblick auf die künftige Schadenerwartung vor allem auch bei der Tarifierung berücksichtigen. Die Anpassung der Reserven aufgrund der Inflation führt zwangsläufig dazu, dass die Auskömmlichkeit der Prämienhöhe zu überprüfen ist. Das gilt sowohl für den Bestand als auch für das Neugeschäft. Da die Inflation die Versicherungszweige in unterschiedlichem Maße trifft, ist hier entsprechend der Betroffenheit der einzelnen Segmente vorzugehen. Einen einheitlichen Anpassungssatz für das gesamte Versicherungsgeschäft oder eine Sparte wie die Schaden-/Unfallversicherung kann es demgemäß nicht geben. Zudem werden die Versicherungsunternehmen die bisherige Ertragslage in den einzelnen Zweigen genau analysieren und in Betracht ziehen müssen. Vielfach werden Versicherer danach allerdings nicht umhinkommen, die Beiträge deutlich anzuheben, um nicht in die Verlustzone zu rutschen. Es wird diesbezüglich darauf hingewiesen, dass im Fall von Untertarifierungen ebenfalls die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus dem Versicherungsgeschäft zu prüfen ist, wodurch prognostizierte Verluste frühzeitig bilanziert werden.

Neben der Anpassung von Beiträgen sollten die Versicherer auch weitere Steuerungsmaßnahmen prüfen um den adversen Effekten einer steigenden und langandauernden Schadeninflation proaktiv zu begegnen. Mögliche Steuerungsmaßnahmen könnten zum Beispiel in einer Anpassung der Rückversicherungsstrategie, in vertraglichen Anpassungen beispielsweise von Versicherungssummen oder auch in der Absicherung von Inflationsrisiken über Kapitalanlageinstrumente bestehen.

Solvency II: Inflation ist explizit und angemessen zu berücksichtigen

Bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellung unter Solvency II geht schon aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz (§ 84 Abs. 1 S. 2 VAG) und aus der Delegierten Verordnung eindeutig hervor, dass die Inflation explizit und angemessen zu berücksichtigen ist.

Die steigenden Schadenaufwendungen führen in der Regel zu einer Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen. Die BaFin erwartet hierbei, dass die Unternehmen für den anstehenden Jahresabschluss genau prüfen, welche Auswirkungen die hohe Schadeninflation und insbesondere der jüngste Inflationsanstieg auf ihre versicherungstechnischen Rückstellungen und die Solvenzsituation unter Solvency II hat. Die angemessene Berücksichtigung der Schadeninflation spielt dabei insbesondere für die Berechnung des Besten Schätzwertes der Schadenrückstellungen eine wichtige Rolle.

Auf einen Blick:Wichtige Solvency-II-Kennzahlen und ihre Bedeutung

Unter Solvency II ergeben sich die Eigenmittel – vereinfacht ausgedrückt – als Differenz zwischen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten.

Die Verbindlichkeiten von Versicherungsunternehmen bestehen im Wesentlichen aus den versicherungstechnischen Rückstellungen. Diese werden unter Solvency II in der Regel als Summe aus einem Besten Schätzwert und einer Risikomarge berechnet.
Der Beste Schätzwert ist die Summe aller unter realistischen Annahmen geschätzten zukünftigen wahrscheinlichkeitsgewichteten und diskontierten Zahlungsströme, denen das Versicherungsunternehmen ausgesetzt ist. In der Nicht-Lebensversicherung besteht der Beste Schätzwert aus einer Prämien- und einer Schadenrückstellung.

Die Schadenrückstellung deckt bereits eingetretene Versicherungsfälle ab, die der Versicherer jedoch noch nicht abgewickelt hat. Die Prämienrückstellung deckt künftige Versicherungsfälle ab, die aus dem zum Bilanzstichtag vorhandenen Versicherungsbestand resultieren.

Die Risikomarge entspricht der Risikoprämie, die ein sachkundiger Investor zur Übernahme und Abwicklung des Versicherungsbestandes verlangen würde.

Externe Daten gewinnen an Bedeutung

Zur Messung der Schadeninflation und Ableitung geeigneter Inflationsannahmen gewinnen – neben den üblicherweise verwendeten internen Daten zur Bestimmung des Besten Schätzwertes der Schadenrückstellung – geeignete externe makroökonomische Daten erheblich an Bedeutung. Dabei kann die spartenspezifische Schadeninflation zum Beispiel durch geeignete Inflationsindizes näherungsweise geschätzt werden: Die Schadeninflation in der Wohngebäudeversicherung könnte etwa durch den bereits erwähnten Gebäudepreisindex, Personenschäden könnten durch den harmonisierten Verbraucherpreisindex (HPVI) Gesundheit, Kfz-Sachschäden durch den Reparaturkostenindex näherungsweise ermittelt werden, dies um nur ein paar mögliche Beispiele zu nennen. Zur Ableitung der spartenspezifischen unternehmensindividuellen Schadeninflation, die dann in die Berechnung des Besten Schätzwertes der Schadenrückstellung eingeht, ist jedoch vor allem auch das Zusammenspiel der internen mit den externen Daten entscheidend. Dies erfordert insbesondere, dass die betrachtete Entwicklung der externen Inflationsindizes nicht pauschal 1:1 als Schadeninflationsannahme übernommen wird. Vielmehr ist sie vorher auf Repräsentativität für den eigenen Versicherungsbestand zu prüfen und gegebenenfalls durch eine plausible Expertenschätzung anzupassen. Dabei sollten unter anderem Aspekte wie die unternehmensindividuelle Zusammensetzung der Schäden berücksichtigt werden.

Schadeninflation: Der enge Austausch im Reservierungsprozess ist wichtig

Im Reservierungsprozess gewinnt zur angemessenen Abbildung der Schadeninflation in den Schadenrückstellungen unter Solvency II der intensive Austausch zwischen verschiedenen Abteilungen im Unternehmen weiter an Bedeutung. So ist hier vor allem der Austausch zwischen den Aktuaren in der Reservierung und den Schadensachbearbeitern wichtig, um insbesondere Fragen zu klären, inwieweit Inflationseffekte in der Einzelschadenreservierung bereits ausreichend berücksichtigt werden oder wann sich Inflationseffekte zeitlich genau realisieren, etwa zum Meldezeitpunkt des Schadens oder erst bei der Auszahlung. Ebenso ist der Austausch zwischen den Aktuaren in der Reservierung und den Aktuaren im Pricing wichtig, gerade bei Verwendung von Reservierungsverfahren, die Prämien als Exposure-Größen verwenden. Weiterhin sollte auch noch der Austausch zwischen den Aktuaren in der Reservierung und der versicherungsmathematischen Funktion erwähnt werden.
Schadenrückstellung muss auf angemessenen Annahmen zur Schadeninflation beruhen

Schadenrückstellung muss auf angemessenen Annahmen zur Schadeninflation beruhen

Zur methodischen Berücksichtigung der Schadeninflation bei der Berechnung des Besten Schätzwertes der Schadenrückstellung ist es zunächst sinnvoll, die historische implizite Inflation in den Schadendreiecken zu identifizieren und einzuschätzen. Bei einem starken Anstieg der Schadeninflation reicht es jedoch nicht aus, die zukünftigen Zahlungsströme mit dieser impliziten historischen Inflation einfach fortzuschreiben. Die zukünftigen Zahlungsströme müssen stattdessen geeignet angepasst und in erster Linie – im Vergleich zu einem niedrigeren Inflationsumfeld – erhöht werden, um der hohen Schadeninflation Rechnung zu tragen. Hierzu ist es entscheidend, die zukünftige unternehmensindividuelle, spartenspezifische Schadeninflation einzuschätzen und angemessene Annahmen hierzu abzuleiten. Die Schadeninflationsannahmen sollten hierbei vor allem nicht zu optimistisch gewählt sein. Die Unternehmen sollten in erster Linie keine schnelle Rückkehr zu dem Niveau der Schadeninflation vor 2022 unterstellen. Nur so kann eine vorsichtige und verlässliche Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter realistischen Annahmen sichergestellt werden (§ 75 Abs. 1 VAG und § 77 Abs. 2 VAG). Nach Ansicht der BaFin sollte eine angemessene Berücksichtigung der hohen Schadeninflation zu einer signifikanten Erhöhung der Schadenrückstellung in verschiedenen Sparten führen.

Ermittlung der Prämienrückstellung: Vereinfachte Methoden müssen modifiziert werden

Eine steigende Schadeninflation ist weiterhin auch bei der Berechnung des Besten Schätzwertes der Prämienrückstellungen zu berücksichtigen. Hier sind unter anderem Fragen zu untersuchen, inwieweit eine hohe Inflation Auswirkungen auf das Stornoverhalten oder das Verhalten der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer hat. Bei der Berechnung des Besten Schätzwertes der Prämienrückstellung greifen viele Schaden- und Unfallversicherer zudem auf die vereinfachte Methode aus dem Technischen Anhang III aus den EIOPA Leitlinien zu den versicherungstechnischen Rückstellungen zurück. Hier ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die dieser Methodik zu Grunde liegenden Annahmen, die insbesondere von einer konstanten erwarteten Schadenkostenquote ausgehen, in Zeiten einer hohen Schadeninflation nicht hinreichend erfüllt sind. Daher müssen die Unternehmen erwägen, wie sie die vereinfachte Methodik geeignet modifizieren können, um der hohen Schadeninflation bei der Berechnung der Prämienrückstellung Rechnung zu tragen.

Der erhöhten Unsicherheit in der Bestimmung des Besten Schätzwertes ist in der Validierung der versicherungstechnischen Rückstellungen Rechnung zu tragen

Aufgrund der hohen Bedeutung der Schadeninflation für viele Schaden- und Unfallversicherer ist auch auf längere Sicht eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Thematik angebracht. So könnte es bei der Messung der unternehmensindividuellen spartenspezifischen Schadeninflation wichtig sein, perspektivisch verstärkt einen Blick auf die Einzelschadendaten von gemeldeten Schäden zu werfen und Inflationseffekte über die aggregierten Daten in den Schadendreiecken hinaus zu untersuchen. Mit der steigenden Schadeninflation steigt zudem die Unsicherheit in der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen. Dies insbesondere, da zum einen externe Daten verstärkt in die Berechnung einfließen und zum anderen auch unsichere Annahmen zur zukünftigen Schadeninflation einen höheren Einfluss auf die Höhe der versicherungstechnischen Rückstellungen haben. Dieser erhöhten Unsicherheit gilt es im Rahmen der Validierung der versicherungstechnischen Rückstellungen gebührend Rechnung zu tragen.

Versicherer müssen sich im ORSA mit ihren spezifischen Inflationsrisiken auseinandersetzen

Ein weiterer Aspekt ist unter Solvency II wichtig: Die mit einer dauerhaft erhöhten Inflation verbundenen Risiken werden in der Solvency-II-Standardformel nicht explizit abgebildet. Daher müssen sich Versicherer unternehmensindividuell mit ihren spezifischen Inflationsrisiken in der Säule zwei des Regelwerks auseinandersetzen, genauer gesagt: im ORSA, der unternehmenseigenen Risiko- und Solvabilitätsbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment). Hier ist es aus Sicht der BaFin wichtig, dass die Versicherer zum einen bei der Bestimmung ihres Gesamtsolvabilitätsbedarfs mehrjährige Szenarien betrachten, die von einer längerfristig hohen Inflation ausgehen. Zum anderen sollte im ORSA auch das Prämien- und Reserverisiko bei der Überprüfung der Abweichung des unternehmensindividuellen Risikoprofils von den der Standardformel zugrundeliegenden Annahmen näher analysiert werden. Aufgrund der hohen Schadeninflation kann das unternehmensindividuelle Prämien und Reserverisiko in einzelnen Sparten möglicherweise durch die Standardformel unterschätzt werden.

Auf die angemessene Berücksichtigung der hohen Schadeninflation unter Solvency II ist in den entsprechenden narrativen Berichten adressatengerecht einzugehen. Die BaFin erwartet insbesondere im RSR-Bericht (Artikel 310 Absatz 1 Delegierte Verordnung) eine ausführliche Erläuterung zu dem methodischen Vorgehen und den getroffenen Annahmen bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen.

Dem Vorsichtsprinzip des Handelsgesetzbuchs ist Rechnung zu tragen – Künftige Abwicklungsverluste sind zu vermeiden

Im Hinblick auf die Berücksichtigung der Inflation in der handelsrechtlichen Rechnungslegung (siehe hierzu auch Kasten „Wichtige Vorschriften zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter HGB“) bedeutet dies zunächst, dass die bis zum Abschlussstichtag eingetretene Teuerung von Waren und Dienstleitungen bei der Bildung von versicherungstechnischen Rückstellungen in jedem Fall zu berücksichtigen ist.

Was künftige, nach dem Abschlussstichtag erwartete Preissteigerungen anbelangt, so ist zunächst auf die Vorschrift des § 341e Abs. 1 Satz 1 HGB hinzuweisen, die das Erfordernis der dauernden Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen und damit ein besonderes Vorsichtsprinzip im Versicherungswesen betont. Aus dem Zusammenhang der vorstehend genannten Vorschriften ist zudem abzuleiten, dass die Versicherer die Bewertungsreserven, die aufgrund des Einzelbewertungsgrundsatzes tendenziell entstehen, daraufhin überprüfen müssen, ob sie in ausreichender Höhe vorhanden sind, um künftige Abwicklungsverluste zu vermeiden. Die Höhe der Bewertungsreserven muss dabei dem Grundsatz der Bilanzierungsstetigkeit (§ 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB) folgen und sollte daher mindestens gleichbleiben. Ansonsten würde eine Änderung der Bewertungsansätze vorliegen. Ein Abschmelzen des Sicherheitsniveaus ist danach zu vermeiden.

Sofern im Rahmen der Einzelreservierung künftige Abwicklungsverluste nicht mit hinreichender Sicherheit vermieden werden können, sind Versicherungsunternehmen darüber hinaus gehalten, zu prüfen und nachvollziehbar zu dokumentieren, inwieweit eine Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden ist (§ 249 Abs. 1 HGB). Der § 341e Abs. 2 Nr. 3 HGB ist die Spezialvorschrift für versicherungstechnischen Rückstellungen, die für Verluste zu bilden sind, mit denen nach dem Abschlussstichtag aus bis zum Ende des Geschäftsjahres geschlossenen Verträgen zu rechnen ist (Rückstellung für drohende Verluste aus dem Versicherungsgeschäft).

Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen eine periodengerechte Zuordnung von Beiträgen und Leistungen vornehmen und ausreichend Vorsorge für die Abwicklung der bereits eingetretenen Schäden im Hinblick auf künftige Teuerungstendenzen treffen.

Im Rahmen ihrer Aufgabe, auf die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen und hierbei insbesondere auch auf die Bildung ausreichend bemessener versicherungstechnischer Rückstellungen zu achten (§ 294 Abs. 4 VAG), wird die BaFin ein Auge darauf haben, ob die Unternehmen mit der hohen Schadeninflation gebührend umgehen.

Die BaFin erwartet in diesem Rahmen insbesondere, dass die Versicherer vorhandene Bewertungsspielräume im Sinne des Vorsichtsprinzips dahingehend nutzen, ausreichend hohe Schadenreserven zu bilden, sodass künftige Abwicklungsverluste vermieden werden und die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen sichergestellt wird. Gegebenenfalls ist eine Rückstellung für drohende Verluste zu bilden.

Auf einen Blick:Wichtige Vorschriften zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter HGB

Zunächst gilt übergeordnet das handelsrechtliche Vorsichtsprinzip: Nach den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen des § 252 Abs. 1 Nr. 4 Handelsgesetzbuch (HGB) ist vorsichtig zu bewerten. Es sollen alle Risiken und Verluste berücksichtigt werden, die bis zum Abschlussstichtag entstanden sind, selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekanntgeworden sind. Der Schutz der Gläubiger ist neben der Kapitalerhaltung der Leitgedanke dieses Prinzips. Die Lage des Unternehmens soll nicht besser dargestellt werden, als sie in Wirklichkeit ist.

Es ist zudem das Einzelbewertungsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB zu beachten. Schulden und Vermögensgegenstände sind zum Abschlussstichtag einzeln zu bewerten. In Bereich der Schaden- und Unfallversicherung schlägt sich dies in der Schaden- und Leistungsbearbeitung der Unternehmen durch die Bildung von Einzelschadenreserven nieder, sobald ein Versicherungsnehmer oder Anspruchsberechtigter einen Schadenfall meldet. Neben der Rückstellung für bekannte, noch nicht abgewickelte Versicherungsfälle ist eine Teilrückstellung für Spätschäden zu bilden, die zwar bereits eingetreten, dem Versicherungsunternehmen aber zum Bilanzstichtag noch nicht bekannt sind. Bei der Bildung der Rückstellung kann nach § 341g Abs. 2 Satz 1 HGB abweichend vom Einzelbewertungsgrundsatz auf eine pauschale Bewertung mittels geeigneter Schätzverfahren zurückgegriffen werden.

Neben den allgemeinen Vorschriften für die Rechnungslegung und die Bewertung von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten, gelten insbesondere auch die ergänzenden Vorschriften des HGB für Versicherungsunternehmen (§ 341 ff HGB). Von Bedeutung ist hier besonders der § 341e Abs. 1 Satz 1 HGB: Versicherungsunternehmen haben demnach versicherungstechnische Rückstellungen auch insoweit zu bilden, wie dies nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist, um die dauernde Erfüllbarkeit der Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen sicherzustellen. Die Vorschrift greift das Vorsichtsprinzip auf und konkretisiert dies für Versicherungsunternehmen (Gläubigerschutz, hier des Versicherungsnehmers). Es ist auch zu berücksichtigen, dass nach § 341e Abs. 1 Satz 3 HGB Rückstellungen der Versicherungsunternehmen nicht abzuzinsen, sondern nach den Wertverhältnissen am Abschlussstichtag zu bewerten sind.

BaFin wird Vorgehen der Unternehmen genau beobachten

Eine hohe Schadeninflation wirkt sich erheblich auf die Schaden- und Unfallversicherer aus, da in verschiedenen Sparten mit deutlich höheren Schadenaufwendungen zu rechnen ist. Auch wenn der Umgang mit der Schadeninflation für Schaden- und Unfallversicherer nicht neu ist, ist die derzeit sehr hohe Inflation für die Branche doch von neuer Qualität. Die Unternehmen müssen insbesondere die Annahmen zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter Solvency II überprüfen, was in der Regel zu höheren Schadenrückstellungen führen dürfte. Bei der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen unter HGB haben sie dafür Sorge zu tragen, dass Abwicklungsverluste möglichst vermieden werden. In der Tarifierung ist zu prüfen inwieweit auch mit höheren Beiträgen auf die gestiegene Schadeninflation reagiert werden muss. Die BaFin wird das Vorgehen der Unternehmen bei der Abbildung der Schadeninflation unter HGB und Solvency II eng beobachten

Fußnote:

 

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