Wer bei „SOS-Kinderdorf“ bisher an Nächstenliebe, Schutz und pädagogische Wärme dachte, muss nun umdenken: Offenbar stand das Kürzel in den 1990er Jahren in Osttirol für ein ganz anderes Konzept – nämlich „Strenge, Ohrfeigen, Schweigen“.
Zwei Frauen, die im SOS-Kinderdorf Nußdorf-Debant aufwuchsen, haben nun ausgepackt – und zwar nicht, um ihre Koffer für einen Klassentreff zu packen. Sie berichten von Gewalt, Erniedrigung und einem Dorfleiter, der den moralischen Kompass offenbar gegen eine Hausordnung aus Beton getauscht hatte.
Erziehungsmethoden nach alter Väter Sitte
„Ich bekam regelmäßig eine Watsche, weil ich rebellisch war“, sagt eine der Betroffenen. Übersetzt: Sie hatte das Unverschämte gewagt, ihre Rechte zu kennen. Der Dorfleiter – pädagogisch offenbar im 19. Jahrhundert ausgebildet – verteilte die Backpfeifen gleich öffentlich, um den Lerneffekt zu maximieren. Lehrziel: Unterordnung.
Kinder, die sich nicht an die Regeln hielten, wurden an den Haaren gezogen – vermutlich, um die Disziplin direkt an der Wurzel zu packen. Andere bekamen im Winter zur Strafe ein ungeheiztes Zimmer, was immerhin half, den Begriff „Erziehungsklima“ wörtlich zu verstehen.
„Familiäre Atmosphäre“ – nur ohne Familie
Auch die sogenannten Kinderdorf-Mütter scheinen die Nerven manchmal mit der Bratpfanne gesucht zu haben. „Ich glaube, sie war überfordert“, sagt eine der Frauen heute. Vielleicht, weil sie fünf Kinder gleichzeitig betreuen musste – ohne pädagogische Ausbildung, aber mit der Order, Ordnung zu halten.
Das Ganze geschah unter der Aufsicht eines Dorfleiters, der in der Region als moralisches Vorbild galt. Wäre es ein Theaterstück gewesen, hätte es wohl „Der Prügelpädagoge von Nußdorf“ geheißen.
Hausbrüder, die lieber hätten ausziehen sollen
Besonders schwer wiegen die Vorwürfe gegen zwei sogenannte „Hausbrüder“, die ihre Rolle als große Brüder offenbar mit der von Peinigern verwechselten. Eine Betroffene berichtet von jahrelanger sexueller Belästigung – ohne Konsequenzen. Die Verantwortlichen hätten, so wörtlich, „weggeschaut“. Man könnte auch sagen: Die Augen zu und das Gewissen gleich mit.
SOS-Kinderdorf: betroffen, bestürzt, überrascht
Die Organisation reagierte prompt mit der üblichen Mischung aus Betroffenheitslyrik und bürokratischer Bußformel: Man sei „tief betroffen“ und wolle „alles auf den Tisch legen“. Besser spät als nie – allerdings wirkt die neue Offenheit ein wenig so, als wolle man das Licht einschalten, nachdem die Gäste längst gegangen sind.
Immerhin kündigte SOS-Kinderdorf an, jeden einzelnen Fall „sorgfältig zu prüfen“. Das klingt nach großem Vorsatz – man darf hoffen, dass diesmal niemandem dabei eine Ohrfeige „ausgerutscht“ ist.
Jugendamt? Dienst nach Vorschrift, aber ohne Dienst
Auch das zuständige Jugendamt hat offenbar von seiner Kontrollpflicht gehört – allerdings erst Jahre später. Sechs Jahre nach Aufnahme eines Kindes im Kinderdorf verlangte man den ersten Bericht. Immerhin, die Post hat’s zugestellt – ein Fortschritt im Vergleich zur erzieherischen Zeitreise im Dorf selbst.
Fazit: Hilfe zur Selbsthilfe, aber bitte ohne Zeugen
Das SOS-Kinderdorf war einst Symbol für Hoffnung und Geborgenheit. Doch für manche Kinder bedeutete es offenbar: Hilfe kam nicht, der Schmerz blieb.
Oder, satirisch gesagt: Man hat sie fürs Leben gestärkt – durch Trauma-Training.
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