In ganz Deutschland wird heute der Opfer der Reichspogromnacht von 1938 gedacht – einem der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Genau 87 Jahre ist es her, dass in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nationalsozialisten gelenkte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Wohnungen und Synagogen angriffen, plünderten und in Brand setzten. Hunderte Jüdinnen und Juden wurden ermordet, zehntausende verschleppt und misshandelt. Die Pogrome markierten den Übergang von der Diskriminierung zur systematischen Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland und ganz Europa.
In Berlin steht der Tag im Zeichen stiller, eindringlicher Erinnerung. Am Vormittag werden die Namen von etwa 55.700 Berliner Jüdinnen und Juden verlesen, die während des Holocaust ermordet wurden. Diese Gedenkaktion, die an der Großen Hamburger Straße stattfindet, gilt als eines der bewegendsten Rituale des bundesweiten Erinnerns – sie gibt den Opfern ihre Identität zurück und erinnert daran, dass hinter jeder Zahl ein Mensch, ein Leben, eine Geschichte steht.
Am Abend findet im Jüdischen Gemeindehaus die zentrale Gedenkveranstaltung statt. Erwartet werden Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirchen, Kultur und Zivilgesellschaft. Neben Rabbinerinnen und Rabbinern werden auch Nachkommen von Holocaust-Opfern sprechen, um die Erinnerung wachzuhalten und auf die wachsende Gefahr von Antisemitismus hinzuweisen.
Auch in zahlreichen anderen Städten wird an diesem Tag erinnert: Hamburg, Hannover, Schwerin, Kiel, aber auch Leipzig, Frankfurt, Dresden und München laden zu Gedenkfeiern, Kranzniederlegungen, Mahnwachen und Lesungen ein. Viele Schulen und Gemeinden beteiligen sich mit eigenen Projekten – unter anderem mit Zeitzeugengesprächen, Stolpersteinführungen und Lichtinstallationen, die an zerstörte Synagogen erinnern.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird am Abend eine Rede halten, in der er nicht nur an die Opfer der Nationalsozialisten erinnert, sondern auch an die anderen prägenden Ereignisse des 9. November in der deutschen Geschichte: die Ausrufung der Republik im Jahr 1918, die Hoffnung auf Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, und den Mauerfall von 1989, der den Weg zur deutschen Wiedervereinigung ebnete.
Der 9. November ist damit ein Tag der Erinnerung und der Verantwortung, ein Datum, das Licht und Schatten der deutschen Geschichte wie kein anderes vereint. Während der Tag einerseits an Verfolgung, Hass und Zerstörung erinnert, steht er zugleich für Hoffnung, Freiheit und Neubeginn.
Historikerinnen und Historiker betonen, wie wichtig es sei, die Bedeutung dieses Tages im kollektiven Bewusstsein wachzuhalten – gerade in Zeiten, in denen Antisemitismus und Geschichtsverzerrung wieder zunehmen. Der Gedenktag mahnt, wachsam zu bleiben und demokratische Werte zu verteidigen.
Auch viele junge Menschen engagieren sich in diesem Jahr aktiv in Gedenkprojekten. Schülergruppen beteiligen sich an Lesungen und Mahnwachen, um das Vermächtnis der Opfer weiterzutragen. Für sie ist der 9. November nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern eine Aufforderung an die Gegenwart: Nie wieder Gleichgültigkeit, nie wieder Hass – nie wieder Schweigen.
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