Online-Vertrieb: Hausaufgaben für Versicherer

(BaFinJournal) Wie digital ist der Vertrieb bei Versicherern? Hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung beschleunigt? Antworten auf diese Fragen liefert eine Marktuntersuchung der BaFin. Sie zeigt zudem auf, wo Versicherer beim Online-Vertrieb die gesetzlichen Vorgaben nicht beachten.

Bei der Mehrheit der Versicherer können Verträge mittlerweile online abgeschlossen werden. Meist werden die Versicherungen dabei über die Website der Versicherer angeboten. Dies zeigte eine Marktuntersuchung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Danach sind Apps hier noch die Ausnahme. Was die Untersuchung auch ergab: Bei online abgeschlossenen Verträgen werden die gesetzlichen Anforderungen nicht immer eingehalten.

Für ihre Marktuntersuchung zum Online-Vertrieb (siehe Infokasten „Online-Vertrieb bei Versicherern“) hatte die BaFin 308 Erstversicherer mit Sitz in Deutschland befragt. Betrachtet wurden die Jahre 2019 bis 2021 und die Planungen der Unternehmen für das Jahr 2022. Rund 70 Prozent der befragten Versicherer gaben in der Befragung an, den Online-Vertrieb neben anderen Vertriebswegen oder ausschließlich anzubieten. Der Anteil der Unternehmen, die keinen Online-Vertrieb anbieten, war bei den Lebensversicherungsunternehmen am höchsten. Grund hierfür ist nach Angaben einiger Versicherer die hohe Beratungsintensität in diesem Bereich.

Wenige Apps

Bei 180 Versicherungsunternehmen erfolgte das Angebot über die eigene Internetseite, bei 170 über eine ungebundene Vermittlerin oder einen Vermittler. Auch gebundene Vermittlerinnen und Vermittler spielen im Online-Vertrieb bei vielen Versicherungsunternehmen eine Rolle, genauer gesagt: bei 133. Nur 35 Versicherer boten eine eigene App an. Einige Unternehmen ergänzten den digitalen Antragsprozess (Antragstrecke) mit einer Chatfunktion (via Internetseite: 41, via App: fünf) oder Videotelefonie (via Internetseite: 25, via App: eins).

Der Einfluss der Corona-Pandemie auf den Online-Vertrieb war im untersuchten Zeitraum gering. Es konnte keine signifikante Steigerung von neu abgeschlossenen Online-Verträgen in diesem Zeitraum festgestellt werden, wie Abbildung 1 zeigt.

 

Abbildung 1: Im Online-Vertrieb abgeschlossene Verträge

Grafische Darstellung Quelle: BaFin / Eigene Erhebung Abbildung 1: Im Online-Vertrieb abgeschlossene Verträge

 

Bei der wirtschaftlichen Bedeutung ergab sich ein ähnliches Bild. Eine Ausnahme bildete die Krankenversicherung. Hier wurden online überwiegend Zusatztarife mit geringeren Beiträgen abgeschlossen (siehe Abbildung 2).

 

Abbildung 2: Im Online-Vertrieb abgeschlossene Verträge (Bruttobeitragseinnahmen)

Grafische Darstellung Quelle: BaFin / Eigene Erhebung Abbildung 2: Im Online-Vertrieb abgeschlossene Verträge (Bruttobeitragseinnahmen)

 

 

Auf einen Blick:Online-Vertrieb bei Versicherern

Als Online-Vertrieb definierte die BaFin in ihrer Marktuntersuchung insbesondere den Vertrieb via Website und/oder App für internetfähige Mobilgeräte.

Untersucht wurde auch, ob die Anbieter ein reines Online-Formular nutzen oder auch Chat-Funktionen und/oder Videotelefonie, und ob für den Online-Vertrieb gebundene Vermittlerinnen und Vermittler einbezogen wurden, die ebenfalls Online-Vertriebsformen anbieten.

Ungebundene Vermittlerinnen und Vermittler sind Personen, die gewerbsmäßig als selbständige Versicherungsmaklerinnen und –makler oder Versicherungsvertreterinnen und -vertreter den Abschluss von Versicherungsverträgen vermitteln wollen. Man bezeichnet sie auch als Mehrfachagentinnen und -agenten

Die gebundenen oder Ausschließlichkeitsvermittlerinnen und -vermittler führen ihre Tätigkeit ausschließlich im Auftrag eines Versicherungsunternehmens aus. Wenn die Versicherungsprodukte nicht in Konkurrenz zueinander stehen, können die gebundenen Vermittlerinnen und Vermittler die Tätigkeit auch für mehrere Versicherungsunternehmen ausüben. Wichtig ist, dass für die Vermittlertätigkeit die uneingeschränkte Haftung durch das Versicherungsunternehmen übernommen wird.

 

Regulatorische Anforderungen

Die BaFin untersuchte auch, inwieweit sich Versicherer beim Online-Vertrieb an die regulatorischen Anforderungen halten. Im Fokus standen die vorvertraglichen Informationspflichten und die Beratungspflichten gemäß Versicherungsvertragsgesetz (VVG) (siehe Infokasten „Regulatorische Anforderungen an den Vertrieb“). Hierfür wählte die BaFin jeweils zehn Versicherer der Bereiche Leben, Kranken und Schaden/Unfall für eine vertiefende Abfrage aus.

Hier zeigte sich, dass alle Unternehmen die vorvertraglichen Informationen rechtzeitig zur Verfügung stellten, also bevor Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Erklärung zum Vertragsabschluss übermitteln, und dass sie die vorgeschriebene Textform hatten. Außerdem bot die Mehrzahl der befragten Versicherer im Online-Vertrieb anlassbezogene Beratung an. Verzichteten Kundinnen oder Kunden auf Beratung, wies man sie rechtzeitig darauf hin, dass sich dies nachteilig auswirken könnte, falls sie einen Schadensersatzanspruch geltend machen wollten.

Technische Probleme bei der elektronischen Übermittlung von Informations- und Beratungsunterlagen traten bisher nicht bzw. in nicht nennenswertem Ausmaß auf.

Stornos und begründete Beschwerden

Was Stornoquoten und die Zahl begründeter Beschwerden anging, gab es zwischen online und nicht-online abgeschlossenen Verträgen keine signifikanten Unterschiede. Nur drei Lebensversicherer hatten Produkte speziell für den Online-Vertrieb neu entwickelt. Mehr als die Hälfte – nämlich 63 Prozent – der befragten Unternehmen gab an, von den bereits bestehenden Produkten nur die weniger komplexen auch online anzubieten.

Gesetze nicht immer eingehalten

Die Untersuchung zeigte aber auch Missstände im Online-Vertrieb. So hielten sich Versicherer nicht immer an die gesetzlichen Vorgaben. Einzelne Versicherer gaben an, dass ein Online-Abschluss nur möglich sei, wenn Kundinnen und Kunden auf eine Beratung verzichteten. Dies widerspricht jedoch § 6 Absatz 1 Satz 1 VVG („Beratung des Versicherungsnehmers“), wenn eine Beratung im konkreten Fall erforderlich war, also ein Beratungsanlass bestand. Ein Beratungsanlass kann beispielsweise aus der persönlichen Situation oder dem Bedarf der Verbraucherin oder des Verbrauchers sowie der Komplexität des Versicherungsproduktes resultieren. Den Verbraucherinnen und Verbrauchern wurde in den genannten Fällen die gesetzlich erforderliche Beratung versagt. Wenn die Versicherer dann auf ein telefonisches oder persönliches Beratungsgespräch verwiesen („hybrider Vertrieb“), haben sie die Verbracherinnen und Verbraucher gegebenenfalls zum Beratungsverzicht verleitet, wenn diese dennoch online den Vertrag abschlossen. Denn Verbraucherinnen und Verbrauchern dürfte es in der Regel um einen möglichst schnellen Abschluss gehen, wenn sie sich für den Online-Vertrieb entscheiden. Sie müssen die Möglichkeit einer Online-Beratung haben, wenn ein Beratungsanlass besteht.

Kündigung in Textform nicht immer möglich

Einige der befragten Versicherer räumen ihren Kundinnen und Kunden zudem für Kündigungen nicht die vorgeschriebene verbraucherfreundliche Textform ein.
Einzelne Versicherer gaben an, dass sie Verbraucherinnen und Verbraucher beim digitalen Antragsprozess nicht fragen, ob das Risiko nicht bereits durch eine andere Versicherung abgedeckt ist. Auch das sieht die BaFin kritisch: Es ergibt für Verbraucherinnen und Verbraucher zum Beispiel keinen Sinn, eine weitere Reiseversicherung abzuschließen, wenn bereits eine mit ausreichender Deckung vorhanden ist.

BaFin toleriert keine Regelverstöße

Die BaFin erwartet, dass die Versicherungsunternehmen die gesetzlichen Vorgaben auch beim Online-Vertrieb einhalten. Es gelten hierbei weitgehend die gleichen Regeln wie für die anderen Vertriebswege. Bei keinem der angebotenen Vertriebswege toleriert die BaFin, dass Regeln nicht eingehalten werden. Mit 20 Versicherern, bei denen sie Auffälligkeiten oder gar Missstände im Online-Vertrieb festgestellt hat, steht die BaFin im Kontakt. Sie forderte sie auf, die festgestellten Missstände zu beseitigen, und wird dies nachhalten.

 

Auf einen Blick:Regulatorische Anforderungen an den Vertrieb

  • Die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive, kurz: IDD) wurde unter anderem im Dezember 2018 mit der Versicherungsvermittlungsverordnung (VersVermV) in deutsches Recht umgesetzt. Die IDD legt unter anderem fest, dass unabhängig vom Vertriebskanal, über den Kundinnen und Kunden ein Versicherungsprodukt erwerben, dasselbe Verbraucherschutzniveau gewährleistet sein muss.
  • In § 6 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) geht es um die „Beratung des Versicherungsnehmers“. Dieser Paragraf regelt unter anderem die anlassbezogene, (preislich) angemessene, bedarfsgerechte Beratung, deren Dokumentation, den möglichen Beratungsverzicht und einen möglichen
  • Schadensersatzanspruch des Versicherungsnehmers, falls der Versicherer seine Beratungspflichten verletzt.
  • § 6a VVG regelt die „Einzelheiten der Auskunftserteilung“, also die Übermittlung des erteilten Rats und der Gründe hierfür an die Verbraucherin oder den Verbraucher.
  • In § 7 VVG ist von der „Information des Versicherungsnehmers“ die Rede. Der Paragraf umfasst die Anforderungen an die vorvertraglichen Informationspflichten des Versicherers.
  • § 7c VVG regelt die Beurteilung von Versicherungsanlageprodukten und die Berichtspflicht. Er spezifiziert die Beratungspflichten zu Versicherungsanlageprodukten.

 

 

Verfasst von

Klaudia Schmitz
Thomas Lichters
Dirk Elsner

Referat VBS 24 – Verhaltensbezogene Marktaufsicht bei Versicherungen gegenüber Verbrauchern

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