Der 11. November ist nicht nur Schnapszahl, sondern auch offizieller „Singles Day“ – also quasi der Valentinstag für Menschen, die sich lieber selbst Blumen kaufen. Und wo früher Freunde verkuppelten, übernehmen heute Apps mit KI das Flirtmanagement. Blöd nur: Ausgerechnet diese Apps haben selbst ein Beziehungsproblem – mit ihren Nutzer:innen.
Tinder, Bumble & Co. verlieren Herz und Hirn, vor allem aber zahlende Kundschaft. Die Antwort auf diese digitale Midlife-Crisis: Künstliche Intelligenz. Denn wenn schon die große Liebe nicht gefunden wird, dann soll wenigstens die Server-Auslastung stimmen.
Tinder scannt jetzt dein Fotoalbum – Romantik trifft Rasterfahndung
Tinder testet aktuell ein Feature namens „Chemistry“ – nicht zu verwechseln mit echter Chemie, denn hier entscheidet die KI, ob du überhaupt funken darfst. Wer möchte, kann der App Zugriff auf das eigene Fotoalbum geben. Das ist kein Scherz. Die KI analysiert dann, ob du eher „Katzenfreundlicher Kaffeetyp“ oder „Festivalgänger mit Hang zur Ironie“ bist – basierend auf deinen Selfies und dem dritten Aperol Spritz am See.
Grindr mit KI-Wingman – für alle, die sich nicht trauen, „Hi“ zu schreiben
Die App Grindr bietet jetzt unter anderem einen KI-Wingman an. Der gibt dir Tipps fürs nächste Chat-Gespräch. Endlich musst du nicht mehr selbst entscheiden, ob „Hey, wie geht’s?“ zu einfallslos ist (Spoiler: Ist es). Außerdem werden alte Matches zurückgerufen – was wahrscheinlich so romantisch ist wie ein Facebook-„Erinnerung an dein peinliches Profilbild von 2012“.
„Hey Siri, wer ist meine große Liebe?“
Auch Facebook mischt mit und erlaubt es, deinen Wunschpartner einfach zu beschreiben. Beispiel: „Brünett, Arzt, lebt in Wien, lacht über meine Witze, hasst Rosinen.“ Die KI sucht dann jemanden, der – Überraschung – vielleicht sogar existiert. Wer braucht da noch Zufall?
Und was macht die Konkurrenz?
Hinge hat den Matching-Algorithmus optimiert und festgestellt: Mehr Matches = mehr Freude = mehr Klicks = mehr Geld. Bumble denkt laut über eine Gebühr pro Match nach. Eine Art Liebessteuer. Die Wirtschaft muss schließlich auch daten.
Weniger Matches, mehr Müdigkeit
Während Hinge jubelt, dass Matches um 15 Prozent gestiegen sind, schwächeln Tinder und Bumble wie ein erstes Date mit Funkstille. Nutzer:innen sind offenbar „App-müde“. Schuld daran: Reizüberflutung, Swipe-Burnout und zu viele Gespräche, die nie über „Was machst du so?“ hinausgehen. Übrigens, dass man die App löscht, weil man jemanden gefunden hat? Dieser schöne Grund taucht in Firmenstatistiken erstaunlich selten auf. Wie unromantisch.
Wenn dein Seelenverwandter ein Algorithmus ist
Die KI-Vermittlungsplattform „Known“ verzichtet ganz auf das Wischen. Stattdessen darf man stundenlang mit einer KI plaudern, bis diese (vielleicht) entscheidet, dass du bereit für einen echten Menschen bist. Eine Art digitales Bootcamp für emotionale Verfügbarkeit. Wer es durchhält, bekommt ein Match – gegen Gebühr. Liebe, powered by Paywall.
Back to the Basics – mit Hormontypen und Persönlichkeitsscans
Ironischerweise greifen viele dieser neuen Technologien auf uralte Ideen zurück. Die von Anthropologin Helen Fisher entwickelte Typologie – Entdecker, Erbauer, Leiter, Verhandler – feiert fröhliche Wiederauferstehung. Was früher „Du bist eher der Dopamin-Typ“ hieß, nennt sich heute „KI-Matching nach Persönlichkeitsmuster“. Der Topf sucht also weiterhin nach dem Deckel – nur jetzt mit Datensätzen statt Bauchgefühl.
Fazit: Die große Liebe? Vielleicht. Ein gutes Geschäftsmodell? Hoffentlich.
Dating-Apps stecken in einer Sinnkrise und werfen alles in die Waagschale: alte Weisheiten, neue Technik und die Hoffnung, dass ein bisschen „Chemistry“ reicht, um die Herzen (und Konten) der Menschen zu erobern. Ob KI am Ende den perfekten Partner findet oder sich selbst datet – wir sind gespannt.
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