Hanseatisches OLG: 13 Kap 23/19 Erste MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Joerg N“; Zweite MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Christoph M“; Dritte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Tim B“ und Vierte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Rene A“ 29.11.2021

Hanseatisches Oberlandesgericht

Az.: 13 Kap 23/​19

Beschluss

In der Sache

Christoph Metzelder, Zur alten Exerzierhalle 1, 40476 Düsseldorf

– Musterkläger –

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte von Ferber, Langer, Neuer Wall 61, 20354 Hamburg, Gz.: Z-421717-OR

gegen

1)

HCI Hanseatische Capitalberatungsgesellschaft mbH & Co. KG, vertreten durch d. Komplementärin HCI Vertriebsverwaltung GmbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführerin Christine Beckmann, Burchardstraße 8, 20097 Hamburg

– Musterbeklagte –

2)

HCI Treuhand GmbH & Co. KG, vertreten durch d. Komplementärin Verwaltung HCI Treuhand GmbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführer Kai Dührkop, Herdentorsteinweg 7, 28195 Bremen

– Musterbeklagte –

3)

HCI Treuhand SERVICE & Co. KG, vertreten durch d. Komplementärin Verwaltung HCI Treuhand SERVICE GmbH, diese vertreten durch d. Geschäftsführer Kai Dührkop, Burchardstraße 8, 20095 Hamburg

– Musterbeklagte –

4)

Ernst Russ AG, vertreten durch d. Vorstand Inge Kuhlmann, Jens Mahnke, Burchardstraße 8, 20095 Hamburg

– Musterbeklagte –

Prozessbevollmächtigte zu 1 – 4:
Rechtsanwälte Ahlers & Vogel, Contrescarpe 21, 28203 Bremen, Gz.: 10253/​18

Nebenintervenientin zu 1:
RTC Revision Treuhand Consulting GmbH Wirtschaftprüfungsgesellschaft Steuerberatungsgesellschaft, vertreten durch d. Geschäftsführer Björn Hagedorn und Frank Fruggel, Burchardstraße 24, 20095 Hamburg

Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte BKS Rechtsanwälte, Elsa-Brändström-Straße 7, 33602 Bielefeld, Gz.: 000077-18

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht – 13. Zivilsenat – durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Panten, die Richterin am Oberlandesgericht zur Verth und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Tonner am 24.11.2021:

1.

Der Feststellungsantrag zu II. des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 29.07.2019, Az. 329 O 1/​18, wird zurückgewiesen.

2.

Die übrigen Feststellungsanträge des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 29.07.2019, Az. 329 O 1/​18, sowie des Erweiterungsbeschlusses des Senats vom 30.11.2020 sind gegenstandslos.

3.

Der Wert sämtlicher ausgesetzter Verfahren beträgt € 5.851.327,00.

Gründe:

I.

Das vorliegende Musterverfahren bezieht sich auf den am 23.04.2009 veröffentlichten Anlageprospekt „HCI Exklusivprojekt Multipurpose Quartett“. Beworben wurde hier die Beteiligung von Anlegern an vier Kommanditgesellschaften (Erste – Vierte Bulktransport GmbH & Co. KG), die jeweils in den Neubau eines 4.500 tdw-Bulkers investieren sollten.

Die Musterbeklagte zu 1 war Anbieterin, Prospektverantwortliche (vgl. S. 12 des Prospekts) und Emissionshaus und zudem seit Prospektveröffentlichung mit einem KG-Anteil von jeweils € 24.000,00 (Erhöhung auf € 49.000,00 bevorstehend) an den vier Einschiffsgesellschaften beteiligt.

Die Musterbeklagten zu 2 und 3 sind Rechtsnachfolger /​ Abspaltungen der HCI Treuhand GmbH, die an jeder der vier Objektgesellschaften einen KG-Anteil von € 1.000,00 hielt (vgl. S. 79 ff. des Prospekts) und deren Kernaufgabe nach dem Prospekt die Verwaltung und Betreuung der beitretenden Anleger war; hierfür sollte sie eine jährliche Gebühr von 0,1 % netto des verwalteten Kapitals sowie einen Festbetrag von anfänglich € 46.000 netto p.a. beziehen. Insgesamt sollte die Vergütung für die Treuhandtätigkeit sowie für die Tätigkeit aufgrund eines Servicevertrags € 459.603 zzgl. USt betragen (vgl. S. 83 des Prospekts). Zudem sollte sie aus dem Verkauf der Schiffe einen Vorabgewinn in Höhe von 1 % erhalten. Die HCI Treuhand GmbH war darüber hinaus eine Schwestergesellschaft der Musterbeklagten zu 1 (vgl. S. 83 des Prospekts) und mit jeweils 50 % an der jeweiligen Komplementärin der Einschiffsgesellschaften beteiligt.

Die Musterbeklagte zu 4 ist Rechtsnachfolgerin der HCI Capital AG, die an jeder der vier Einschiffsgesellschaften einen Kommanditanteil von € 12.500,00 hielt. Sie ist Konzernobergesellschaft und Mutter der Musterbeklagten zu 1, 2 und 3 sowie Platzierungsgarantin.

Komplementärin und Geschäftsführerin aller vier Einschiffsgesellschaften war die MLB Beteiligungsgesellschaft mbH, deren Gesellschafter zu je 50 % die MarLink Schifffahrts GmbH & Co. KG sowie die HCI Treuhand GmbH waren.

Auf Grundlage des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Hamburg vom 29.07.2019, Az. 329 O 1/​18, sind dem Senat folgende Feststellungsziele vorgelegt worden:

I. Der Verkaufsprospekt vom 23.04.2009 zum Beteiligungsangebot „HCI Exklusivprojekt Multipurpose Quartett“ (Fonds, bestehend aus den vier Einschiffgesellschaften: Erste MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Joerg N“, Zweite MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Christoph M“, Dritte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Tim B“ und Vierte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Rene A“) ist unrichtig bzw. unvollständig, da

1. die Prospektaussagen über die künftigen Marktaussichten für einen durchschnittlich verständigen Leser, der keine Kenntnis von den im Zeitpunkt der Herausgabe des Prospekts tatsächlich bestehenden Marktverhältnissen hatte, irreführend und widersprüchlich sind, indem

a) im Abschnitt „Einleitung“ auf S. 5 des Prospekts die Marktaussichten und die Partizipationsmöglichkeiten der Anleger wie folgt beschrieben werden: „Auch wenn die aktuell schwierige Lage an den weltweiten Finanzmärkten sowie deren Auswirkungen auf die Realwirtschaft zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung u. a. zu einer rückläufigen Nachfrage nach Transportkapazitäten führt, bietet das Beteiligungsangebot HCI Exklusivprojekt Multipurpose Quartett den Anlegern die Möglichkeit, mittel- bis langfristig am Wachstum des internationalen Seeverkehrs zu profitieren.“;

b) der Leser auf S. 6 über die „Laufzeit“ des Beteiligungsangebots erfährt:„In der Planrechnung wird eine Laufzeit von ca. sechs Jahren angenommen.“

c) und ihm auf S. 10 zur „Investitions- und Ausschüttungsplanung (Prognose)“ mitgeteilt wird, dass er in 2010 mit Ausschüttungen von 3,5 %, in 2011 bis 2015 in Höhe von 7 % und im Verkaufsjahr 2015 in Höhe von 109 % (Ausschüttungen insgesamt: rd. 148 %) rechnen kann;

2. die dem Leser unter der Überschrift „Nord- und Ostseeschifffahrt“ im Prospekt auf S. 35 mitgeteilten Informationen zum Transportvolumen für das Fahrtgebiet der Fondsschiffe unvollständig bzw. veraltet sind, weil dort Ladungsmengen aus 2006 mitgeteilt werden und nicht aktuelle Zahlen aus den maßgeblichen vorherigen Jahren 2007 und 2008 sowie ggf. Prognose für 2009;

3. die auf den S. 36 ff. abgebildete Flottenanalyse für das Marktsegment der Fondsschiffe (2.000 bis 6.000 tdw), die auf einer Studie „Minibulkers“ von Ernst Russ GmbH & Co. KG, Hamburg, ER* Research & Analysis aus Dezember 2008 beruht,

a) nicht erkennen lässt, dass es sich bei der Ernst Russ GmbH & Co. KG, Hamburg, ER* Research & Analysis nicht um ein von der Emittentin unabhängiges und neutrales Analysehaus handelt und

b) im Hinblick auf das auf S. 37 f. dargestellte Verschrottungsszenario nicht geeignet ist, dem Leser eine realistische Aussage über die tatsächlich zu erwartende Entwicklung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage der die Fondsschiffe betreffenden Flotte zu vermitteln;

4. die auf S. 41 ff enthaltene Prognoserechnung und die dazugehörenden Kalkulationen im Zeitpunkt der Prospekterstellung unrealistisch waren und nicht auf belastbaren Tatsachengrundlagen beruhten, und zwar im Hinblick auf

a) die auf S. 38 dargestellte prognostizierte Ratenentwicklung, auf deren Basis die Liquiditätsrechnung auf S. 44 f. erstellt worden ist,

b) die unterschiedlichen Kalkulationen der Poolraten in der Liquiditätsvorschau auf S. 44 f.

c) die in der Liquiditätsvorschau auf S. 44 f. kalkulierten Ausfallzeiten der Schiffe;

5. er die Anleger über den Wert des Schiffes durch Verweis auf ein vorhandenes, aber nicht belastbares Schiffsgutachten des Dipl.-Ing. Manfred Heinemeyer aus Bremen täuscht, wenn es auf S. 33 heißt:„Schiffsgutachten Der vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Schiffen Dipl.-Ing. Manfred Heinemeyer, Bremen, hat in einem Bewertungsgutachten vom 28. November 2008 den Preis für eines der vier baugleichen Fondsschiffe unter der Annahme der umfangreichen Einsatzmöglichkeiten der Schiffe per September 2009 auf ca. 7.050.000 EUR pro Schiff geschätzt. Darüber hinaus wurden keine weiteren Bewertungsgutachten erstellt.“;

6. er Risiken verschweigt, die für die Anlageentscheidung von Bedeutung waren, nämlich im Hinblick auf:

a) bestimmte Einschränkungen und Risiken in den Darlehensverträgen, wonach Vereinbarungen über die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse der Darlehensnehmerin hinsichtlich der Kommanditgesellschaft und der Komplementärin der finanzierenden Bank genehm sein müssen und die technische Bereederung nur durch eine dieser genehmen Gesellschaft erfolgen darf sowie

b) die auf S. 19 dargestellte Platzierungsgarantie, die tatsächlich vorhandene Ausfallrisiken der HCI Capital AG nicht hinreichend erläutert;

7. er irreführende Angaben über vermeintliche Erfahrung der Vertragspartner enthält, mit denen das Beteiligungsangebot durchgeführt werden soll, insbesondere, da

a) zur Erfahrung und Qualität der Bauwerft auf S. 6 des Prospekts aufgeführt wird: „Erfahrene Partner… Die Investitionsobjekte gehören zu einer Serie technisch moderner Multipurpose Mehrzweckfrachter mit Doppelhülle, die von der chinesischen Werft Weihai Donghai Shipyard Co., Ltd., Zaobukou, China, gebaut werden. Das Unternehmen wurde 1974 gegründet und hat sich nach Angaben des kommerziellen Reeders auf den Bau kleinerer bis mittelgroßer Mehrzweckfrachter, Bulker und Tanker bis zu einer Größe von 10.000 tdw spezialisiert.“;

b) es zur Qualifikation und Erfahrung des Vertragsreeders auf S. 27 heißt:„Die MarLink Schiffahrtskontor GmbH & Co. KG (im Folgenden MarLink genannt), Hamburg, wird die kommerzielle Bereederung der vier Mehrzweckfrachter übernehmen. Die Reederei wurde Anfang 1997 gegründet. Die Schlüsselpersonen sind Matthias Pahl (Hamburg) mit über 30-jähriger Erfahrung als Schiffsmakler und Bereederer und Christoph Sturm (Hamburg) mit über 18-jähriger Erfahrung in der Befrachtung und dem operativen Bereich einer Hamburger Reederei. MarLink verfügt über umfangreiches Wissen in verschiedensten Schifffahrtsbereichen. … MarLink vergibt grundsätzlich die nautisch-technische Bereederung an erfahrene und auf den jeweiligen Schiffstyp spezialisierte Unternehmen im Rahmen von kündbaren Verträgen, deren Erfüllung von MarLink laufend überwacht wird.“;

c) es auf S. 69 zur „Aufsicht über die Bauaufsicht“ durch den kommerziellen Bereederer heißt:„…Der kommerzielle Bereederer, MarLink Schiffahrtskontor GmbH & Co. KG, übernimmt im Rahmen des Bereederungsvertrages die Aufgabe, die Bauaufsicht der AMP zu begleiten und zu überwachen. Es soll sichergestellt werden, dass AMP seinen Bauaufsichtspflichten in ausreichendem Maß nachkommt und im Interesse der jeweiligen Schiffsgesellschaften handelt.“

8. er nicht darüber aufklärt, dass die Gesellschaft AMP Management Services Linited, P.O.- Box 957, Offshore Incorporations Centre, Road Town, Tortola, British Virgin Islands, mit der der Bauaufsichtsvertrag abgeschlossen worden ist, mit der Verkäufergesellschaft der Schiffe, der AMP Minibulkers 2 Limited, P.O. Box 957, , Offshore Incorporations Centre, Road Town, Tortola, British Virgin Islands (vgl. S. 89), personell, gesellschaftsrechtlich und kapitalmäßig verflochten war, so dass die daraus denkbaren Interessenkonflikte im Hinblick auf die durchzuführende Bauaufsicht für den Anleger nicht erkennbar waren;

II. Die Beklagten sind für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Emissionsprospekts im Wege der Prospekthaftung im weiteren Sinne verantwortlich; Voraussetzung hierfür ist nicht, dass sie mit den Anlageinteressenten bei Vertragsanbahnung in sozialen Kontakt getreten sind oder ihnen auch nur namentlich bekannt gewesen sein müssen.

Mit Beschluss vom 30.11.2020 hat der Senat auf Antrag des Musterklägers das Musterverfahren um die folgenden Feststellungsziele erweitert:

I. Der Verkaufsprospekt vom 23.04.2009 zum Beteiligungsangebot „HCI Exklusivprojekt Multipurpose Quartett“ (Fonds, bestehend aus den vier Einschiffgesellschaften: Erste MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Joerg N“, Zweite MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Christoph M“, Dritte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Tim B“ und Vierte MLP Bulktransport GmbH & Co. KG, MS „Rene A“ ist unrichtig und unvollständig, da

1. die Prospektaussagen über die künftigen Marktaussichten für einen durchschnittlich verständlichen Leser, der keine Kenntnis von den im Zeitpunkt der Herausgabe des Prospekts tatsächlich bestehenden Marktverhältnissen hatte, irreführend und widersprüchlich sind,

Feststellungsziel 1d: weil die Marktaussichten tatsächlich deutlich schlechter waren, als es der Prospekt den Anlegern auf S. 34 vermittelt hat, wenn es dort wie folgt heißt:

„Nach 5,1 %, 5,2 % und 3,4 % Wachstum in den Jahren 2006 bis 2008 erwartet der IWF in seiner aktuellen Prognose vom 28. Januar 2009 ein weltweites Wirtschaftswachstum von 0,5 % für das Jahr 2009 und 3,0 % für das Jahr 2010. Grundlage für den Weltseehandel ist unmittelbar die weltweite Industrieproduktion, da sie den Transport von Rohstoffen, Halbfertigprodukten und fertigen Industrieerzeugnissen antreibt. Entsprechend sieht der IWF auch die Aussichten für den Welthandel. Nach einem Wachstum des Welthandels in den Jahren 2006 bis 2008 von 9,3 %, 7,2 % bzw. 4,1 % gegenüber dem Vorjahr soll laut Prognose die Entwicklung für die Jahre 2009 und 2010 -2,8 % bzw. 3,2 % betragen.“

Feststellungsziel 10 (im Schriftsatz vom 26.05.2020 als Feststellungsziel 11 bezeichnet): Der Prospekt ist fehlerhaft, weil die Prognose der Schiffsbetriebskosten unvertretbar war.

Feststellungsziel 11 (im Schriftsatz vom 26.05.2020 als Feststellungsziel 12 bezeichnet): Der Prospekt ist fehlerhaft, weil die Angaben zur Leistungsbilanz der HCI Gruppe unvollständig und irreführend sind.

II.

1. Zu Ziff. II des Vorlagebeschlusses

Die Feststellung ist nicht zu treffen.

Eine Haftung der Musterbeklagten als Gründungsgesellschafter aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB kann nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird vielmehr durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung – hier gemäß § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung – verdrängt (BGH, Beschluss vom 08.06.2021, XI ZB 22/​19 – juris Rn. 31).

Die Musterbeklagte zu 1 ist Gründungsgesellschafterin und Prospektverantwortliche nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF, da sie im Prospekt auf S. 12 als Prospektverantwortliche genannt wird.

Die Musterbeklagten zu 2 bis 4 sind verantwortlich nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Davon sind die Personen und Unternehmen erfasst, von denen die wirtschaftliche Initiative ausgeht und die hinter dem Prospekt stehen und seine eigentlichen Urheber sind; Veranlasser ist, wer hinter dem Emittenten steht und neben der Geschäftsleitung besonderen Einfluss ausübt. Von einer Prospektverantwortlichkeit eines Hintermannes ist unter anderem dann auszugehen, wenn dieser auf die Konzeption des konkreten, mit dem Prospekt beworbenen und vertriebenen Modells maßgeblich Einfluss genommen hat und damit letztendlich auch für die Herausgabe des Prospektes verantwortlich ist. Dabei können die gesellschaftsrechtliche Funktion des Hintermannes sowie ein erhebliches wirtschaftliches Eigeninteresse für eine Einflussnahme auf die Konzeption des Modells sprechen. Nicht entscheidend ist, ob eine Mitwirkung unmittelbar bei der Gestaltung des Prospektes gegeben ist; ausschlaggebend dagegen ist, ob der Prospekt mit Kenntnis des Verantwortlichen in den Verkehr gebracht worden ist (zum Vorstehenden insgesamt BGH, Beschluss vom 19.01.2021, XI ZB 35/​18 – juris Rn. 24).

Die Musterbeklagten zu 2 und 4 sind neben der Musterbeklagten zu 1 Gründungsgesellschafter der Fondsgesellschaften, die Musterbeklagte zu 3 wiederum ist aufgrund des Spaltungs- und Übernahmevertrages vom 11.04.2013 aus der Musterbeklagten zu 2 hervorgegangen. Ob die Stellung als Gründungsgesellschafter für sich genommen für die Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF schon genügt (so wohl BGH, Beschluss vom 8. Juni 2021, XI ZB 22/​19 – juris Rn. 31), kann offenbleiben. Im vorliegenden Verfahren kommen weitere erhebliche Aspekte hinzu, die eine Verantwortlichkeit der genannten Musterbeklagten für den Prospekt begründen:

Die Musterbeklagte zu 2 fungierte für den Fonds nicht nur als Treuhandkommanditistin. Sie war gleichzeitig Gesellschafterin der geschäftsführenden Komplementär-Gesellschaften der Emittentinnen mit einem Anteil von mindestens 50 Prozent (vgl. S. 86 des Prospekts) und Schwestergesellschaft der nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BörsG aF Prospektverantwortlichen, der Musterbeklagten zu 1 (vgl. S. 83 des Prospekts). Hierbei handelt es sich um Umstände, die der BGH (aaO., Rn. 25) als wesentliches Kriterium für die Einstufung als Prospektveranlasser angesehen hat.

Die Musterbeklagte zu 4 war Konzernobergesellschaft, Mutter der Musterbeklagten zu 1 und 2 und Platzierungsgarantin. Damit konnte sie sowohl aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung als auch aufgrund ihres erheblichen wirtschaftlichen Eigeninteresses Einfluss auf die Konzeption des hier streitgegenständlichen Anlagemodells nehmen. Damit ist auch in ihrem Fall von einer Prospektverantwortlichkeit auszugehen, so dass aufgrund des Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ein Rückgriff auf die Prospekthaftung im weiteren Sinne gesperrt ist.

2. Zu Ziff. I des Vorlagebeschlusses sowie den mit Erweiterungsbeschluss vom 30.11.2020 zugelassenen Feststellungszielen

Diese Feststellungsziele sind gegenstandslos.

Gegenstandslos wird der dem Musterverfahren zugrundeliegende Vorlagebeschluss hinsichtlich eines Feststellungsziels, wenn die Entscheidungserheblichkeit dieses Feststellungsziels aufgrund der vorausgegangenen Prüfung im Musterverfahren entfallen ist (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, XI ZB 35/​18 – juris Rn. 30).

Der Vorlagebeschluss und die in dem Erweiterungsbeschluss zugelassenen Feststellungsziele sind dahin auszulegen, dass Prospektfehler ausschließlich als anspruchsbegründende Voraussetzung einer Haftung der Musterbeklagten unter dem Aspekt einer vorvertraglichen Pflichtverletzung aufgrund der Verwendung eines unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Prospekts als Mittel der schriftlichen Aufklärung festgestellt werden sollen. So heißt es in dem Schriftsatz des Musterklägers vom 18.05.2021, mit dem dieser zu der Entscheidung des BGH vom 19.01.2021, XI ZB 35/​18, Stellung nimmt: „Entgegen der Ansicht des XI. Zivilsenats des BGH wird die Haftung der MB zu 1-4 nicht durch die spezialgesetzlich geregelte Prospekthaftung aus § 13 VerkPG, §§ 44 ff. BörsG a.F. verdrängt. Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 BörsG 8…) bestimmte ausdrücklich, dass weitergehende Ansprüche, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgrund von Verträgen erhoben werden können, unberührt bleiben. Die Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB ist aus einem individuellen vorvertraglichen Verhältnis abgeleitet und wird deshalb (auch hinsichtlich der Verjährung dieser Ansprüche) von der Haftungsregelung der §§ 13 VerkPG i.V.m. §§ 44 ff. BörsG nicht verdrängt (…). Dies entspricht der von der Literatur einhellig geteilten, gefestigten Rechtsprechung des BGH.“ Diese Ausführungen zeigen deutlich, dass der Musterkläger selbst davon ausgeht, dass die gerügten Prospektfehler Grundlage einer Haftung ausschließlich nach Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 BGB sein sollten.

Eine solche Haftung der Musterbeklagten ist aber – wie dargestellt – aus Rechtsgründen nicht gegeben, sodass es auf Feststellungen zu Prospektfehlern sowie zu weiteren Einzelfragen der Haftung und des Schadens nicht ankommt.

II.

Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (§ 16 Abs. 2 KapMuG).

Panten

Vorsitzender Richter
am Oberlandesgericht

zur Verth

Richterin
am Oberlandesgericht

Kann wegen Erkrankung nicht unterschreiben.
Panten, VRiOLG

Dr. Tonner

Richter
am Oberlandesgericht

 

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