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Haditha-Massaker: Neue Beweise belasten zwei US-Marines – Forensiker erhebt schwere Vorwürfe

magwood_photography (CC0), Pixabay
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„Das ist der Raum, in dem meine ganze Familie getötet wurde“, sagt Safa Younes, während sie in das Schlafzimmer blickt, in dem am 19. November 2005 ein Massaker stattfand. Sie war damals 13 Jahre alt – und die einzige Überlebende.

Ihr Vater starb, als er die Tür des Hauses im irakischen Haditha öffnete. Wenig später drangen US-Marines ein und erschossen ihre Mutter, fünf Geschwister und ihre Tante. Safa überlebte, indem sie sich tot stellte – zwischen den Leichen ihrer Familie.

Fast 20 Jahre später bringt eine Untersuchung der BBC Eye Investigations neue Hinweise ans Licht, die zwei US-Marines direkt mit der Tötung von Safas Familie in Verbindung bringen. Der damalige forensische Ermittler Michael Maloney, der 2006 im Auftrag des Naval Criminal Investigative Service (NCIS) vor Ort war, spricht von belastendem Material, das bislang nicht ausreichend gewürdigt wurde.

Das Massaker von Haditha: 24 Zivilisten getötet

Der Vorfall wurde als das Haditha-Massaker bekannt. Insgesamt starben 24 irakische Zivilist:innen, darunter vier Frauen und sechs Kinder, nachdem ein improvisierter Sprengsatz einen US-Soldaten getötet hatte. In Reaktion darauf eröffneten Mitglieder des Marine-Korps das Feuer in mehreren Wohnhäusern – fast alle Bewohner:innen wurden getötet.

Die US-Armee leitete daraufhin die längste Kriegsverbrechensuntersuchung des Irakkriegs ein. Dennoch wurde niemand für die Taten verurteilt.

Belastende Aussagen eines Marines

In einem bisher unveröffentlichten Video einer Anhörung vor Prozessbeginn zeigt Lance Corporal Humberto Mendoza, der damals ein einfacher Soldat war, wie er Safas Vater erschoss – obwohl dieser unbewaffnet war. „Aber Sie haben trotzdem geschossen?“, fragt der Anwalt. Mendoza antwortet: „Ja, Sir.“

In einem neu entdeckten Audio-Mitschnitt gibt Mendoza zudem zu, etwa 2,5 Meter in das Schlafzimmer vorgedrungen zu sein – entgegen seiner früheren Aussagen. Diese neue Version deckt sich laut Forensiker Maloney mit seiner Rekonstruktion des Tatorts: Er hatte damals anhand von Fotos festgestellt, dass zwei Marines in das Zimmer eingedrungen sein müssen, um die dort Anwesenden gezielt zu erschießen.

„Wenn Sie mich fragen: Ist das ein Geständnis? Dann sage ich: Mendoza gesteht alles – außer, dass er abgedrückt hat“, so Maloney.

Safa selbst hatte 2006 in einer Videoaussage geschildert, wie ein Soldat die Tür öffnete, eine Granate warf, die nicht explodierte, und anschließend alle im Raum erschoss. Mendoza ist der einzige Marine, der zugab, die Tür geöffnet zu haben.

Zweite belastende Aussage: Lance Corporal Stephen Tatum

Ein weiterer Marine, Stephen Tatum, gab in mehreren Aussagen an, er habe Menschen im Raum gesehen, die eindeutig als Frauen und Kinder zu erkennen waren – und trotzdem geschossen. In einem späteren Protokoll sagte er wörtlich:

„Ich habe gesehen, dass es ein Kind war, aber ich habe trotzdem geschossen.“

Die Verteidigung erklärte, diese Aussagen seien unter Druck zustande gekommen. Die Anklage gegen Tatum wurde 2008 fallengelassen, seine Aussagen später nicht im Prozess berücksichtigt.

Forensiker Maloney geht inzwischen davon aus, dass Mendoza und Tatum die beiden Soldaten waren, die Safas Familie erschossen haben.

Keine Verurteilungen – nur ein Schuldeingeständnis wegen Pflichtverletzung

Nur ein Marine wurde jemals angeklagt: Staff Sergeant Frank Wuterich, der Truppführer. Doch auch sein Prozess endete 2012 mit einem Vergleich: Er bekannte sich zu „fahrlässiger Pflichtverletzung“, ein Tatbestand ohne direkten Bezug zu den Tötungen. Die Strafe? Eine symbolische Disziplinarmaßnahme – vergleichbar mit einem „Verkehrsdelikt“, wie sein Anwalt es bezeichnete.

„Das war nie ein echter Prozess“

Ehemalige Beteiligte üben nun scharfe Kritik. Der Verteidiger von Wuterich, Neal Puckett, sagte gegenüber der BBC:

„Die Anklage hat sich selbst handlungsunfähig gemacht, indem sie den Hauptzeugen Immunität gewährte und ihre Aussagen später nicht nutzbar machte.“

Auch Wuterichs damaliger Anwalt Haytham Faraj erklärte, das Verfahren sei nie darauf ausgelegt gewesen, Gerechtigkeit für die Opfer zu schaffen:

„Es war ein Schauprozess – ohne Konsequenzen.“

Safa Younes: Ein Leben mit der Erinnerung

Safa lebt heute, mit 33 Jahren, weiterhin in Haditha. Sie hat drei Kinder – aber der Schmerz über das, was ihr angetan wurde, ist geblieben.

„Es ist, als wäre es erst letztes Jahr passiert. Ich denke jeden Tag daran“, sagt sie.

Als sie das Video von Mendoza sieht, reagiert sie emotional:

„Er hätte von Anfang an ins Gefängnis gehört. Es ist eine Schande, dass er je wieder Tageslicht gesehen hat.“

Die US-Marines teilten auf Anfrage der BBC mit, man sei zu rechtsstaatlichen Verfahren verpflichtet und würde die Ermittlungen nur bei Vorlage neuer, verwertbarer Beweise wieder aufnehmen.

Doch für Safa ist klar:

„Das eigentliche Verbrechen ist, dass sie nach all den Jahren nie vor Gericht standen.“

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