Wenn es einen besseren Beweis dafür braucht, dass wir in der Ära der ästhetischen Sabotage angekommen sind, dann bitteschön:
Kurz vor der Abschlussgala des weltberühmten Filmfestivals von Cannes gehen in der Region reihenweise die Lichter aus. Wortwörtlich.
160.000 Haushalte ohne Strom, Verkehrspolizisten, die plötzlich Ampeln ersetzen, und ein Friseur, der im Schein der Apokalypse jemandem auf dem Gehsteig die Haare schneidet – willkommen in der Provence-Noir-Version von Children of Men, produziert von: zwei selbsternannten anarchistischen Gruppen mit Vorliebe für Strommasten und Anti-Glitzer-Stimmung.
Denn ja, es war Sabotage. Nicht mal subtil: In Villeneuve-Loubet wurden an einem Hochspannungsmast gleich drei von vier Beinen durchgesägt – ein Werk, das man irgendwo zwischen DIY-Hassliebe und politischer Kunstaktion verorten könnte. Die Täter schrieben ein Manifest (natürlich online, versteht sich), in dem sie freimütig bekennen:
Man wollte das Festival stören.
Weil, Zitat: „Strom ist Macht. Und Glamour ist Gewalt.“ Oder so ähnlich. Subtil ist anders – aber hey, Cannes hat schon schlechtere Drehbücher gesehen.
Stromausfall mit dramaturgischem Timing
Auch in Nizza ging wenig später das Licht aus. Zufall? Natürlich nicht.
Ein Transformator brannte im Westen der Stadt, 45.000 Haushalte im Dunkeln, kurzzeitig auch der Flughafen – was die französische Staatsanwaltschaft vermutlich als kleines „Kollaterallicht“ verbucht hat. Und während Gäste des Filmfests sich über warme Gin Tonics im Halbdunkel beschwerten, suchte die Polizei Hinweise – irgendwo zwischen Netflix-Konsumverhalten und echten Brandherden.
Bürgermeister Christian Estrosi zeigte sich „entsetzt“. Klar, wenn der Strom ausfällt, kann selbst ein Politiker nicht mehr tweeten. Er kündigte an: mehr Überwachung, stärkere Sicherheitsmaßnahmen, und überhaupt – die volle Blackout-Rhetorik.
„Solange die Urheber nicht gefasst sind, werden wir nicht nachlassen.“
Heißt im Klartext: Wir haben keine Ahnung, aber wir schauen jetzt ganz genau hin. Wirklich.
Glanz, Glamour – und Generatoren
Das Filmfestival selbst? Natürlich nicht gefährdet. Man hatte vorgesorgt. Denn wer Champagner in Cannes serviert, denkt auch an Notstromaggregate. Man weiß schließlich, dass Kunst notfalls auch aus dem Dieselkanister kommt.
Während also die halbe Stadt im Dunkeln saß, liefen die Klimaanlagen im Festspielpalast weiter wie immer: leise, kühl, dekadent.
Und nun?
Was bleibt, ist ein merkwürdiger Nachgeschmack:
Ein Anschlag auf die Infrastruktur, der fast wie eine Performance-Kritik an der Kulturindustrie wirkt – mit echter Wirkung auf echte Menschen, von Touristen bis zu Bäckern, die ihre Croissants im Dunkeln backen mussten.
Kunstaktion oder Kriminalfall?
Systemkritik oder Zerstörungslust mit Presseabdeckung?
Wir wissen es nicht. Die Ermittler wissen es nicht.
Nur eines ist sicher:
Wenn der Strom ausgeht, werden plötzlich alle ganz hellhörig.
Kommentar hinterlassen