Beschwer bei falscher Adressierung einer strafgerichtlichen Entscheidung

Leitsatz

Beschwerdeberechtigt ist auch, wer Adressat einer strafgerichtlichen Entscheidung ist, ohne am Verfahren beteiligt zu sein.

Verfahrensgang ausblendenVerfahrensgang

vorgehend AG Pforzheim, 23. November 2023, 9 Cs 16 Js 15399/23, Beschluss

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des M. B., geboren am 20.06.1982 in M., B. Str., M. wird der Beschluss des Amtsgerichts Pforzheim vom 25.01.2024 aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass der Strafbefehl des Amtsgerichts Pforzheim vom 23.11.2023 gegen M. B., geboren am 02.10.1993 in K., zuletzt wohnhaft W. Str., K., dem Angeklagten bisher nicht zugestellt wurde.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers trägt die Staatskasse.

Gründe

I.
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Das Amtsgericht Pforzheim hat am 23.11.2023 gegen den am 02.10.1993 in K. geborenen M. B. einen Strafbefehl erlassen. Unter der zuletzt bekannten Wohnanschrift in der W. Str., K., war eine Zustellung nicht möglich. Auf Abfrage beim Einwohnermeldeamt wurde von dort eine Wohnanschrift für M. B., geboren 20.06.1982 in M. mitgeteilt. An dessen Anschrift in der R. Str. in M. wurde sodann der Strafbefehl am 07.12.2023 zugestellt.
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Am 21.12.2023 gingen beim Amtsgericht Pforzheim zwei E-Mails ein, in denen der Absender, M. B., erklärte, er wohne in der B. in M., die Adresse R. Str. in M. sei die seines Vaters; zudem sei er nicht der am 02.10.1993 in K. geborene M. B., sondern am 20.06.1982 in M. geboren.
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Des Inhalts der E-Mails ungeachtet, wurde dem Beschwerdeführer vom Amtsgericht erklärt, seine E-Mails seien als Einspruch gegen den Strafbefehl formwidrig. Mit am 23.01.2024 beim Amtsgericht Pforzheim eingegangenen Schreiben teilte der Beschwerdeführer nochmals mit, „ICH BIN NICHT M. B., W. Str., K., geb. 20.10.1993!“
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 25.01.2024 hat das Amtsgericht Pforzheim den Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Strafbefehl vom 23.11.2023 als unzulässig verworfen.
II.
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Seine sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
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Der Strafbefehl richtet sich eindeutig nicht gegen den Beschwerdeführer. Aufgrund des dort angegebenen Geburtsdatums und -orts und der Anschrift ist der Angeklagte zweifelsfrei bestimmbar und es steht fest, dass er trotz Gleichheit des Vor- und Zunamens nicht mit dem Beschwerdeführer identisch ist.
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Gleichwohl ist der Beschwerdeführer beschwert und damit zur Einlegung der ansonsten form- und fristgemäßen sofortigen Beschwerde berechtigt.
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Beschwerdeberechtigt ist derjenige, der durch die Maßnahme in der Wahrnehmung geschützter Rechte und Interessen beschränkt wird; mithin in seiner Freiheit, seinem Vermögen oder einem sonstigen Recht in sachlich-rechtlicher oder verfahrensrechtlicher Art beeinträchtigt ist und deshalb ein Rechtsschutzinteresse geltend machen kann (BVerfG, BeckRS 2017, 137689 = BVerfG, StV 2018, 350; BGH, Beschluss vom 07.04.2020 – StB 8/20 = BGH NStZ-RR 2020, 171 [171]; Meyer-Goßner, StPO, 66. Auflage, § 304 Rn. 6 m.w.N.). Dabei genügt für die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde die reine Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung (BGH a.a.O.; Neuhauser, in MüKo-StPO, 2. Auflage 2024, § 304, Rn. 38; OLG Hamburg (2. Strafsenat), Beschluss vom 08.03.2017 – 2 Ws 36/17, Rn. 10). Ob die Rechtsgutsbeeinträchtigung im Ergebnis vorliegt, ist wiederum eine Frage der Begründetheit der sofortigen Beschwerde (BGH a.a.o.; OLG Hamburg a.a.O.).
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Vorliegend enthält der angefochtene Beschluss immerhin neben dem identischen Namen die Wohnanschrift des Beschwerdeführers, nicht die des Angeklagten. Nachdem ihm – und zwar trotz mehrfacher Hinweise seinerseits auf die andere Identität des Angeklagten – der Beschluss auch zugestellt wurde, muss es ihm zugestanden werden, sich hiergegen zur Wehr zu setzen. Würde man nur auf die Identität des wahren Angeklagten rekurrieren, würde man zudem verlangen, dass der Beschwerdeführer sich – abwartend – erst der unausweichlichen Vollstreckung entgegenstellen würde. Das wäre nicht nur unzumutbar, sondern auch alles andere als verfahrensökonomisch. Jedenfalls die drohende Vollstreckung stellt im Ergebnis eine Beschwer des Beschwerdeführers dar, die ihn zur Einlegung der sofortigen Beschwerde berechtigt, obwohl er nicht der Adressat des ihm zugestellten Strafbefehls war (vgl. im Ergebnis auch Neuhauser, in MüKo StPO, 2. Auflage 2024, § 304 StPO Rn. 41).
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Der angefochtene Beschluss kann in der Sache keinen Bestand haben.
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Unzutreffenderweise ist das Amtsgericht Pforzheim davon ausgegangen, die E-Mails des Beschwerdeführers seien als Einspruch gegen den Strafbefehl vom 23.11.2023 auszulegen.
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Prozesserklärungen sind anhand der allgemein geltenden Auslegungsgrundsätze auszulegen. Hierbei ist neben dem buchstäblichen Inhalt und dem Willen des Erklärenden auch der für die Auslegung von Prozesserklärungen stets zu beachtende Grundsatz zu berücksichtigen, dass einer Prozesserklärung im Zweifel derjenige Sinngehalt zu entnehmen ist, der im jeweiligen Verfahrensstand nach Maßgabe der Prozessordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, NJW-RR 2016, 1065 [1066]; BGH, NJW 2011, 1455 [1456]).
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Die Auslegung der Erklärungen des Beschwerdeführers als Einspruch lässt all die vorgenannten vorhandenen Auslegungsgrundsätze unberücksichtigt.
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Der Beschwerdeführer ist nicht Adressat des Strafbefehls, wie sich aus dem abweichenden Geburtsdatum und -ort ergibt.
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Zudem ergibt sich aus dem buchstäblichen Inhalt der Mails unzweifelhaft, dass der Beschwerdeführer darauf hinweisen wollte, man habe ihm den Strafbefehl fälschlicherweise geschickt.
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Da der Beschwerdeführer mithin weder nach dem offenkundigen Inhalt seiner Erklärungen gegen den Strafbefehl vom 23.11.2023 Einspruch einlegen wollte, noch dazu berechtigt gewesen wäre (dies kann nur der Angeklagte, vgl. § 410 Abs. 1 StPO), ist eine Einspruchsverwerfung verfehlt und die Auslegung als Einspruch fernliegend. Weder deutet der wörtliche Inhalt seiner Mails darauf hin, dass er sich inhaltlich gegen den Strafbefehl vom 23.11.2023 zur Wehr setzen wollte, noch erscheint die Einlegung eines Einspruchs aus Sicht des Beschwerdeführers, der zur Einlegung eines Einspruchs nach § 410 Abs. 1 StPO überhaupt nicht berechtigt gewesen wäre, nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig oder seiner wohlverstandenen Interessenlage entsprechend.
III.
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Der Ausgangspunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung, der „Einspruch“ sei verfristet, krankt überdies auch daran, dass gegenüber dem tatsächlichen und im Strafbefehl auch korrekt bezeichneten Angeklagten eine wirksame Zustellung zu keiner Zeit erfolgt ist.
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Deklaratorisch ist deshalb festzustellen, dass der Strafbefehl des Amtsgerichts Pforzheim vom 23.11.2023 bisher nicht zugestellt wurde.
IV.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO analog.

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