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Zwischen Pflicht und Gewissen – Warum immer mehr junge Menschen den Kriegsdienst verweigern wollen

planet_fox (CC0), Pixabay
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Die Diskussion über eine mögliche Wiedereinführung des Wehrdienstes sorgt in Deutschland für Verunsicherung – vor allem unter jungen Menschen. Während die Bundesregierung über neue Wehrmodelle debattiert, wächst der Andrang bei den Beratungsstellen zur Kriegsdienstverweigerung. Der Theologe Gregor Rehm, Beauftragter für Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche der Pfalz, erlebt einen sprunghaften Anstieg von Anfragen. „Die Nachfrage hat nach dem russischen Überfall auf die Ukraine quasi über Nacht massiv zugenommen“, sagt er.

Alte Fragen in neuer Zeit

Noch vor wenigen Jahren war das Thema Wehrpflicht weitgehend vergessen. Seit ihrer Aussetzung 2011 galt der Dienst an der Waffe für viele nur als Relikt vergangener Zeiten. Doch mit dem Krieg in der Ukraine und der wachsenden Bedrohung durch Russland hat sich das geändert. Junge Männer – und zunehmend auch Frauen – fragen sich: Was, wenn Deutschland wieder Soldaten braucht?

Viele Ratsuchende, so Rehm, seien zwischen Unbehagen und Pflichtgefühl hin- und hergerissen. „Manche kommen mit einem diffusen Gefühl, dass sie keinen Menschen töten könnten. Doch ein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung verlangt mehr – eine begründete Gewissensentscheidung.“

Gespräche über Moral und Angst

In seiner Beratung gehe es nicht darum, jemanden vom Wehrdienst abzuhalten, betont der Theologe. „Wir raten zu nichts. Wir begleiten.“ Es gehe darum, das eigene Gewissen zu verstehen, zu formulieren und sich der Konsequenzen bewusst zu werden. „Die meisten wissen gar nicht, wie sehr sie das Thema beschäftigt, bis sie anfangen, darüber zu sprechen.“

Auch aktive Soldatinnen und Soldaten suchen zunehmend das Gespräch mit ihm. Einige hinterfragten ihre Entscheidung, nach Jahren im Dienst und neuen Lebenserfahrungen. Andere seien durch Studien, ethische Debatten oder persönliche Verluste in ihrer Haltung erschüttert worden.

Verunsicherung wächst

Noch ist unklar, ob und wie der Wehrdienst tatsächlich zurückkehrt. Doch das Thema beschäftigt längst eine ganze Generation. Denn: Die Wehrpflicht ist nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall würde sie sofort wieder gelten. Jeder taugliche Mann zwischen 18 und 60 Jahren könnte dann einberufen werden.

Deshalb rät Rehm, sich frühzeitig mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen: „Wer sich erst im Ernstfall fragt, ob er Dienst leisten will, wird kaum Zeit haben, sein Gewissen zu prüfen.“

Zwischen Sicherheit und Selbstbestimmung

Dass seine Arbeit mitunter als „wehrkraftzersetzend“ kritisiert wird, weist Rehm entschieden zurück. „Ich bin kein Gegenspieler der Bundeswehr“, sagt er. „Ich sehe meine Aufgabe darin, Menschen seelsorgerlich zu begleiten – gerade in Fragen, die über Leben und Tod entscheiden.“

Für ihn sei die Möglichkeit zur Kriegsdienstverweigerung kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Ausdruck demokratischer Stärke:

„Es macht die Bundeswehr erst zu einer Armee von Staatsbürgern in Uniform, dass jeder das Recht hat, Nein zu sagen.“

Was einst eine Randfrage war, ist angesichts geopolitischer Spannungen wieder eine der zentralen Gewissensfragen unserer Zeit geworden. Immer mehr Menschen suchen Antworten – zwischen Moral, Angst und Verantwortung.

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