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Wissenschaft unter Druck: „Paper-Mills“ entlarvt – Betrug im industriellen Maßstab

Sind Sie ein Betrüger? | © 3D_Maennchen / Pixabay
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Wissenschaft gilt als Suche nach Wahrheit, als Motor für Fortschritt und Innovation. Doch sie ist längst auch ein Geschäft – und wo Geld, Karriere und Prestige locken, ist Betrug nicht weit. Nun haben Forscherinnen und Forscher ein globales Phänomen näher untersucht, das den Kern der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit bedroht: sogenannte „Paper-Mills“, also Studienfabriken, die gefälschte wissenschaftliche Arbeiten im großen Stil produzieren und verkaufen.

Von Papiermühlen zu Studienfabriken
Der Begriff ist dabei vielsagend: Während historische Papiermühlen seit dem 14. Jahrhundert die Verbreitung von Wissen erst ermöglichten, stehen die modernen „Paper-Mills“ für das genaue Gegenteil – sie verwässern die wissenschaftliche Literatur mit minderwertigen oder erfundenen Studien. Gegen Geld können sich Forschende als Mitautorinnen und -autoren einkaufen – je nach Renommee der Zeitschrift kostet das zwischen einigen Hundert und bis zu 20.000 Dollar pro Artikel.

Netzwerke des Betrugs
Ein Team um den Biologen Thomas Stöger von der Northwestern University hat das System untersucht und dabei unter anderem das Open-Access-Journal PLOS ONE analysiert. Seit 2006 wurden dort fast 280.000 Artikel veröffentlicht, begutachtet von über 18.000 Redakteuren. Eine Netzwerkanalyse zeigte: Schon das Verhalten von nur 45 Editoren reichte aus, um auffällig viele verdächtige Arbeiten durchzuwinken – darunter über 30 Prozent aller später zurückgezogenen Artikel.

„Das waren richtige Netzwerke, in denen sich die Beteiligten gegenseitig halfen – keine Einzelfälle“, erklärt Stöger. Mittlerweile seien diese Redakteure entfernt worden. Doch ähnliche Muster fanden die Forscher auch bei anderen Journals, bis hin zu großen Wissenschaftsverlagen.

Gestohlene Bilder, kopierte Daten
Typisch für Paper-Mills ist auch die Mehrfachverwendung von Bildern und Grafiken: Fotos aus seriösen Studien tauchen in dutzenden neuen, erfundenen Arbeiten wieder auf, manchmal mit minimalen Änderungen. „Oberflächlich wirkt das wie echte Wissenschaft, aber tatsächlich steckt kaum Substanz dahinter“, so Stöger.

Ein Milliardengeschäft mit der Unsicherheit
Die Netzwerke operieren vor allem aus dem asiatischen Raum und bestehen aus mehreren Akteuren: Fabriken, die Studien „produzieren“; Makler, die diese verkaufen; Verlagsmitarbeiter, die im Peer-Review-Prozess mitspielen; und Kunden – häufig junge Wissenschaftler, die im akademischen Hamsterrad des „Publish or perish“ ihre Karriere pushen wollen.

Das Ausmaß ist enorm: Von den jährlich rund fünf Millionen veröffentlichten Studien weltweit könnten nach Schätzungen Stögers mindestens 50.000 von Paper-Mills stammen – Tendenz steigend. Die Zahl dubioser Publikationen verdoppelt sich alle 1,5 Jahre, deutlich schneller als die von seriösen Studien.

Gefährdung der Glaubwürdigkeit
Besonders brisant: Auch renommierte Journale bleiben nicht verschont. Fachleute warnen, dass durch die Flut an Fälschungen das Vertrauen in die Wissenschaft insgesamt erodieren könnte – mit gravierenden Folgen für Medizin, Technik und Politikberatung.

Wege aus der Krise
Als Gegenmaßnahmen fordern Forscher bessere technische Prüfverfahren, wie KI-gestützte Tools zur Erkennung gefälschter Daten und Bilder, sowie einen engeren Austausch zwischen Verlagen. Langfristig aber müsse sich das System selbst ändern: Weniger Publikationen, weniger Fixierung auf Impact-Faktoren und eine stärkere Betonung von Qualität statt Quantität.

„Paper-Mills sind das Symptom eines kranken Systems, das Forscherinnen und Forscher auf Masse trimmt“, sagt Wissenschaftsforscher Gerhard Fröhlich. „Wer die Geschwindigkeit aus der Wissenschaft nimmt, nimmt auch den Fälschern den Atem.“

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