Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev über BaFin-Warnungen, Anlagebetrug und die Aussichten, verlorenes Geld zurückzuholen
Redaktion: Frau Bontschev, die BaFin veröffentlicht derzeit fast täglich neue Warnungen zu dubiosen Finanzdienstleistern. Auch diese Woche wurden wieder mehrere Seiten gelistet, die ohne Lizenz agieren oder Anleger gezielt täuschen. Was beobachten Sie in Ihrer Praxis?
Kerstin Bontschev: Die Zahl dieser Fälle ist tatsächlich auffällig hoch – und sie steigt weiter. Es handelt sich häufig um sogenannte Clone-Firmen, also Betrüger, die sich den Namen seriöser Anbieter zu eigen machen, oft mit täuschend echten Webseiten. In anderen Fällen geht es um Fake-Trading-Plattformen, Krypto-Betrug oder angebliche Promi-Investments. Die Maschen sind unterschiedlich – das Ergebnis ist oft das gleiche: Das Geld ist weg.
Redaktion: Wenn jemand merkt, dass er auf so eine Masche hereingefallen ist – welche Chancen gibt es, das investierte Geld zurückzubekommen?
Kerstin Bontschev: Die Chancen hängen von mehreren Faktoren ab – der wichtigste ist: Zeit. Je schneller Betroffene handeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, zumindest einen Teil des Geldes zurückzubekommen. Wenn die Transaktionen noch nicht abgeschlossen sind oder über bekannte Zahlungsdienstleister liefen, kann man unter Umständen etwas stoppen oder rückabwickeln lassen. Aber: Eine Garantie gibt es nicht.
Redaktion: Warum ist das so schwierig?
Kerstin Bontschev: Hinter diesen Plattformen stecken oft professionell organisierte kriminelle Banden – international agierend, technisch versiert, mit verschleierten Strukturen. Oft nutzen sie ahnungslose Dritte – sogenannte Money Mules –, die für Geld ihr Konto zur Verfügung stellen. Diese Personen wissen häufig selbst nicht, dass sie Teil eines Betrugsnetzwerks sind. Das macht die Strafverfolgung kompliziert – und das Einfrieren von Geldern noch schwerer.
Redaktion: Welche Rolle spielen die Warnungen der BaFin in diesem Zusammenhang?
Kerstin Bontschev: Die BaFin-Warnungen sind extrem wichtig. Sie machen öffentlich, wer ohne Erlaubnis agiert oder Anleger täuscht. Aber man muss wissen: Eine solche Warnung kommt meist erst dann, wenn bereits mehrere Anleger geschädigt wurden. Die BaFin selbst kann keine Gelder zurückholen – das ist Aufgabe der Gerichte, Staatsanwaltschaften oder eben spezialisierten Anwältinnen und Anwälten wie mir.
Redaktion: Sie vertreten regelmäßig Mandanten in solchen Fällen. Wie realistisch ist es, dass Betroffene ihr Geld wiedersehen?
Kerstin Bontschev: Es lohnt sich in vielen Fällen, zu kämpfen. Wer mehrere Tausend Euro oder mehr verloren hat, sollte prüfen lassen, ob sich eine Rückholung wirtschaftlich und juristisch lohnt. Aber man muss das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Blick behalten. Wenn jemand beim vermeintlichen „Promi-Trading“ über Instagram 250 Euro verloren hat, wäre der Aufwand für ein anwaltliches Vorgehen schlicht zu hoch. Da hilft nur: Verlust anerkennen, Anzeige erstatten – und künftig vorsichtiger sein.
Redaktion: Was raten Sie Betroffenen ganz konkret?
Kerstin Bontschev: Erstens: Nicht schämen. Viele Menschen – auch sehr kluge – fallen auf diese professionellen Seiten rein. Zweitens: Beweise sichern – Screenshots, E-Mails, Chatverläufe, Zahlungsnachweise. Drittens: sofort handeln – Anzeige bei der Polizei, Meldung an die BaFin, und im besten Fall rechtliche Beratung einholen. Und viertens: Niemals weiteres Geld nachschießen – auch wenn angebliche „Recovery-Agenten“ das versprechen. Das ist fast immer die nächste Betrugsstufe.
Redaktion: Gibt es einen positiven Aspekt in all dem?
Kerstin Bontschev: Ja – die Aufmerksamkeit steigt. Immer mehr Menschen informieren sich frühzeitig, checken Warnlisten oder fragen vor der ersten Überweisung jemanden, der sich auskennt. Aufklärung ist der beste Schutz. Und: Ich habe Fälle begleitet, in denen durch schnelles Handeln fünfstellige Beträge zurückgeholt werden konnten. Solche Erfolge sind möglich – aber sie erfordern Timing, Beharrlichkeit und einen kühlen Kopf.
Redaktion: Frau Bontschev, vielen Dank für das Gespräch!
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