Startseite Interviews „Wenn eine Zahlenkombination zur Staatsaffäre wird“ – Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime zur Entscheidung des Supreme Court über das Vanity Plate „69PWNDU“
Interviews

„Wenn eine Zahlenkombination zur Staatsaffäre wird“ – Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime zur Entscheidung des Supreme Court über das Vanity Plate „69PWNDU“

TheDigitalArtist (CC0), Pixabay
Teilen

DieBewertung.de: Herr Reime, die USA diskutieren über ein Nummernschild. Der Supreme Court hat sich jetzt gegen eine Anhörung im Fall „69PWNDU“ entschieden. Was halten Sie davon?

RA Jens Reime: Nun, man könnte meinen, das sei ein kurioser Einzelfall – aber in Wahrheit geht es um grundsätzliche Fragen der Meinungsfreiheit, besonders in öffentlich sichtbaren Räumen wie dem Straßenverkehr. Und wie bei vielen Dingen im Recht gilt auch hier: Die Details entscheiden.

DieBewertung.de: Die Klägerin argumentierte, ihre Buchstaben-Zahlen-Kombination sei eine persönliche Aussage – kein staatliches Statement. Sehen Sie das auch so?

Reime: Aus meiner Sicht durchaus nachvollziehbar. Die Kombination „69PWNDU“ ist in der Gaming-Szene eindeutig als Ausdruck für „Ich habe dich besiegt“ zu lesen. Dass der Staat 11 Jahre nach Genehmigung plötzlich auf die Idee kommt, hier handele es sich um einen anzüglichen Code für sexuelle Dominanz, ist – vorsichtig gesagt – interpretationsfreudig. Wenn ein Nummernschild eine sexuelle Botschaft transportieren kann, dann müssten wohl auch „LUVBUG“, „BIGDADY“ oder „GRLPOWR“ überprüft werden.

DieBewertung.de: Der Supreme Court hat sich dennoch dagegen entschieden, den Fall zu verhandeln. Ein Rückschritt?

Reime: Zumindest eine verpasste Chance. Denn das Urteil hätte Klarheit schaffen können, ob ein Vanity Plate nun Ausdruck der individuellen Persönlichkeit oder ein verlängerter Arm staatlicher Kommunikation ist. Die bisherige Rechtsprechung – speziell aus dem Fall Walker vs. Sons of Confederate Veterans – wurde hier einfach fortgeschrieben, obwohl der Kontext ein ganz anderer ist.

DieBewertung.de: Das heißt, Nummernschilder sind laut US-Gerichten Regierungssprache?

Reime: Genau. In Tennessee wurde entschieden, dass auch die individuelle Zeichenwahl auf einem staatlich ausgegebenen Kennzeichen letztlich staatliche Kommunikation ist. Das erinnert ein wenig an die Annahme, der Staat würde persönlich „mitreden“, wenn jemand auf dem Auto „IMLOVER“ stehen hat. Ein interessanter Gedanke – aber juristisch eher schwer zu halten.

DieBewertung.de: Was lernen wir daraus?

Reime: Dass Freiheit im öffentlichen Raum ein verhandelbares Gut ist – selbst in einer Demokratie, die sich auf die Fahne schreibt, die Meinungsfreiheit zu schützen. Es zeigt auch, wie beliebig staatliche Eingriffe sein können, wenn sie nicht an klaren, objektiven Kriterien orientiert sind. Denn in anderen US-Staaten wäre das Schild erlaubt gewesen. Dass es in Tennessee verboten ist, entlarvt das Problem: Rechtsunsicherheit und politische Willkür.

DieBewertung.de: Könnte ein solcher Fall auch in Deutschland passieren?

Reime: Ja, und das tut er auch regelmäßig. Die Zulassungsstellen in Deutschland lehnen Kennzeichen mit den Buchstabenkombinationen „SS“, „SA“ oder „NS“ routinemäßig ab – und das ist aus historischen Gründen absolut nachvollziehbar. Schwieriger wird es, wenn etwa Initialen oder Kürzel als „provokant“ gewertet werden, obwohl sie das für den Halter gar nicht sind. Hier fehlt oft die rechtssichere Linie. Ich denke, auch deutsche Gerichte werden sich in Zukunft vermehrt mit der Abgrenzung von Meinung und staatlicher Darstellung auf Kennzeichen beschäftigen müssen.

DieBewertung.de: Herr Reime, danke für das Gespräch. Und fahren Sie vorsichtig – egal, was auf Ihrem Nummernschild steht.

RA Jens Reime (lacht): Danke – mein Kennzeichen ist ganz brav. Noch.

Kommentar hinterlassen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Ähnliche Beiträge
Interviews

Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek: Was bedeutet der zweite Sonderbeauftragte bei der VdW Pensionsfonds AG?

Frage: Herr Blazek, die BaFin hat einen zweiten „Sonderbeauftragten“ bei der VdW...

Interviews

Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime zur Pan American Energy Corp. und dem Boom seltener Erden

Redaktion: Herr Reime, Seltene Erden sind derzeit in aller Munde. Was halten...

Interviews

Ein Erbschein ist kein Freifahrtschein für Europa

Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev, Fachanwältin für Erbrecht, zur aktuellen Entscheidung des...

Interviews

Anbieter stehen in der Pflicht – nicht die Spieler

Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zur Entscheidung des OLG Frankfurt über Erstattung...