Verwaltungsgericht Aachen: Lützerath – Eilanträge gegen die zugunsten von RWE erfolgte vorzeitige Besitzeinweisung abgelehnt

Mit zwei Beschlüssen vom heutigen Tag hat die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen den Eilantrag eines Hofbesitzers in Lützerath (6 L 418/21) sowie den Eilantrag zweier Mieter von Räumlichkeiten auf den Hofgrundstücken (6 L 433/21) gegen Beschlüsse der Bezirksregierung Arnsberg abgelehnt, mit denen die RWE Power AG als Betreiberin des Tagebaus Garzweiler II zum 1. November 2021 vorzeitig in den Besitz dieser Grundstücke eingewiesen worden ist. Hinsichtlich der Grundstücke, die am Rand der derzeitigen Abbruchkante des Tagebaus in Lützerath gelegen sind, war zuvor am 17. Dezember 2020 ein sog. Grundabtretungsbeschluss ergangen, der im Enteignungsverfahren den – aufgrund mehrerer Klagen mit aufschiebender Wirkung noch nicht erfolgten – Eigentumsübergang auf die Betreiberin vorbereiten soll. Weil die Betreiberin mit vorbereitenden Arbeiten für die Abbaggerung der Grundstücke (u. a. Beseitigung von Grünstrukturen, Abreißen von Gebäuden etc.) jedoch schon zum 1. November 2021 beginnen will, bedarf sie für den erforderlichen Zugriff auf die Grundstücke sog. vorzeitiger Besitzeinweisungen. Diese sind gegenüber den Antragstellern am 7. Mai 2021 bzw. am 25. Juni 2021 erfolgt und von diesen angegriffen worden. Die auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichteten Eilanträge hat das Gericht nunmehr abgelehnt und die Besitzeinweisungsbeschlüsse als voraussichtlich rechtmäßig bewertet.

Zur Begründung hat die Kammer u. a. darauf hingewiesen, dass der Abbau der Braunkohle unter den Hofgrundstücken und die hierfür notwendige bergbauliche Inanspruchnahme desselben den landesrechtlichen Planungsentscheidungen entspreche. Die Leitentscheidung der Landesregierung aus dem Jahr 2021 sehe weiterhin eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke für den Tagebau Garzweiler II vor. Auch die bundesgesetzlichen Regelungen zum Kohleausstieg gingen von einem energiewirtschaftlichen Bedarf des Rohstoffs Braunkohle mindestens bis zum Jahr 2035 aus. Es sei zuallererst eine energiepolitische Entscheidung des Bundes und der Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen wollten. Diesbezüglich stehe ihnen ein erheblicher Einschätzungsspielraum zu, der gerichtlich nur darauf überprüft werden könne, ob die getroffene Entscheidung offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen sei, wie sie insbesondere in den Grundrechten – hier vor allem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG – oder den Staatszielbestimmungen – hier insbesondere Art. 20a GG – zum Ausdruck kämen. Dies sei trotz der unbestreitbaren Klima- und Umweltschädlichkeit des Braunkohleabbaus bzw. der Braunkohleverstromung sowie des Klimawandels mit seinen weitreichenden Folgen auch für Deutschland nicht festzustellen. Insbesondere sei zum heutigen Zeitpunkt noch keine Verdichtung des Klimaschutzgebots aus Art. 20a GG hin zu einem verfassungsrechtlich zwingenden Gebot zum sofortigen oder gegenüber den bisherigen Planungen frühzeitigen Kohleausstieg anzunehmen, welches die gesetzgeberisch festgelegte Gemeinwohldienlichkeit der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle als offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen erscheinen ließe. Ein solcher Ansatz liefe auf eine angesichts der (noch) bestehenden Bandbreite verfassungskonformer Handlungsoptionen zum Erreichen der Pariser Klimaziele zumindest derzeit noch nicht zu rechtfertigende verfassungsrechtliche Determinierung eines isolierten Klimaschutzinstruments hinaus.

Der Tagebau Garzweiler II sei weiterhin im geplanten Umfang für die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle erforderlich. Für die Erforderlichkeit genüge, dass das Vorhaben in der Lage sei, – wie hier – einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels zu leisten. Nicht erforderlich sei, dass ohne das Vorhaben die Energieversorgung (unmittelbar) gefährdet wäre. Die Grundstücke der Antragsteller seien ihrerseits zudem für eine technisch und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsführung des Tagebaus Garzweiler II erforderlich, insbesondere bestehe keine „Umfahrungsmöglichkeit“. Im Rahmen der Gesamtabwägung habe der Antragsgegner auch in ausreichendem Umfang die besondere Schwere des Eingriffs u. a. hinsichtlich des Eigentumsentzugs an bewohnten Immobilien sowie der Umsiedlungen berücksichtigt. Dass im Ergebnis dennoch ein Überwiegen des Gemeinwohlziels einer Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II zur Sicherung der Energieversorgung festgestellt werde, sei vor dem Hintergrund der energiepolitischen Grundentscheidungen gerichtlich nicht zu beanstanden.

Die Antragsteller können, gegen die ihnen heute zugestellten Beschlüsse innerhalb von zwei Wochen Beschwerde einlegen, über die das Oberverwaltungsgericht in Münster entscheidet.

Aktenzeichen: 6 L 418/21 und 6 L 433/21

 

Hinweis:

Die Entscheidungen sind in den beiden bei Gericht anhängigen Eilverfahren ergangen. Gegen verschiedene behördliche Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Braunkohletagebau Garzweiler II sind bei Gericht weitere Klageverfahren anhängig. In zwei Verfahren wird der am 20. Dezember 2019 zugelassene und sofort vollziehbare Hauptbetriebsplan für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis zum 31. Dezember 2022 (Hauptbetriebsplan 2020-2022) angegriffen, der u. a. eine bergbauliche Inanspruchnahme der Grundstücke in Form vorbereitender Maßnahmen im 4. Quartal 2021 vorsieht. Vier Klageverfahren betreffen den Grundabtretungsbeschluss vom 17. Dezember 2020 und in drei weiteren Klageverfahren werden Beschlüsse über die vorzeitige Besitzeinweisung im Hauptsacheverfahren angefochten. Wann in diesen Verfahren entschieden bzw. verhandelt werden wird, ist derzeit noch offen.

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