In weiten Teilen der USA erlebt eine gefährliche Praxis ein stilles Comeback: die sogenannte Konversionstherapie. Obwohl von allen führenden medizinischen Fachgesellschaften als pseudowissenschaftlich, schädlich und ethisch bedenklich verurteilt, berichten Betroffene und frühere Insider von einem Wiedererstarken der Bewegung – subtiler, verdeckter, aber nicht minder zerstörerisch.
Der Fall von Andrew Pledger, einem ehemaligen Studenten der streng evangelikalen Bob Jones University, zeigt exemplarisch, was Konversionstherapie anrichten kann. In einem Zustand tiefer Verzweiflung suchte Pledger Hilfe an seiner Universität – und landete auf einer abgewetzten Couch, in einem Raum, den er nie vergessen wird. Statt psychologischer Unterstützung erhielt er eine religiös motivierte „Behandlung“, die ihn verändern sollte. Die Sitzung – die er heimlich aufnahm – ist heute Beweismittel für den emotionalen Missbrauch, den er erlebte.
Pledger ist nicht allein. CNN sprach mit mehreren Betroffenen, die Ähnliches durchlebten: Selbstzweifel, Angst, Suizidgedanken – und das Versprechen, dass man nur genug beten müsse, um „geheilt“ zu werden. Dabei ist längst erwiesen: Konversionstherapie verändert keine Sexualität, sondern zerstört das Selbstwertgefühl. Studien zeigen ein deutlich erhöhtes Risiko für Depressionen und Suizid bei Betroffenen.
Die Praxis ist in 23 US-Bundesstaaten für Minderjährige verboten – doch genau diese Verbote werden aktuell in mehreren konservativ regierten Staaten wieder aufgeweicht oder aufgehoben. So etwa in Kentucky, wo das Parlament kürzlich eine Regelung kippte, die staatliche Gelder für Anbieter der Therapie untersagte.
Die neue Tarnung
Konversionstherapie hat sich gewandelt: Statt öffentlicher „Heilungscamps“ wie in den 1990ern operieren viele Anbieter heute diskret – in Pastorenbüros, Jugendgruppen oder unter dem Deckmantel der „Beratung“. Oft wissen Betroffene gar nicht, dass sie Teil einer umstrittenen Behandlung sind, bis es zu spät ist.
Auch frühere führende Köpfe der Bewegung wie John Smid oder Bill Prickett schlagen Alarm. Beide waren über Jahrzehnte Teil der „ex-gay“-Bewegung – heute sprechen sie offen von Täuschung, Selbstverleugnung und Schuld. „Wir haben Menschen verletzt. Und manche haben sich deswegen das Leben genommen“, sagt Prickett.
Der Preis der Unterdrückung
Einer der erschütterndsten Berichte stammt von Rocky Tishma. Als Teenager wurde er heimlich in Konversionstherapie geschickt, ohne es seinen Eltern sagen zu dürfen. Jahrzehnte später berichtet er von Selbsthass, Sucht, Angststörungen – und dem langen Weg zurück zu sich selbst. Heute arbeitet er als Therapeut für andere Überlebende.
Sein Kollege Curtis Lopez-Galloway hat eine Selbsthilfegruppe gegründet, die mittlerweile über 100 Mitglieder zählt. „Die Geschichten, die wir hören, sind zutiefst traumatisch“, sagt er. „Es dauert Jahre, um das zu heilen – wenn überhaupt.“
Ein Kampf vor Gericht
Noch in diesem Herbst will der Supreme Court der USA über ein Gesetz in Colorado entscheiden, das Konversionstherapie bei Minderjährigen verbietet. Das Urteil könnte Signalwirkung haben – für alle Bundesstaaten. Aktivisten befürchten: Sollte das Gericht die Praxis unter dem Deckmantel religiöser oder elterlicher Freiheit zulassen, wären bestehende Schutzgesetze in Gefahr.
Fazit
Die Rückkehr der Konversionstherapie zeigt, wie verletzlich Fortschritt sein kann – selbst in einer Gesellschaft, die sich als aufgeklärt versteht. Was für die einen ein „Beratungsangebot“ ist, bedeutet für andere lebenslange Narben. Menschen wie Andrew Pledger, Rocky Tishma und Curtis Lopez-Galloway kämpfen mit ihren Stimmen dagegen an – und erinnern daran, dass Schweigen oft der schlimmste Teil des Traumas ist.
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