Mehrere polnische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Birkenstock-Werks im mecklenburg-vorpommerschen Pasewalk erheben schwerwiegende Vorwürfe gegen ihren Arbeitgeber. Eine Recherche des NDR zeichnet ein Bild von belastenden Arbeitsbedingungen, die von psychischem Druck und mutmaßlichem Mobbing bis hin zu möglichen Verstößen gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz reichen.
Ende November trafen sich Journalistinnen und Journalisten in Stettin mit 13 Frauen und Männern, die aktuell oder früher im Werk Pasewalk beschäftigt waren. Der Standort ist Teil der internationalen Produktionskette des traditionsreichen Schuhherstellers, der dort vor allem Sandalen und Schuhe fertigt.
Besonders eindrücklich sind die Schilderungen der Polin Paulina Staron, die Anfang Dezember 2023 als ungelernte Arbeitskraft begann. Sie berichtet von strengen Arbeitsvorgaben, bei denen ihr teilweise über Stunden hinweg der Gang zur Toilette untersagt worden sei. Darüber hinaus schildert sie ein Arbeitsklima, das von Anschreien, Einschüchterung und Angst geprägt gewesen sei.
Nach ihren Angaben kam es im Januar 2025 zu einem besonders schweren Vorfall. Ein Teamleiter habe sie während einer Nachtschicht ins Gesicht geschlagen. Sie habe den Vorfall unmittelbar bei ihrem Vorgesetzten gemeldet, jedoch keine Unterstützung oder Konsequenzen erlebt. Stattdessen sei der Vorfall aus ihrer Sicht intern ignoriert worden. Die psychischen Folgen seien erheblich gewesen. Paulina Staron befindet sich nach eigenen Angaben in therapeutischer Behandlung und leidet an Depressionen, die sie auf ihre Erfahrungen im Werk zurückführt.
Birkenstock weist diese Vorwürfe zurück. Das Unternehmen erklärte schriftlich, ein Zeuge habe bestätigt, dass es keinen Schlag gegeben habe, sondern lediglich eine unbeabsichtigte Berührung im Rahmen einer Arbeitsanweisung. Eine weitere Zeugin habe kurz nach dem Vorfall keine sichtbaren Verletzungen festgestellt. Nach interner Prüfung habe es keine ausreichende Grundlage für arbeitsrechtliche Maßnahmen gegeben. Der betreffende Teamleiter habe das Unternehmen später aus anderen, nicht zusammenhängenden Gründen verlassen.
Eine frühere Kollegin von Staron schildert den Vorfall jedoch anders. Sie berichtet, die Betroffene sei unmittelbar nach dem Ereignis in eine andere Arbeitsgruppe versetzt worden und habe eine deutlich sichtbare Spur im Gesicht gehabt. Zudem sei sie emotional stark aufgelöst gewesen. Aus Sicht der Kollegin sei der Vorfall nicht angemessen aufgearbeitet worden.
Neben den Gewaltvorwürfen berichten mehrere der Befragten von systematischem Mobbing. Eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte und hier Katarzyna genannt wird, schildert ein Klima der Kontrolle und Bloßstellung. Sie habe detailliert dokumentieren müssen, wann und wie lange sie die Toilette aufsuche. Zudem sei sie aufgefordert worden, mitzuteilen, wenn sie ihre Periode habe, und diese Information auch gegenüber Kolleginnen offenzulegen. Nach ihrer Beschwerde bei der Werksleitung in Pasewalk und beim Unternehmenssitz in Linz am Rhein sei ihr mitgeteilt worden, dass ihr Arbeitsvertrag nicht verlängert werde.
Birkenstock bestreitet auch diese Darstellung. Das Unternehmen erklärte, es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass Mitarbeitende verpflichtet worden seien, Angaben zu ihrer Menstruation zu machen oder Toilettenpausen zu protokollieren. Arbeitsrechtlich relevante Verstöße seien demnach nicht festgestellt worden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Vorwürfe betrifft den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eine Mitarbeiterin aus der maschinellen Fertigung von Kunststoffsandalen berichtet von gesundheitlichen Beschwerden, die sie auf den Einsatz von Chemikalien zurückführt. Die Maschinen würden regelmäßig mit einer Flüssigkeit besprüht, wodurch Dämpfe entstünden. Nach einigen Wochen habe sie an anhaltenden Halsschmerzen gelitten und ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Nach ihrer Darstellung habe ein Arzt die Beschwerden auf chemische Dämpfe zurückgeführt.
Die Beschäftigte reichte daraufhin anonym eine Beschwerde beim Landesamt für Gesundheit und Soziales ein. In dem Schreiben wird beschrieben, dass das Trennmittel Fibrolit mehrfach täglich zur Maschinenreinigung eingesetzt werde, ohne ausreichende Belüftung, ohne Absaugung und ohne Atemschutzmasken. In der Beschwerde ist von Reizhusten, Kopfschmerzen, Schwindel, Benommenheit, ständiger Müdigkeit und allgemeinem Unwohlsein bei zahlreichen Mitarbeitenden die Rede.
Fachleute ordnen Fibrolit als Lösungsmittel beziehungsweise Leichtbenzin ein, das mit Mineralstoffen versetzt ist. Solche Stoffe sollten ausschließlich in gut belüfteten Räumen verwendet werden. Ein langfristiges oder wiederholtes Einatmen der Dämpfe gilt als gesundheitlich bedenklich und kann zu chronischen Beschwerden führen.
Die Vorwürfe werfen Fragen nach der Verantwortung von Unternehmen gegenüber ihren Beschäftigten auf, insbesondere in international geprägten Belegschaften. Ob und in welchem Umfang Behörden die geschilderten Missstände prüfen, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch: Die Aussagen der Betroffenen und die widersprechenden Darstellungen des Unternehmens stehen bislang unaufgelöst gegenüber und könnten weitere arbeitsrechtliche oder behördliche Schritte nach sich ziehen.
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