Japan gilt international als Vorbild in Sachen Sauberkeit. Doch wer als Tourist das Land besucht, stellt schnell eine merkwürdige Diskrepanz fest: Trotz blitzblanker Straßen und öffentlicher Plätze sucht man öffentliche Mülleimer oft vergeblich.
Diese Frage beschäftigt nicht nur Reisende, sondern auch Wissenschaftler wie Professor Chris McMorran von der National University of Singapore, der regelmäßig Studienreisen nach Japan begleitet. Die häufigste Rückmeldung seiner Studenten: „Wohin mit dem Müll?“
Eine Umfrage der Japanischen Tourismusorganisation (JNTO) unter ausreisenden Touristen bestätigt den Eindruck: 22 % gaben das Fehlen öffentlicher Müllbehälter als größtes Problem während ihres Aufenthalts an – noch vor der Sprachbarriere oder überfüllten Sehenswürdigkeiten.
Kultur statt Container
Der Grund dafür liegt in Japans gesellschaftlichen Normen: Essen auf der Straße gilt als unhöflich. Wer Snacks oder Getränke bei einem Kombini (Convenience Store) kauft, verzehrt diese oft zuhause oder im Büro. Viele Japaner tragen kleine Beutel bei sich, um Müll mit nach Hause zu nehmen – ein Konzept, das für viele Touristen ungewohnt ist.
„Besonders junge, preisbewusste Reisende, die viel unterwegs essen, stehen vor dem Problem“, so McMorran. „Sie haben keinen Ort, um ihre Verpackungen zu entsorgen.“
Tourismus als Herausforderung
In Städten wie Nara, bekannt für ihre zahmen Hirsche, wurde das Problem besonders akut. Nachdem 2019 mehrere Tiere an Plastik verendeten, hat die Stadt neue solarbetriebene Mülleimer mit dem Aufdruck „Save the deer“ installiert – ein Umdenken nach jahrzehntelanger Mülleimer-Abstinenz.
Auch Tokios Szeneviertel Shibuya musste nach Halloween-Feierexzessen handeln: Straßenalkoholkonsum wurde verboten, teils auch wegen der Vermüllung.
Sicherheit geht vor
Ein weiterer, weniger bekannter Grund für das Fehlen von Mülleimern ist die Angst vor Terroranschlägen. Nach dem Sarin-Gas-Attentat der Aum-Sekte 1995 in der Tokioter U-Bahn, bei dem 14 Menschen starben, wurden viele Mülleimer entfernt. Heute existieren in Bahnhöfen nur durchsichtige Müllsäcke, um gefährliche Inhalte sichtbar zu machen.
Mülltrennung als Lebensstil
Hinzu kommt Japans komplexes Recyclingsystem. In manchen Gemeinden gibt es bis zu 20 verschiedene Müllkategorien – ein Aufwand, der öffentliche Entsorgung erschwert.
Fazit: Müll mitnehmen – wie ein echter Japaner
Wer als Tourist vorbereitet sein will, greift zum traditionellen Furoshiki – einem quadratischen Tuch, das nicht nur als modischer Müllbeutel-Ersatz dient, sondern später als Souvenir ein neues Leben bekommt.
In Japan bedeutet Sauberkeit eben nicht, dass jemand aufräumt – sondern dass niemand etwas liegenlässt.
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