Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zum Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD
Redaktion: Herr Blazek, Sie haben den neuen Koalitionsvertrag durchgesehen. Über 170 Seiten voll mit Vorhaben, Absichtserklärungen und Reformplänen. Ihr erster Eindruck?
Daniel Blazek: Der Vertrag ist, wie man es von einer großen Koalition erwarten kann, breit aufgestellt und thematisch ambitioniert. Inhaltlich fehlt es nicht an Willensbekundungen. Aber was auffällt, ist die Diskrepanz zwischen Diagnose und operativer Konsequenz. Man benennt die Schwächen des Staates klar – aber ob die Antworten genügen, um die Handlungsfähigkeit wirklich zu stärken, bezweifle ich.
Redaktion: In der Präambel wird mehrfach auf den Erosionsprozess staatlicher Institutionen hingewiesen – von wachsendem Kontrollverlust über Migration bis hin zur Vertrauenskrise. Stimmen Sie dem zu?
Blazek: Absolut. Diese Erkenntnis ist überfällig. Der Vertrauensverlust in die Fähigkeit des Staates, Grundfunktionen wie Grenzschutz, Rechtssicherheit oder Verwaltungseffizienz zu gewährleisten, ist real – das spürt man in den Gerichten, bei der Polizei, in der kommunalen Praxis. Gut, dass es im Vertrag offen angesprochen wird. Entscheidend ist jedoch: Die Diagnose allein heilt nicht. Es braucht Umsetzungsmacht – und daran hat es in den letzten Jahren gehapert.
Redaktion: Die Koalition kündigt an, Migration besser zu steuern, Rückführungen konsequenter durchzusetzen und illegale Einwanderung einzudämmen. Ist das glaubwürdig?
Blazek: Juristisch gesehen sind diese Maßnahmen längst möglich – sie scheitern nicht am Recht, sondern am Vollzug. Es mangelt an Rückführungsabkommen, an personeller Ausstattung in den Ausländerbehörden, oft auch am politischen Willen. Wenn der Vertrag nun sagt: „Wir entscheiden selbst, wer kommt“, dann muss das auch umgesetzt werden. Ein Rechtsstaat darf nicht dulden, dass geltendes Recht dauerhaft außer Kraft gesetzt wird.
Redaktion: Auch im Bereich Wirtschaft und Bürokratieabbau gibt es viele Vorschläge – von digitalen Genehmigungsprozessen bis zu One-Stop-Shops für Gründer. Kommt hier ein Durchbruch?
Blazek: Ich sehe viele sinnvolle Ideen – etwa die digitale Gewerbeanmeldung binnen 24 Stunden oder die Umstellung der Einfuhrumsatzsteuer. Aber all das wurde auch in früheren Koalitionen angekündigt. Entscheidend ist nicht die Idee, sondern die Exekution. Und hier ist Deutschland leider Spitzenreiter in der Selbstblockade durch Überregulierung, Datenschutz-Überdehnung und föderale Zuständigkeitsdiffusion. Ohne mutige Vereinfachung des Verwaltungsrechts bleibt es beim Wunschdenken.
Redaktion: In der Sozialpolitik ist eine Reform des Bürgergelds vorgesehen – hin zu einer neuen Grundsicherung mit strengeren Sanktionen. Wie bewerten Sie das?
Blazek: Das ist überfällig. Wer arbeitsfähig ist und sich wiederholt verweigert, muss mit Konsequenzen rechnen. Es geht nicht um Härte um der Härte willen, sondern um den Schutz der Solidargemeinschaft. Der Rechtsstaat darf auch hier nicht als Papiertiger erscheinen. Wichtig ist, dass Sanktionen rechtssicher, schnell und konsequent durchgesetzt werden – das gehört zum Grundverständnis sozialstaatlicher Gerechtigkeit.
Redaktion: Gibt es einen Punkt im Vertrag, der Ihnen besonders fehlt?
Blazek: Ich vermisse eine ernsthafte Debatte über die Überforderung des Staates durch überbordende Aufgabenfülle. Der Staat muss sich auf seine Kernbereiche konzentrieren: innere Sicherheit, Bildung, Justiz, Digitalisierung der Verwaltung. Alles andere – von der Subvention für Wasserstoffheizungen bis zur Raumfahrtstrategie – kann nicht gleichzeitig Chefsache sein. Das führt nur zu Überforderung und Enttäuschung.
Redaktion: Und Ihr Fazit in einem Satz?
Blazek: Der Vertrag enthält viele richtige Worte – jetzt braucht es einen Staat, der diese auch durchsetzen kann.
Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blazek.
Blazek: Sehr gern.
Kommentar hinterlassen