Sekt, Glühwein und Likör gelten für viele noch immer als fester Bestandteil der Weihnachtszeit. Gleichzeitig wächst jedoch die Zahl der Menschen, die sich ganz bewusst gegen Alkohol entscheiden – auch und gerade an den Feiertagen. Der gesellschaftliche Umgang mit diesem Verzicht zeigt, wie tief Alkohol kulturell verankert ist und wie schwer es vielen fällt, ein schlichtes „Nein“ zu akzeptieren.
Ein Blick ins Internet verdeutlicht den Druck, der offenbar weiterhin besteht: Wer Begriffe wie „kein Alkohol Ausreden“ sucht, stößt auf unzählige Foren und Ratgeber. Dort werden Strategien empfohlen, um den Alkoholverzicht möglichst unauffällig zu gestalten – etwa Wasser mit Limette als vermeintlichen Cocktail zu bestellen. Dass Menschen überhaupt zu solchen „Ausreden“ greifen, zeigt, wie erklärungsbedürftig Abstinenz noch immer wahrgenommen wird.
Erstes Weihnachten ohne Alkohol – und viele Rechtfertigungen
Diese Erfahrung hat auch Natalie O. aus der Nähe von München gemacht. Die 30-Jährige trinkt seit rund zweieinhalb Jahren keinen Alkohol mehr. „Mein erstes Weihnachten ohne Alkohol – da musste ich mich sehr rechtfertigen“, berichtet sie. Freunde hätten sie als langweilig bezeichnet oder ihr vorgeworfen, keinen Spaß mehr zu verstehen. Ihre Entscheidung sei als übertrieben abgetan worden.
Dabei war der Verzicht zunächst gar nicht als dauerhafte Lebensentscheidung geplant. Nach dem Oktoberfest 2023 wollte Natalie lediglich bis Weihnachten pausieren. Doch die positiven Effekte überzeugten sie: mehr körperliche Erholung, bessere Abgrenzung, Gewichtsverlust, verbesserte Haut und ein insgesamt besseres Wohlbefinden. Aus der Pause wurde ein bewusster Lebensstil.
Alkoholkonsum sinkt – auch statistisch
Natalies Entscheidung passt in einen größeren gesellschaftlichen Trend. Nach Daten des Robert Koch-Institut trinken inzwischen über 20 Prozent der Erwachsenen in Deutschland gar keinen Alkohol. Insgesamt ist der Alkoholkonsum in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen.
Besonders stark zeigt sich dieser Wandel bei jungen Erwachsenen. Während im Jahr 1973 noch rund 66 Prozent der 18- bis 25-Jährigen mindestens einmal pro Woche Alkohol konsumierten, waren es 2023 nur noch knapp 29 Prozent. Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Trinkhäufigkeit, sondern auch die insgesamt konsumierten Mengen – ein Trend, den auch Hersteller von Bier und Wein bestätigen.
„Eigentlich reicht doch ein Nein“
Trotzdem sehen sich viele alkoholfreie Menschen weiterhin mit Kommentaren und Nachfragen konfrontiert. Professorin Gabi Koller, Oberärztin am LMU Klinikum und Expertin für Suchterkrankungen, kennt dieses Problem gut aus der Praxis. „Es ist wahnsinnig schwierig, einfach zu sagen: ‚Ich trinke keinen Alkohol‘“, sagt sie. Dabei müsse es keine Begründung geben. „Eigentlich reicht doch ein Nein.“
Zwar gewinnen alkoholfreie Alternativen und sogenannte „Sober Partys“ zunehmend an Beliebtheit, doch gesellschaftliche Erwartungen halten sich hartnäckig – gerade an Feiertagen, die traditionell mit Alkohol verknüpft sind.
Für Suchtkranke besonders schwierige Zeit
Für Menschen, die nach einer Abhängigkeit abstinent leben, sind Weihnachten und der Jahreswechsel besonders heikel. Felix Bauriedel, Assistenzarzt auf der Suchtstation des LMU Klinikums, beobachtet in dieser Zeit ein erhöhtes Rückfallrisiko. Familiäre Spannungen, Einsamkeit oder der emotionale Druck der Feiertage wirkten als zusätzliche Belastung. „Das ist eine ganz kritische Zeit“, sagt er.
Ein leiser Kulturwandel
Der bewusste Verzicht auf Alkohol ist längst kein Randphänomen mehr. Für viele steht er für Selbstfürsorge, Gesundheit und klare Grenzen. Dennoch zeigt die Weihnachtszeit, wie sehr gesellschaftliche Rituale noch von Alkohol geprägt sind. Der wachsende Trend zur Nüchternheit deutet jedoch darauf hin, dass sich diese Normen langsam verändern – auch wenn der Weg zu mehr Akzeptanz noch nicht abgeschlossen ist.
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