Immer mehr Jugendliche geraten durch die Macht sozialer Medien in einen gefährlichen Strudel aus Selbstoptimierung, Kalorienzählen und krankhaftem Perfektionismus. Vor allem junge Frauen lassen sich von Fitness-Influencerinnen, Diät-Gurus und „Body-Transformation“-Videos unter Druck setzen – mit verheerenden Folgen für ihre körperliche und seelische Gesundheit.
Was als vermeintliche Motivation für ein gesünderes Leben beginnt, endet bei vielen in einer Essstörung, die das ganze Leben bestimmt.
„Ich wollte aussehen wie die Influencerinnen“ – Wenn Social Media zum Auslöser wird
„Rückblickend war Social Media echt ein riesiger Faktor bei meiner Essstörung“, erzählt die 17-jährige Amira*. Während der Corona-Pandemie verbrachte sie viel Zeit auf YouTube und TikTok, schaute „Shred Challenges“ und Fitnessprogramme, bei denen es darum geht, innerhalb weniger Wochen möglichst viel Gewicht zu verlieren. Die Videos suggerieren Disziplin, Stärke – und den Traum vom perfekten Körper.
Auch Maya*, ebenfalls 17 Jahre alt, verfiel dieser Scheinwelt. Sie folgte Accounts, die extreme Diäten und exzessiven Sport propagierten. „Ich hatte ein Gewichtsziel von 30 Kilo“, sagt sie. „Ich wusste, dass das nicht realistisch war – wenn ich da angekommen wäre, wäre ich tot.“
Was beide erlebten, ist kein Einzelfall: Studien zeigen, dass der Konsum von Social Media-Inhalten, die sich um Fitness, Diät oder Körperästhetik drehen, das Risiko für Essstörungen deutlich erhöht.
Der Algorithmus verstärkt den Teufelskreis
Soziale Medien funktionieren nach einfachen Regeln: Je extremer der Inhalt, desto mehr Reichweite erhält er. Wer sich einmal Fitnessvideos oder Diät-Posts anschaut, bekommt vom Algorithmus immer mehr davon angezeigt – und wird tiefer in die Welt aus Kalorienzählen, Verzicht und Selbstkritik hineingezogen.
Was als Motivation beginnt, verwandelt sich schnell in Zwang und Selbsthass. Likes, Vergleichsbilder und vermeintlich perfekte Körper werden zum Maßstab des eigenen Wertes. „Irgendwann drehte sich mein ganzes Leben nur noch ums Schlanksein“, erzählt Amira.
Von harmlosen Tipps zur lebensbedrohlichen Krankheit
Was viele Influencerinnen als „Lifestyle“ verkaufen, kann lebensgefährlich werden. Maya wog bei einer Körpergröße von 1,76 Metern nur noch 40 Kilogramm. Sie aß teilweise nur zwei bis drei Reiswaffeln am Tag und trieb exzessiv Sport – bis zur Erschöpfung. „Ich habe mich extra kälter angezogen, um mehr Energie zu verbrauchen“, erzählt sie.
Beide Mädchen mussten mehrfach in Kliniken behandelt werden. Essstörungen wie Anorexie und Bulimie gehören laut Statistischem Bundesamt mittlerweile zu den häufigsten psychischen Erkrankungen bei jungen Frauen. Die Zahl der stationären Behandlungen ist in den letzten Jahren drastisch gestiegen.
Auch Jungen sind betroffen – aber anders
Während Mädchen häufiger mit Magersucht oder Bulimie kämpfen, entwickeln Jungen zunehmend Muskel-Dysmorphien – sie fühlen sich zu dünn oder nicht muskulös genug. Auf TikTok und Instagram kursieren Fitness-Challenges, die auf männliche Körperideale abzielen und ebenfalls massiven Druck erzeugen.
Experten fordern strengere Regulierung und Aufklärung
Psychologinnen und Jugendforscher fordern mittlerweile, soziale Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Algorithmen müssten transparenter gestaltet, gefährliche Inhalte wie „Pro-Ana“- oder „Thinspo“-Videos konsequenter gelöscht werden.
Gleichzeitig brauche es mehr Aufklärung an Schulen. Jugendliche müssten verstehen, dass die Körper, die sie online sehen, bearbeitet, gefiltert und inszeniert sind.
Hoffnung durch Therapie – aber der Weg ist lang
Amira und Maya haben den schwierigsten Schritt bereits geschafft: Sie sprechen über ihre Krankheit. Beide sind in Therapie, lernen wieder, normal zu essen und sich selbst anzunehmen. Doch der Weg zurück ist lang.
„Social Media hat mich kaputtgemacht“, sagt Maya. „Aber ich will nicht, dass es auch andere kaputtmacht.“
Fazit
TikTok, Instagram und Co. können inspirieren – aber auch zerstören. Wenn aus Motivation Kontrolle wird, wenn Likes wichtiger sind als Gesundheit, wird der digitale Raum zur Gefahr. Essstörungen sind keine Modeerscheinung, sondern ein Hilfeschrei nach Anerkennung in einer Welt, die Perfektion zur Pflicht gemacht hat.
Gesellschaft, Plattformen und Politik stehen in der Verantwortung, junge Menschen besser zu schützen – vor Algorithmen, Idealen und sich selbst.
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