Online-Shopping ist längst Alltag – doch die nächste große Veränderung steht bereits bevor: Künstliche Intelligenz soll künftig nicht nur beim Einkaufen helfen, sondern Entscheidungen gleich ganz übernehmen.
Technologiekonzerne wie Google, Amazon und OpenAI liefern sich ein Wettrennen um die Integration KI-gestützter Shopping-Tools. Ziel ist es, sich dauerhaft im Alltag der Nutzer zu verankern – und damit neue Geschäftsmodelle zu erschließen.
„Wer es schafft, in diesem Bereich unverzichtbar zu werden, kann die Aufmerksamkeit der Nutzer auf vielfältige Weise monetarisieren“, erklärt Jeremy Goldman, Marketing- und Tech-Experte bei eMarketer.
Online-Shopping als digitales Grundbedürfnis
Einkaufen zählt zu den zentralen Tätigkeiten im Internet. Und da immer mehr Verbraucher KI für Kaufentscheidungen nutzen, geraten etablierte Anbieter wie Google und Amazon unter Druck – insbesondere durch aufstrebende Player wie OpenAI oder Perplexity.
Seit September können US-Nutzer über ChatGPT Produkte von Etsy direkt kaufen – ohne die Plattform zu verlassen. Im Oktober folgte eine Kooperation mit Walmart. Auch Perplexity, ein aufstrebender KI-Browser, erlaubt Nutzern, Einkaufsagenten einzurichten, die etwa Amazon-Bestellungen automatisieren – was Amazon jedoch mit einer Abmahnung quittierte.
Laut exklusiven Daten von Salesforce sollen zwischen dem Dienstag vor Thanksgiving und dem Cyber Monday weltweit rund 73 Milliarden US-Dollar an Online-Verkäufen mithilfe von KI zustande kommen – das wären 22 % aller Online-Bestellungen in diesem Zeitraum. Der Begriff „KI“ umfasst dabei alles von Chatbot-Abfragen bis zu KI-generierten Produktempfehlungen oder automatisierten Kundenservice-Angeboten.
Laut Salesforce ist der Traffic durch KI-Assistenten im ersten Halbjahr 2025 um 119 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Google und Amazon kontern mit eigenen Innovationen
Am Donnerstag kündigte Google eine Reihe neuer KI-Shoppingfunktionen an. Unter anderem soll die KI telefonisch bei lokalen Händlern nach Produktverfügbarkeit, Sonderangeboten und Preisen fragen können. Die Funktion wird schrittweise in den Suchergebnissen unter dem Hinweis „Google ruft für Sie an“ eingeführt.
Zudem wird es künftig möglich sein, direkt über Googles Gemini-Chatbot-App einzukaufen. Eine neue Preisverfolgungsfunktion kann – mit Zustimmung des Nutzers – automatisch Bestellungen auslösen, wenn ein Preis unter einen definierten Wert fällt. Google zufolge laufen täglich über eine Milliarde shoppingbezogene Suchanfragen über die eigenen Plattformen.
Auch Amazon hat in den letzten Jahren KI-Funktionen in seine Shopping-App integriert, darunter den digitalen Assistenten Rufus, der Fragen zu Produkten beantwortet und Empfehlungen gibt. Laut CEO Andy Jassy ist die Nutzung von Rufus um 210 % gestiegen; Nutzer, die Rufus verwenden, schließen 60 % häufiger einen Kauf ab.
Das Internet im KI-Zeitalter
Die Integration von KI ins Shopping ist Teil eines umfassenderen Wandels: Wer etwa über ChatGPT oder Gemini eine Party plant, könnte künftig automatisch passende Produkte wie Deko, Snacks oder Geschenke vorgeschlagen – oder gleich bestellt – bekommen.
„Wir glauben, dass sich diese Erfahrungen sinnvoll ergänzen“, sagt Vidhya Srinivasan, zuständig für Anzeigen und Handel bei Google. „Sie verändern, wie Menschen Informationen suchen – und wie sie Dinge erledigen.“
Auch bei der Marktforschungsgesellschaft Gartner vergleicht man die Bedeutung von KI mit technologischen Meilensteinen wie dem Smartphone, dem Internet oder dem PC. Analyst Brad Jashinsky: „Solche Umbrüche bieten nicht nur Startups Chancen – auch Unternehmen, die bislang nicht führend waren, können plötzlich die Nase vorn haben.“
Doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ChatGPT Amazon oder Google kurzfristig überholt. Die Platzhirsche verfügen über umfassende Ökosysteme – etwa Amazon Prime – und enorme Marktpräsenz. Laut einer Studie des Pew Research Center vom Juni 2025 haben 66 % der US-Amerikaner ChatGPT noch nie genutzt, 20 % haben noch nie davon gehört.
Dennoch steht für die Tech-Branche mehr auf dem Spiel als nur der Onlinehandel.
„Die große Frage lautet: Möchte ich Teil der Vision eines anderen sein – oder meine eigene Realität im Netz gestalten?“, sagt Analyst Goldman. „Will ich ein Speiche im Rad eines anderen sein – oder der Mittelpunkt meines eigenen Ökosystems?“
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