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Interview mit Rechtsanwalt Jens Reime (Bautzen): „Anleger dürfen jetzt keine Zeit verlieren“

TheDigitalArtist (CC0), Pixabay
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Im Fall des mutmaßlichen Millionenbetrugs bei der Dresdner Technologiefirma „Biofabrik“ ermitteln Staatsanwaltschaft und LKA gegen drei Beschuldigte. Rund 470 Anleger sollen um insgesamt neun Millionen Euro geschädigt worden sein. Wir haben mit dem auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Rechtsanwalt Jens Reime aus Bautzen gesprochen – über die aktuelle Lage, die nächsten juristischen Schritte und was betroffene Anleger jetzt konkret tun sollten.

Frage: Herr Reime, die Staatsanwaltschaft spricht von einem „Geldkarussell“ und einem möglichen Millionenbetrug. Was bedeutet das in der Praxis für die betroffenen Anleger?

Jens Reime:
Ein sogenanntes „Geldkarussell“ beschreibt im juristischen Sinne ein System, in dem Kapital von Anlegern über mehrere verbundene Unternehmen hin- und hergeschoben wird – oft mit dem Ziel, Zahlungsströme zu verschleiern und die tatsächliche Verwendung der Gelder zu verschleiern. Wenn, wie hier, Maschinen nie ausgeliefert wurden und Gelder über ein eigenes Finanzierungsunternehmen intern umverteilt wurden, liegt der Verdacht nahe, dass das investierte Kapital nie bestimmungsgemäß verwendet wurde. Für die Anleger bedeutet das: Ihr Geld ist vermutlich nicht mehr vorhanden.

Frage: Die Rede ist von 470 Geschädigten und einem Gesamtschaden von rund neun Millionen Euro. Was können die Betroffenen jetzt tun?

Jens Reime:
Wichtig ist: Anleger sollten sich jetzt aktiv melden und ihre Ansprüche sichern. Sobald Vermögensarreste angeordnet sind, geht es darum, möglichst frühzeitig Ansprüche im Verfahren anzumelden – insbesondere, wenn später eine Insolvenz folgt. Wer zu lange wartet, läuft Gefahr, leer auszugehen. Ich rate dringend, Anzeige zu erstatten und sich zivilrechtlich vertreten zu lassen, um mögliche Schadensersatzansprüche gegen die handelnden Personen oder deren Gesellschaften zu prüfen.

Frage: Es wurden Vermögensarreste in Millionenhöhe umgesetzt. Können die Anleger hoffen, dass ein Teil ihres Geldes zurückfließt?

Jens Reime:
Das ist die entscheidende Frage – und leider schwer zu beantworten. Vermögensarreste sind eine Art „Sicherungsmaßnahme“. Das bedeutet: Die Ermittlungsbehörden frieren Vermögenswerte ein, damit sie später – im Falle einer Verurteilung – für Entschädigungen zur Verfügung stehen. Ob und wie viel davon tatsächlich den Anlegern zufließt, hängt davon ab, ob die beschlagnahmten Werte real existieren oder ob es sich um Scheinvermögen handelt. Erfahrungsgemäß bleibt der Schaden in solchen Fällen meist deutlich größer als die gesicherten Vermögenswerte.

Frage: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben Anleger neben der Strafanzeige?

Jens Reime:
Neben der strafrechtlichen Aufarbeitung können Geschädigte zivilrechtliche Schritte einleiten. Dazu gehören Klagen auf Schadensersatz gegen die handelnden Personen, die Gesellschaften und – falls nachweisbar – auch gegen Vertriebspartner oder Berater, die die Anlagen vermittelt haben.
In vielen Fällen lässt sich auch prüfen, ob ein Organisationsverschulden vorliegt oder ob Geschäftsführungs- und Kontrollpflichten verletzt wurden.

Frage: Gibt es für die Betroffenen eine realistische Chance, ihr Geld ganz oder teilweise wiederzusehen?

Jens Reime:
Ich bin Realist: In Fällen wie diesem geht es meist nicht darum, den gesamten Schaden zu kompensieren, sondern so viel wie möglich zu retten. Wer frühzeitig handelt, seine Forderungen anmeldet und sich anwaltlich vertreten lässt, hat bessere Chancen, bei einer möglichen Verteilung berücksichtigt zu werden. Es ist auch denkbar, dass durch die Ermittlungen noch weitere Vermögenswerte entdeckt werden. Aber man darf sich keine Illusionen machen – das meiste Kapital ist in solchen Systemen schlicht verbraucht.

Frage: Was raten Sie Anlegern, die jetzt unsicher sind, ob sie überhaupt betroffen sind?

Jens Reime:
Wer in den vergangenen Jahren in ein „Technologieprojekt“, „Recyclingunternehmen“ oder ein „nachhaltiges Investment“ aus Dresden investiert hat – und bislang weder Zinsen noch Rückzahlungen erhalten hat –, sollte seine Unterlagen prüfen lassen.
Oft werden Anleger von denselben Vertriebsstrukturen angesprochen, und es tauchen ähnliche Vertragsmuster auf. Ich empfehle, sämtliche Unterlagen – Verträge, Prospekte, Zahlungsbelege, Korrespondenz – zu sichern und überprüfen zu lassen.+

Frage: Herr Reime, wie bewerten Sie das Vorgehen der Ermittlungsbehörden bisher?

Jens Reime:
Die sächsischen Ermittlungsbehörden haben hier zügig gehandelt, was man nicht immer sagen kann. Bereits im Januar gab es Durchsuchungen, und nun folgt eine zweite Welle – das zeigt, dass man die Sache ernst nimmt. Entscheidend ist nun, ob aus der strafrechtlichen Aufarbeitung auch tatsächliche Vermögenssicherung resultiert. Denn was den Anlegern am Ende hilft, ist nicht die Haftstrafe des Täters, sondern die Rückführung des Geldes.

Frage: Ihr abschließender Rat an betroffene Anleger?

Jens Reime:
Nicht abwarten. Handeln.
Es ist entscheidend, jetzt die eigenen Rechte zu sichern, sich rechtlich beraten zu lassen und Teil des Verfahrens zu werden. Wer denkt, „das regelt die Staatsanwaltschaft schon“, täuscht sich. Das Strafverfahren dient der Ahndung, nicht der Entschädigung. Dafür müssen Anleger selbst aktiv werden – und zwar schnell.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Reime.

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