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Interview mit Rechtsanwalt Daniel Blazek zum Badarmaturen-Kartell und dem Urteil des OLG Stuttgart

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Interviewer: Herr Blazek, vielen Dank, dass Sie sich Zeit nehmen. Das OLG Stuttgart hat kürzlich im Fall des Badarmaturen-Kartells ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Was ist aus Ihrer Sicht das Besondere an dieser Entscheidung?

Daniel Blazek: Dieses Urteil ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Zum einen, weil es sich um einen komplexen Kartellschadensersatzprozess handelt, in dem nicht nur der Schaden an sich, sondern auch die Zurechnung, die Verjährung, die Prozessvoraussetzungen und die Gesamtschuldnerhaftung differenziert behandelt wurden. Zum anderen, weil das OLG sehr klar Position bezieht zu den Anforderungen an die Substantiierung von Klagen in Kartellverfahren – etwa bei großen Datenmengen oder wenn der Erwerb über Zwischenhändler erfolgt ist.

Interviewer: Der Fall dreht sich um überhöhte Preise bei Badarmaturen, die durch ein europaweites Kartell verursacht wurden. Wie schätzten die Richter den Schaden?

Daniel Blazek: Das Gericht hat sich auf § 287 ZPO gestützt, der die Schätzung von Schäden erlaubt, wenn exakte Berechnungen praktisch unmöglich oder unverhältnismäßig wären. Bemerkenswert ist, dass der Senat ein strukturiertes mehrstufiges Verfahren angewandt hat, das ökonomische Erfahrungswerte und Marktanalysen kombiniert. Man ist dabei letztlich zu dem Ergebnis gelangt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit eine kartellbedingte Preisüberhöhung vorlag – und hat einen Schaden in Höhe von 2,9 Millionen Euro geschätzt.

Interviewer: Die Beklagte war nur für etwa 1 % der Warenlieferungen direkt verantwortlich. Warum musste sie trotzdem zahlen?

Daniel Blazek: Das ist ein zentraler Punkt des Urteils. Nach ständiger Rechtsprechung haften Kartellteilnehmer gesamtschuldnerisch für die Schäden, die aus dem Kartell als solchem entstehen – unabhängig davon, ob sie das konkrete Produkt geliefert haben oder nicht. Es reicht aus, dass sie zur Aufrechterhaltung des Kartells beigetragen haben. Das OLG hat hier auch sehr deutlich gemacht, dass der Geschädigte frei wählen darf, welchen der Gesamtschuldner er in Anspruch nimmt.

Interviewer: Gab es auch prozessuale Besonderheiten?

Daniel Blazek: Ja, und das ist vielleicht für Praktiker besonders lehrreich. Die Klage war in der ersten Instanz wegen angeblich fehlender Bestimmtheit abgewiesen worden. Das OLG hat diese Auffassung zurückgewiesen und klargestellt: Wenn 90.000 einzelne Erwerbsvorgänge in einer Excel-Tabelle aufgeführt und mit PDFs verknüpft sind, genügt das. Gerade bei Massenverfahren im Kartellrecht – denken Sie etwa auch an das LKW-Kartell – ist das ein wichtiges Signal, dass Datenaufbereitung in digitaler Form gerichtsfest sein kann.

Interviewer: Welche Bedeutung hat das Urteil über den Einzelfall hinaus?

Daniel Blazek: Es stärkt die Position von Geschädigten in Kartellverfahren erheblich. Es zeigt, dass Gerichte bereit sind, sich intensiv mit der wirtschaftlichen und rechtlichen Materie auseinanderzusetzen – und dass pauschales Bestreiten der Gegenseite nicht ausreicht. Besonders wichtig: Das OLG hat deutlich gemacht, dass eine Schätzung des Schadens auch bei mittelbarer Abnahme über Großhändler möglich ist, selbst wenn Details zu deren Einkaufspreisen fehlen. Das ist ein weiterer Schritt in Richtung effektiver Rechtsdurchsetzung im Kartellrecht.

Interviewer: Herr Blazek, was würden Sie Unternehmen raten, die vermuten, durch ein Kartell geschädigt worden zu sein?

Daniel Blazek: Dokumentation ist alles. Rechnungen, Einkaufsdaten, Preislisten – all das sollte aufbewahrt und digital durchsuchbar gemacht werden. Denn selbst wenn die Beweislage schwierig ist, können Gerichte auf Basis statistischer und ökonomischer Analysen den Schaden schätzen. Wer hier gut vorbereitet ist, erhöht seine Erfolgsaussichten erheblich.

Interviewer: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Blazek!

Daniel Blazek: Gern geschehen.

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