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Interview mit Rechtsanwältin Kerstin Bontschev zur Kostenerstattung bei Vollzeitpflege: „Ein wichtiges Signal für Pflegestellenorte“

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Redaktion: Frau Bontschev, das Bundesverwaltungsgericht hat am 6. November 2025 entschieden, dass Pflegestellenorte auch dann einen gesetzlichen Erstattungsanspruch haben, wenn es sich nicht um eine „fortgesetzte“ Hilfe zur Erziehung handelt. Was bedeutet dieses Urteil?

Kerstin Bontschev: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist richtungsweisend. Es stellt klar, dass Pflegestellenorte nicht nur dann Anspruch auf Kostenerstattung haben, wenn sie eine bereits bestehende Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege weiterführen. Auch dann, wenn sie – nach Übergang der Zuständigkeit – erstmals oder erneut eine solche Hilfe gewähren, greift der Erstattungsanspruch nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII.

Redaktion: Warum war das bisher nicht so eindeutig?

Kerstin Bontschev: Die Vorinstanzen, insbesondere das Oberverwaltungsgericht Bautzen, hatten eine eher enge Auslegung vertreten. Sie meinten, der Anspruch sei auf ununterbrochene Fortführungen beschränkt. Diese Sichtweise hat das Bundesverwaltungsgericht nun deutlich korrigiert – gestützt auf Gesetzeswortlaut, Systematik und insbesondere den Sinn und Zweck der Vorschrift.

Redaktion: Können Sie den Hintergrund des Falles noch einmal kurz erläutern?

Kerstin Bontschev: Es ging um ein Kind, das zunächst im Zuständigkeitsbereich der beklagten Stadt lebte und in eine Pflegefamilie zog, die im Landkreis – dem späteren Kläger – wohnte. Nachdem das Kind zwei Jahre dort verbracht hatte, wechselte gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit auf den Landkreis. Die Beklagte beendete ihre Hilfe zur Erziehung, der Landkreis übernahm später die Leistung erneut – zunächst rückwirkend im Vergleich, dann erneut ab 2016. Für die damit verbundenen Kosten wollte er Erstattung. Die Vorinstanzen lehnten das ab, weil sie keine „Fortsetzung“ der Hilfe sahen.

Redaktion: Wie hat das Bundesverwaltungsgericht argumentiert?

Kerstin Bontschev: Es hat klargestellt, dass der Gesetzeszweck – nämlich die finanzielle Entlastung der Pflegestellenorte – nur erreicht wird, wenn auch neue oder wiederaufgenommene Hilfen nach Zuständigkeitswechsel vom früher zuständigen Jugendamt erstattet werden müssen. Andernfalls würden Pflegestellenorte das Risiko tragen, was der Gesetzgeber aber gerade vermeiden wollte.

Redaktion: Heißt das, der klagende Landkreis hat nun endgültig gewonnen?

Kerstin Bontschev: Noch nicht ganz. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil zwar aufgehoben, konnte aber mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst abschließend entscheiden. Es hat den Fall zurückverwiesen – das Oberverwaltungsgericht muss nun klären, ob in den streitigen Zeiträumen durchgehend Anspruchsvoraussetzungen vorlagen, also keine Unterbrechungen der Zuständigkeit und fortlaufende Zahlungspflichten.

Redaktion: Was bedeutet das Urteil konkret für die Praxis der Jugendämter?

Kerstin Bontschev: Es stärkt deutlich die Stellung der Pflegestellenorte. Diese können sich jetzt auch in Fällen absichern, in denen die ursprüngliche Hilfe vom Herkunftsjugendamt unterbrochen wurde, sie aber später wieder leisten mussten. Das schafft finanzielle Planungssicherheit und unterstützt das Ziel, genügend geeignete Pflegeplätze bereitzustellen.

Redaktion: Vielen Dank für das Gespräch, Frau Bontschev.

Kerstin Bontschev: Sehr gerne.


Urteil: BVerwG 5 C 5.24, vom 06.11.2025
Hinweis: Das Verfahren wurde an das OVG Bautzen zurückverwiesen.

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